Kinder Jugend Kultur und mehr - Logo
Kinder Jugend Kultur Und mehr...
Szenenfoto aus "Die Nase" von Nikolaj Gogol im Theater Nestroyhof / Hamakom
Szenenfoto aus "Die Nase" von Nikolaj Gogol im Theater Nestroyhof / Hamakom
26.09.2024

Flache Mitte im Gesicht – wo ist das Sinnesorgan?

Gogols absurde Kurzgeschichte „Die Nase“ in einer sehr witzigen Inszenierung dreier clownesker Schauspieler:innen und eines Live-Musikers im Theater Nestroyhof / Hamakom (Wien).

Ist die – hierzulande – vielleicht bekannteste Komödie Nikolai Gogols, „Der Revisor“, eine recht offenkundige Satire auf Korruption vor allem der Beamtenschaft im zaristischen Russland, so ist die Kurzgeschichte „Die Nase“ in ihrer Absurdität viel subtiler. Aber herrlich schräg.

Obwohl schon der Text selbst von der ver-rückten Geschichte und viel Situationskomik lebt und doch so – unausgesprochen – Vielschichtiges kritisiert, toppt die aktuell im Theater Nestroyhof / Hamakom laufende Inszenierung dies noch. Und wie!

In einer von Nicolas Charaux (Regie) und Barbara Noth (Dramaturgie) geschriebenen Fassung spielen Okan Cömert, Jakob Immervoll und Lena Kalisch, clownesk geschminkt und kostümiert (Bühne und Kostüm: Ali Frühstück) die Gogol’sche Erzählung, schlüpfen wechselnd in die Rolle der handelnden Personen, vor allem des Barbiers Iwan Jakowlewitsch und des Kollegien-Assessors Kowaljow, der gern ranghöher wäre und sich immer als Major ausgibt. Und werden akustisch stimmungsmäßig entsprechend und mindestens genauso schräg vom Live-Musiker Sixtus Preiss begleitend unterstützt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Die Nase“ von Nikolaj Gogol im Theater Nestroyhof / Hamakom

Die Story

Der Bart-Rasierer findet eines Morgens zu Hause im gebackenen Brot eine Nase, die er als jene von Zweiterem erkennt. Und dieser wacht eben eines Morgens ohne sein Riechorgan auf. Fehlende Mitte im Gesicht, pfannkuchenglatte Fläche. Solchermaßen beeinträchtigt – wie kannst du unter Leute gehen? Absoluter gesellschaftlicher Ausschluss droht. Und dann – auf der Suche nach seiner Nase, entdeckt er diese in Uniform-Rock – die, nein seine, Nase als Staatsrat! Er stellt sie (ihn?) zur Rede. Abstreiten.

Zur Polizei gehen und den Verlust / Diebstahl anzeigen? Da würde doch der Nasen-Staatsrat auch nicht zugeben, dass…
Zur Zeitung. Hier wird der Nasenlose voll verar… Diese im Stück in der gleichsam als Greenbox ausgekleideten Garage spielende Szene ist vielleicht der Gipfel des Genusses an absurder Ironie – die ist fast unbeschreiblich und muss einfach erlebt werden!

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Die Nase“ von Nikolaj Gogol im Theater Nestroyhof / Hamakom

Kurzweilig und viel zu lachen

In den kurzweiligst verfliegenden von Lachattacken gespickten knapp mehr als 1¼ Stunden wird die eine oder andere in der Novelle kurz angetippte Passage ausgespielt. Außerdem tritt die Nase einmal als Art Ganz-Gesichts-Maske auf dem Kopf von Lena Kalisch und ein weiteres Mal als überdimensionales Ganzkörper-Kostüm getragen von Jakob Immervoll in Erscheinung.

„Bomben“-Gespräch

In der zuletzt genannten Szene baut der Schauspieler eine Gogol-fremde Passage ein, die während er Proben beim Improvisieren entstanden ist. Es handelt sich dabei um einen Mix aus einer Art Manifest für die Freiheit von Nasen und deren Drang nach Eigen- und Selbstständigkeit einerseits. Andererseits schildert er komprimiert den schrägen Plot der Science-Fiction-Filmparodie „Dark Star – Finsterer Stern“ von Regisseur John Carpenter (1973). Mit wenigen Mitteln (60.000 US-Dollar) gedreht, wurde der zum Kultfilm, nicht zuletzt wegen einer Art philosophischem Diskurs zwischen dem diensthabenden Raumschiff-Kommandanten und der Bombe Nummer 20, deren Explosion in wenigen Augenblicken ansteht.

Doolittle spricht mit der Bombe über den Satz „ich denke, also bin ich“. Die Bombe pausiert, um darüber nachzudenken, aber… – eine Fremd-Passage, die in ihrer Absurdität gut zu Gogol passt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Die Nase“ von Nikolaj Gogol im Theater Nestroyhof / Hamakom

Ausgrenzung von nicht-Normalem

Ohne Nase entsprichst du nicht der Norm – drohende Ausgrenzung von Menschen, die der „Normalität“ nicht entsprechen – das ist eine der (fast) zeitlosen kritischen Fragen, die Gogols Text anstößt. Hierarchien, Uniform-Träger und nebenbei Korruption nimmt er ebenso aufs Korn. Des Weiteren wird in einer kurzen Passage die Verbreitung von Gerüchten – heute Fake News – angesprochen. Es wird erwähnt, dass es immer wieder zu Massenaufläufen rund um die Nase im Uniformrock kommt, die da, dort und eigentlich fast überall aufgetaucht sein soll.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Die Nase“ von Nikolaj Gogol im Theater Nestroyhof / Hamakom

Selbst in Frage stellen

Gogol wendet sich als Autor in der Kurzgeschichte mehrmals an seine Leser:innenschaft, um das eine oder andere zu erklären oder gegen Ende seinen eigenen Text in Frage zu stellen: „Was ich aber am allerwenigsten verstehe, ist, dass sich ein Autor ein solches Thema wählen kann. Ich finde es, offen gestanden, ganz unbegreiflich! Das ist wirklich … Nein, nein, ich kann es nicht verstehen! Erstens bringt es auch nicht den geringsten Nutzen dem Vaterlande, zweitens … aber auch zweitens bringt es keinen Nutzen. Ich weiß einfach nicht, was es ist. Und doch, wenn man das eine, das andere und das dritte auch zugeben kann, sogar dass… und wo gibt es keinen Unsinn? …“

Follow@KiJuKUheinz

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Die Nase

Nach der Novelle von Nikolaj Wassiljewitsch Gogol

Fassung: Nicolas Charaux und Barbara Noth
Regie: Nicolas Charaux
Schauspiel: Okan Cömert, Jakob Immervoll, Lena Kalisch
Live-Musik: Sixtus Preiss
Dramaturgie: Barbara Noth
Bühne und Kostüm: Ali Frühstück
Regie-Assistenz: Jonas Endris

Wann & wo?

Bis 19. Oktober 2024
Theater Nestroyhof / Hamakom: 1020, Nestroyplatz 1

Rahmenprogramm

„Verlust der Mitte“
Gespräch und Diskussion mit Renata Schmidtkunz, Elsbeth Wallnöfer (Philosophin), Helga E. Schachinger (Sozilapsychologin), Andrea Zink (Literaturwissenschafterin), Thomas Meyer (Politikwissenschafter)
27. September 2024
19.30 Uhr

Lesung
Satirische Texte von Nikolai Gogol u.a. – zusammengestellt von Angela Heide
Vor-Leser:innen: Lukas Haas, Julia Schranz
13. Oktober 2024
11 Uhr

Telefon: 01 890 03 14
hamakom -> nase