Beim „wortwiege“-Festival in den Wr. Neustädter Kasematten spielen zwei Israeli ein „Handbuch für israelische Regisseur:innen in Europa“ und beleuchten durch „Vermeidung“ des Themas das Leid der Opfer – auf beiden Seiten.
So super wäre unser Stück gewesen, aber leider – Sie wissen ja, 7. Oktober 2023, jetzt mussten wir alles kübeln… Das ist sozusagen die Ausgangsthese von Ido Shaked & Hannan Ishay (Théâtre Majâz) für ihre rund einstündige Performance „A Handbook for the Israeli Theatre Director in Europe“. Und die vermittelt schon eine ordentliche Portion von (selbst-)ironischem Humor. Zu sehen, nein zu erleben, ist das „Handbuch für israelische Theaterregisseur:innen in Europa“ beim „Wortwiege“-Festival in der zum Kultur- und Veranstaltungsort umgebauten ehemaligen Wehranlage von Wr. Neustadt, den Kasematten (keine zehn Gehminuten vom Bahnhof entfernt übrigens).
Jetzt sei alles noch komplizierter, aber das was sie gehabt hätten samt einer großartigen „Metapher des Konflikts“, einfach jetzt nicht spielbar. Noch dazu, wo keine/r weiß, ob das Ausgedachte auch nur 1 ½ Minuten später noch richtig und aktuell ist…
Aber was machen wir jetzt? Sind doch schon eingeladen von einem großen – in der Performance (fiktiven) – Festival. Lass uns doch was völlig jenseits des Konflikts spielen. Zum Beispiel über Fußball.
„Ido: Fußball?
Hannan: Ja, Teams, Nationalhymnen, Stadien, die Europameisterschaft… Fußball ist eine großartige Möglichkeit, über Identität zu sprechen!
Ido: Also fangen wir damit an, gemeinsam die Nationalhymne im Stadion zu singen.
Hannan: Ja.
Ido: Und dann merkt das Publikum nach und nach, dass alles eine nationalistisch-faschistische Energie ist, und das Ganze ist eigentlich eine Metapher für den Konflikt.
Hannan: Ja – nur ohne den Konflikt!“
In ähnlicher Ton- und Spielart geht’s dahin – immer den Konflikt vordergründig aussparen und auf einer anderen Ebene doch sozusagen zu Wort kommen lassen. Trotz der Tragödie des realen Hintergrundes bringen die beiden das Publikum immer wieder zum herzhaften Lachen – nicht selten auch zu solchem, das dann doch irgendwie im Hals steckenbleibt. Hannan Ishay, Reinhardt-Seminar-Absolvent (2011), lebt seit fünf Jahren wieder in Tel Aviv, sein kongenialer Bühnenpartner und Co-Stück-Entwickler Ido Shaked in Paris. Auch dieses Hier- und Dort-Sein wird zum Thema.
Sie beginnen ihre natürlich doch gespeilte Performance mit der Kommunikation (Telefon und eMail) mit dem schon genannten fiktiven Festival, um dann ein Jahr ablaufen zu lassen – mit handschriftlichen Tafeln mit Datums-Angaben. Start: 7. Oktober 2022, ein Jahr vor den koordinierten Angriffen und Morden der Hamas samt Entführung von damals mehr als 200 Geiseln. Das Duo bespielt aber genauso die breite Demokratie-Bewegung gegen den Versuch der rechtsrechten israelischen Regierung, das Justiz-System auszuhebeln. Aber die Minderheit an Demonstrant:innen, die auch auf Besatzung (palästinensischer Gebiete) aufmerksam machten kontert der eine dem anderen: „Dafür ist jetzt keine Zeit…“
Hier noch ein Zitat zum ironischen Wechselspiel zwischen heikle Themen umschiffen und dann doch so „nebenbei“ anzusprechen:
„Hannan: … Aber wir haben noch nichts gesagt: Massaker, Geiselnahmen, Vergewaltigungen, Bombardierungen, Kinder…
Ido: Wir haben es gerade gesagt.
Hannan: Und was ist mit dem Krieg? Wir haben noch nicht einmal etwas über den Krieg gesagt?!
Ido: Okay, hier hast du es; wir haben auch den Krieg erwähnt.
Hannan: Was haben wir gesagt? Wir haben nichts gesagt! Wir gehen auf eine militärische Operation ohne absehbares Ende und ohne echte Ziele. Es werden 3-jährige Kinder im Gazastreifen entführt, wir bombardieren eine Zivilbevölkerung, die nirgendwohin fliehen kann… Ganze Familien, auf beiden Seiten, werden zerstört und weiter ausgelöscht.
Ido: Wir können nicht darüber sprechen. Es gibt keine Worte, um es zu beschreiben.“
Die beiden spielen nicht nur voller (Spiel-)Witz und vermitteln Empathie – so wie sie die aktuell explosive Lage in Nahost thematisieren schwingt eine gewisse Allgemeingültigkeit unabhängig vom Ort des Geschehens mit. Detail-Info: Die beiden spielen auf Englisch – es gibt bewusst keine Übertitel, weil das Mitlesen zu sehr vom beeindruckenden Schauspiel sowie Mimik und Gestik ablenken würde; aber es gibt die deutsche Übersetzung der gesprochenen Texte auf der wortwiege-Homepage zum Download. Absolute Anschau-, nein Miterleb-Empfehlung – und an Veranstalter:innen, das Duo unbedingt einzuladen.
(Ein Handbuch für den israelischen Theaterregisseur in Europa)
Théâtre Majâz, Frankreich/Israel
In englischer Sprache (deutsche Übersetzung als Ausdruck beim Büchertisch bzw. auf der Wortwiege-Homepage
eine Stunde plus optional Stückeinführung davor (½ Stunde) und Salon (Diskussion) danach
Text, Konzept, Regie und Schauspiel: Ido Shaked & Hannan Ishay
Dramaturgie & Sound Design: Idan Rabinovici
Eine Produktion von Théâtre Majâz in Koproduktion mit wortwiege
16. März 2024 – und hoffentlich danach auf Österreich- und Europa-Tournee
Kasematten
2700 Wiener Neustadt
Bahngasse 27
wortwiege -> a-handbook…
Zur deutschen Übersetzung des englischen Performance-Textes geht es hier