„Richterskala 7,8“ von DiverCITYLAB und Medea Productions im Theater am Werk / Kalbelwerk.
Geschätzte fünf Dutzend der weltberühmten, fast allgegenwärtigen Kunststoff-Sessel – „Monobloc“ ist das meistverkaufte Möbelstück aller Zeiten – auf einem Sandstrand. Manche einzeln stehend, andere gestapelt, etliche durcheinander gewirbelt – was die Assoziationen zum Stücktitel herstellt: „Richterskala 7,8“.
Mit Letzterem wird bekanntlich die Stärke von Erdbeben angegeben, die genannten Größe wird mit „Zerstörung über weite Gebiete“ am oberen Ende der Skala – 10 wurde noch nie registriert – angegeben. Und natürlich – angesichts der beiden Schauspielerinnen Elif Bilici & Özge Dayan-Mair, die das Stück auch entwickelt haben, ergibt sich sofort die Assoziation zu den Erdstößen, die am 6. Februar 2023 den Südosten der Türkei und den Norden Syriens erschütterten. Ein zweites Erdbeben am selben Tag erreichte noch immer die Stärke 7,5. Folgen: mehr als 62.000 Tote, mehr als 125.000 Verletzte.
Doch das steht gar nicht im Zentrum der rund einstündigen Performance mit Sprechpassagen auf Deutsch, Wienerisch und Türkisch, Musik und einem an Derwisch erinnernden Tanz der Erstgenannten gegen Ende der Aufführung im Kabelwerk (Theater am Werk).
Durcheinander im Leben der beiden Künstlerinnen, die in Wien ihre Parallelen – erst bei Solidaritäts- und Charity-Aktionen für überlebende Opfer des genannten Erdbebens – kennengelernt haben, prägen das atmosphärisch, über weite Strecken sehr unaufgeregte Schauspiel, die Dialoge. Beide kommen aus Izmir (Ägäis-Küste), mit drei Millionen Einwohner:innen drittgrößte Stadt der Türkei, eine in der – so betonen sie -, Erdoğan noch nie eine Wahl gewonnen hat.
Altgriechisch hieß sie Smýrna, was antiken Quellen zufolge der Name einer Amazone war. Neben der Multikulturalität (Griechisch, Türkisch, Armenisch, Levantinisch) interpretieren die beiden Künstlerinnen dies als feministisches Signal. Bilici und Dayan-Mair fanden aber noch mehr Gemeinsamkeiten, so ist beider erste Heimat der Stadtteil Karşıyaka. Ebenso wollten sie beiden nach Europa und vermissen hier vor allem Meer und Sonne.
Aber nicht nur das, ihre Träume wurden immer wieder durch Ähnliches erschüttert. In der Türkei erworbenen Qualifikationen zählten ebenso wenig wie ihre Sprachkenntnisse. So hatte Özge Dayan-Mair in Istanbul Klassik-Konzerte organisiert, meldete sich auf ein Inserat der Staatsoper für eine Managementposition. Und wurde in einen Raum mit Barockkleidern gebeten, um auf der Straße Tickets zu verkaufen. Deutsch in und durch Sprachkurse stießen auf die Grenzen der Umgebung, die eine ganz andere Sprache zu verwenden scheinen – schau ma amoi.
Irgendwann dazwischen wird auch das besagte Erdbeben angesprochen – wobei in dieser Szene der „Saal oben“ im Kabelwerk in Dunkel getaucht wird -, aber auch damit verbunden, dass ein Gutteil der Zerstörungen auf illegale, nicht erdebeben-sichere Wohnbauten „dank“ korrupter Politiker zurückzuführen war, staatliche Hilfe kaum ankam und noch immer ein Gutteil der Überlebenden in Containern wohnen muss.
Der Ärger darüber und über die ablehnenden Erfahrungen und Erlebnisse in der neuen Heimat lässt vor allem in Elif Bilici bühnenreif Wut zum Beben bringen. Gibt es Hoffnung – und was ist eine solche überhaupt? Bin ich ein Mensch? Gehöre ich zu ihnen? Müssen wir bei jeder Wahl zittern? Und warum darf ich gar nicht wählen?
Philosophisch-politische Fragen verpacken die beiden Schauspielerinnen in diesem über lange Zeit entwickelten Stück (Martina Gredler; Dramaturgie: Anna Schober) mit Musik von Emanoel Bruckmüller, Çağrı Beklen, Dario Moreno (Her Akşam Votka, Rakı Ve Şarap / Sarhoş – Wodka, Raki und Wein jeden Abend / Betrunken) in teils poetische, mitunter wütende, aber auch weich-liebevolle Szenen (Nicht-Türkisch-Sprachler:innen lernen zwei türkische Wörter für Liebe kennen: Aşk & Sevgi), die immer wieder auch viel Raum und Zeit für mögliche eigene Assoziationen geben.
von diverCITYLAB in Kooperation mit Medea Production – Verein für transdisziplinäre Kunst in Koproduktion mit Theater am Werk
Von und mit: Elif Bilici & Özge Dayan-Mair
Regie: Martina Gredler
Dramaturgie: Anna Schober
Musik: Emanoel Bruckmüller, Çağrı Beklen, Dario Moreno
Bühne: Claudia Vallant
Outside Eye (dramaturgische Beratung): Aslı Kışlal
Bis 29. Oktober 2025
Theater am Werk, Kabelwerk: 1120, Oswaldgasse 35A
Tickets und Infos
theater-am-werk -> richterskala-7-8
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