Humorvolles sozialkritisches Stück mit umgedrehten Rollen zwischen Sohn und Mutter in „Reden mit Mama“ nach einem spanischen Stück, das auf einem Film basiert, im Theater Spielraum (Wien-Neubau).
Schon wenn das Publikum den Saal betritt, schreitet der Schauspieler (Paul Wiborny) auf dem Podium der Bühne auf und ab. Bleibt hin und wieder stehen. Nachdenklich, sorgenvoll sind ins ich gekehrte Blicke, die Mimik, die Bewegung vor einem Hänge-Korbsessel, einem schrägen Tischchen aus Straußenfüßen und -hals – der Kopf sozusagen in den Sand gesteckt – und einem kreisrunden, drehbaren Sandbild (Bühne: Raoul Rettberg und Anna Pollack, die auch wie praktisch immer hier im Theater Spielraum für die Kostüme zuständig ist).
Zu Klängen von „Don’t cry für me Argentina“ betritt die ältere, aber viel lebenslustigere Schauspielkollegin (Brigitte West) das Bühnenpodest durch den bunten Perlenschnürl-Vorhang von hinten – sie verkörpert die Mutter des Ersteren in „Reden mit Mama“ (Conversaciónes con mamá), eines spanischsprachigen Stücks von Santiago Carlos Ovés und Jordi Galcerán (nach dem Drehbuch zum gleichnamigen Film von Santiago Carlos Ovés; Deutsch von Stefanie Gerhold). Natürlich ceckt die Mutter, dass den Sohn etwas bedrückt, „denn sonst rufst du ja nur an…“. Dennoch will der nichts von ihrem Kichererbsen-Eintopf – in einem mächtigen Pott auf dem beschriebenen Tischlein, geht eigentlich schon, um … „ich hab gewusst, dass du zurückkommst“.
Er habe seinen Job verloren, könne die Kreditraten nicht bedienen und deswegen müsse er seine und Lauras (seine Ehefrau) Wohnung verkaufen – in der die Mutter wohnt. Sie könne doch zu ihm, seiner Frau und den beiden Kindern ziehen. Nach und nach rückt diese – die namenlos bleibt – damit raus, dass sie nun einen Lebensgefährten hat, einen deutlich jüngeren Mann (69 ist Gregorio, sie ist 82). Obendrein ist der Anarcho-Pensionist.
Von diesem ausgehend thematisiert „Mama“ humorvoll fast im Stile einer Dario Fo /Franca Rame-Komödie sozialpolitisch Alltagsprobleme von Teuerung über Containern (weggeworfene Lebensmittel aus dem Müll retten), Umgang mit älteren Menschen, Gesellschaftssystem insgesamt bis hin zur Forderung „Genug zu essen und guter Sex für alle!“
Mama spürt auch, dass ihr Sohn in seiner Ehe nicht besonders glücklich ist, spricht das direkt an – „schlaft ihr noch miteinander oder ist tote Hose?“ Außerdem kann die Mutter ihre Abneigung gegen die Schwiegertochter nur mühsam verbergen, wohingegen sie die gegenüber Lauras Mutter und damit Jaimes Schwiegermutter genüsslich fast zelebriert; und mit dem entsprechenden Schuss Ironie immer wieder Lacher provoziert.
Die Verhältnisse zwischen Sohn und Mutter scheinen sich in gewisser Weise umzukehren: Die wilde, lebenslustige, aufblühende Mutter, der „vernünftige“, sorgenvolle Sohn, aber in einer Krise. Der erstaunt ist darüber, dass Mama ihm an den Kopf wirft, Gregorio würde ja heute nicht viel was anderes sagen als er Jaime in seiner revolutionären Studentenzeit.
Immer wieder flackert das Licht – kein technischer Fehler wie sich recht spät in einer Szene erklärt, denn der Lichtschalter würde eine Art Wackelkontakt haben, den Gregorio schon reparieren werde…
Irgendwie ist die Situation vertrackt – noch dazu wo gekonnt von der Vorlage des auf dem Film basierenden Stücks und dieser Inszenierung (Co-Prinzipal des Theaters Gerhard Werdeker) sowie dem sehr glaubhaften Spiel der beiden Darsteller:innen – lange um den heißen Eintopf herumgeredet wird; die Mutter mit Anflügen von Demenz spielt.
Völlig anders die Gespräche im zweiten Teil – viel offener und tiefergehender, fast philosophischer – symbolisiert durch einen Zen-Garten auf einer Art Lade, die unter dem Bühnen-Podium hervorgeschoben wird. Dazwischen gehen die beiden kurz ab. Schnürlvorhänge gewendet, tauchen die Spieler:innen neu gekleidet wieder auf, und es dauert doch einige Zeit bis nach und nach vermittelt wird, was sich nun geändert hat.
(Conversaciónes con mamá)
von Santiago Carlos Ovés und Jordi Galcerán
Nach dem Drehbuch zum gleichnamigen Film von Santiago Carlos Ovés
Bühnenfassung von Jordi Galcerán; Deutsch von Stefanie Gerhold
Inszenierung: Gerhard Werdeker
Es spielen
Mama: Brigitte West
Ihr Sohn Jaime: Paul Wiborny
Bühne: Anna Pollack & Raoul Rettberg
Kostüm: Anna Pollack
Licht: Tom Barcal
Assistenz: Alice Gonzalez-Martin
Rechte: Felix Bloch Erben Verlag Gmbh Berlin
Bis 15. Februar 2025
(mittwochs bis samstags)
Theater Spielraum: 1070, Kaiserstraße 46
Telefon: 01 713 04 60
Theater Spielraum -> Reden mit Mama
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