Kinder Jugend Kultur und mehr - Logo
Kinder Jugend Kultur Und mehr...
Szenenfoto aus "Schlachthof - Wir essen nur Karfiol" in den Wr. Neustädter Kasematten beim Wortwiege-Festival
Szenenfoto aus "Schlachthof - Wir essen nur Karfiol" in den Wr. Neustädter Kasematten beim Wortwiege-Festival
03.03.2024

Tötet Schlachten Musik und Kunst?

Sławomir Mrożeks „Schlachthof“ mit einer der Pointen schon im Untertitel beim Wortwiege-Festival in den Wiener Neustädter Kasematten.

Die an sich schon absurde Geschichte „Schlachthof“ von Sławomir Mrożek wird in der Regie von Ira Süssenbach beim Wortwiege-Festival in den Kasematten von Wiener Neustadt noch einmal überdrehter – in eine Art Zirkus-Setting mit clownesken Figuren in Szene gesetzt. Und zur kurzweiligen Demaskierung von herr-schaftlichen Unterdrückungssystemen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“ in den Wr. Neustädter Kasematten beim Wortwiege-Festival

Fast wie eingesperrt – trotz zweier Wände, die nur leere Rahmen, also offen sind – fidelt der junge Geiger (der ) in seinem Zimmer (Bühne: Andreas Lungenschmid). Hier als Weißclown und auf einer singenden Säge – mit vor zu viel Kolophonium staubendem Geigenbogen. Erstmals ist er an diesem Nachmittag nicht allein, eine Flötistin aus der Nachbarschaft leistet ihm Gesellschaft – die hier folgerichtig nicht dieses Instrument spielt, sondern ein blechernes Kazoo bläst – Dolly Partons in der Version von Whitney Houston weltberühmt gewordenes „I will allways love you“.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“

Zum Künstler zurichten

Sein Liebesgeständnis und ihre Nicht-Reaktion müssen aber ganz heimlich erfolgen, denn hinter der Tür lauert und lauscht die Mutter. Einerseits ist sie Ernährerin, Versorgerin des jungen (Möchtegern-)Künstlers, andererseits totale Herrscherin. Außer Geige-spielen soll der Sohn nichts dürfen, nur ein großer Künstler werden, auch wenn die Mutter von seinem Talent gar nicht so viel halten dürfte. Würde er dennoch berühmt, dann eher zur höheren Ehre und zum Ruhm der Mutter.

Schon dieses Eröffnungsbild des ursprünglich als Hörspiel geschriebenen Dramas (1973) von Sławomir Mrożek (1930 – 2013) kann wohl kaum anders als die Parabel auf einen Staatskünstler in einem autoritären System gehört/gelesen/gesehen werden. Wäre aber noch lange nicht Mrożek, da müssen noch weitere ganz absurd erscheinende Wendungen, um einen großen dramaturgischen Bogen zu schaffen einerseits sowie differenziertere, tiefgreifendere Themen andererseits anzusprechen/-spielen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“

Teufelspakt

So wird der Violinist – alle Figuren übrigens namenlos – einerseits doch gleichsam über Nacht zum Virtuosen – im Austausch mit einer Niccolò-Paganini-Staute in seinem Zimmer, die sich wünscht lebendig zu werden. Der Deal: Raus aus der marmornen Starre, dafür wird der Geiger zum Virtuosen – eine Art Seelenverkauf an den Teufel (Paganini wurde/wird oft als Teufelsgeiger bezeichnet). Und noch schräger: Ein Schlachter mit einer blutigen Leber in der Hand taucht auf. Der Geiger, der zuvor – ob zuerst ohne und dann mit viel Talent – leidenschaftlich für die Kunst brennt, beginnt den Sinn derselben zu hinterfragen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“

Kunst über Bord werfen

„Geiger: Aber stellen Sie sich vor, dass Sie diese Musik bei sich im Schlachthaus hören. Würden Sie dann keine Zweifel bekommen, sagen wir an der moralischen, ethischen Seite Ihres Berufes, würde Sie das nicht hindern … zu töten?
Schlachter: Wieso? Schlachthof ist Schlachthof. Ob man Geige spielt oder nicht. Musik hat damit nichts zu tun, obwohl sich das ja ganz nett anhört. Musik kann’s geben oder nicht. Schlachten muss sein.
Geiger: Merkwürdig, darüber habe ich nie nachgedacht.“
Und mir nichts dir nichts wirft er seine Kunst, sein ganzes bisheriges Lebensmodell über Bord, wird selber zum Schlachter. Und die Direktorin (im Original ein Direktor), die zuvor so auf den Auftritt des Geigers gedrängt hat, dient sich als Teilhaberin des Schlachthofs an. Der produziere ja Lebensnotweniges.
„Wir werden öffentlich töten, auf der Bühne im hellen Licht der Scheinwerfer. Offen und vorsätzlich. Wir schaffen eine Philharmonie der Instinkte, der ursprünglichen Gefühle und fundamentalsten Erlebnisse“, legt der Autor dem Philharmonie-Direktor – hier natürlich der Direktorin – in den Mund.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“

Gebär-Neid

Und der Geiger meint: „Ich werde töten. Nur auf diese Weise habe ich an der endgültigen Wahrheit teil. … Ich werde töten, und das wird sein wie gebären.“
„Flötistin: Du kannst nur fremdes Leben oder fremden Tod verursachen, zeugen oder töten. Aber aus dir selbst kannst du weder Leben noch Tod gebären. Du bist ein ewiger Vater, immer nur zur Vaterschaft verurteilt. Du hattest recht: Du bist nur ein Werkzeug, ein Instrument, ein Diener … außer wenn …“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“

Mann – Frau

Außerdem lässt Sławomir Mrożek (Deutsch von Christa Vogel) durch die Flötistin einen weiteren sehr klassische Männlichkeitsbilder zum Einsturz bringenden Gedanken äußeren: „Er vergisst dabei, dass wir Frauen gebären und mehr über das Blut wissen als ein Heerführer. Deine Schlachterei imponiert uns nicht, mein Junge, du kannst soviel Innereien ausreißen, wie du willst. Die Frauen werden dich immer nur als erbärmlichen Karrieremacher betrachten. Und selbst wenn du pausenlos tötest – es ist nie dein eigenes Blut, weder dein Leiden noch dein Leben.“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“

Töten kann jeder, immer und überall

Direktorin: „Töten ist eine Kunst für alle, eine Kunst für die Massen. Töten kann jeder, immer und überall…“ Und sie endet mit des Geigers Todessturz mit einer Art The Show must go on: „Meine Herrschaften, die Vorstellung geht weiter! Und daher: Wer vertritt ihn? Wer ist der nächste? Wer meldet sich freiwillig?“

Überdreh von Sławomir Mrożek ist in all dem Gemetzel jedoch zwischendurch der Satz: „Wir essen nur Blumenkohl.“ – In weiten Teilen Österreichs Karfiol genannt. Was die Wortwiegen-Version auch zum Untertitel machte: „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“

Zirkus?!

Ganz kurz zu Beginn Skepsis beim Rezensenten: Braucht ein an sich schon absurdes Theaterstück noch eine Zirkus-Inszenierung, wird da zu wenig auf Stück und Text vertraut? Doch die Inszenierung und vor allem das Spiel des Quartetts lässt den Gedanken bald verschwinden. Die Figuren werden damit nur auch optisch (Kostüme: Elena Kreuzberger; Maske: Henriette Zwölfer) unterstützt. Nico Dorigatti, das mehr als Talent aus der Umgebung von Wiener Neustadt spielt den clownesken Geiger als unaufgeregten, punktgenauen erst Künstler, dann genauso leidenschaftlichen Schlachter. Im Vorjahr spielte er am gleichen Ort in Václav Havels „Audienz“ den in eine Brauerei strafversetzten Schriftsteller Vaněk, dem ein Spionage-Deal angeboten wird. Dabei musste er in fast Strömen von pickigem Bier akrobatisch auf und um einen Tisch agieren. Diesmal – im Schlachthof – besteigt er ein kunstvoll aus Altmetall zusammengeschweißtes Pferd (Christoph Wölflingseder), übergießt sich mit klebrigem Kunstblut, um hernach gekonnt vom hohen Ross zu fallen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“ – Mutter und Sohn

Eine Entdeckung ist der aus dem deutschen Hanau stammende Roberto Romeo, der sowohl die diktatorische Frau Mama als auch die lebendig gewordene Paganini-Statue und obendrein noch den Schlachter in blutiger Schürze gibt. Die Zirkus-, pardon Philharmonie-Direktorin gibt Petra Staduan und in die Rolle der Flötistin schlüpft Saskia Klar – präzise je nach Situation zwischen distanziert und leidenschaftlich. Sie ist heuer die einzige, die auch noch im zweiten Wortwiege-Festival-Stück „Medea – Alles Gegenwart“ spielt; dort die Korinthische Königstochter Kreusa.

Follow@kiJuKUheinz

Titelseite jenes Bandes aus den gesammelten Werken von Sławomir Mrożek in dem sich auch das Hörspiel
Titelseite jenes Bandes aus den gesammelten Werken von Sławomir Mrożek in dem sich auch das Hörspiel „Schlachthof“ findet
INFOS: WAS? WER? WANN? WO? + BUCH-INFO

Schlachthof – Wir essen nur Karfiol

Sławomir Mrożek / wortwiege
Text: Sławomir Mrożek (Deutsch von Christa Vogel)
Fassung: wortwiege

Geiger: Nico Dorigatti
Flötistin: Saskia Klar
Mutter / Paganini / Schlachter: Roberto Romeo
Direktorin der Philharmonie: Petra Staduan

Regie: Ira Süssenbach
Dramaturgie: Marie-Therese Handle-Pfeiffer
Bühne: Andreas Lungenschmid
Kostüme: Elena Kreuzberger
Maske: Henriette Zwölfer
Musik: David Lipp
Licht: Lukas Kaltenbäck
Bühnenmeister & Bauer der Metall-Pferde-Skulptur: Christoph Wölflingseder

Regie-Assistenz: Elena Maria Artisi
Ausstattungs-Assistenz: Vasilisa Grebenshchikova

Aufführungsrechte: Diogenes Verlag AG Zürich

Eine Produktion der wortwiege

Wann & wo?

Bis 22. März 2024
Kasematten
2700 Wiener Neustadt, Bahngasse 27
wortwiege -> schlachthof

Das Buch

Sławomir Mrożek
Emigranten und andere Stücke
Gesammelte Werke; Stücke 1971 – 1975
Aus dem Polnischen von Christa Vogel
Emigranten – Schauspiel in einem Akt
Schlachthof – Ein Hörspiel; Seiten 111 bis 225
Buckel – Schauspiel in vier Akten
Das Haus auf der Grenze – Eine Posse
Insgesamt rund 390 Seiten
Diogenes Verlag
Hardcover: 25,60 €
eBook: 7,99 €

Zu einer Leseprobe – ca. 20 Seiten aus „Emigranten“ – geht es hier
thalia -> Mrozek -> Emigranten