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Bildmontage der mehrsprachigen REdnerin: bei der Rede, beim Handball und ein Portraitfoto
Bildmontage der mehrsprachigen REdnerin: bei der Rede, beim Handball und ein Portraitfoto
21.06.2022

Ungerechtigkeiten haben sich als Thema richtig aufgedrängt

„SAG’S MULTI!“-Finalist:innen-Serie (1): Telefoninterview mit dreisprachiger Tiroler Gymnasiastin, Handballerin und Viel-Leserin.

„24. Februar 22. Kriegsverbrechen Russland. Das erste Mal war ich wirklich stolz, da wir gemeinsam den Menschen in Not helfen konnten. Allerdings zeigt dieses Datum uns auch, dass die bekannten Aussagen wie ,Wir haben keinen Platz mehr und können nicht allen helfen‘, nur aus Lügen bestehen.“ Dies ist ein Satz aus der Rede der 16-jährigen Tiroler Gymnasiastin Helin Ağırdan im Finale des mehrsprachigen Redebewerbs „SAG’SMULTI!“.

39 Sprachen beim 13. Bewerb

Zum 13. Mal konnten Schülerinnen und Schüler aus ganz Österreich ihre Gedanken, Meinungen, Standpunkte, Forderungen, Wünsche, Sehnsüchte aber auch ihren Ärger, manches Mal auch ihre Wut zu wichtigen Themen öffentlich aussprechen – und das jeweils zweisprachig – in Deutsch und einer anderen Sprache ihrer Wahl. Ob dies eine Erst-, Familien- oder auch eine erlernte Fremdsprache ist. Insgesamt waren in diesem Schuljahr mehr als drei Dutzend (genauer 39) verschiedene Sprachen zu hören. Und jene, die es nach der – auch heuer wie in den bisherigen Coronajahren – zuerst nur Videorede in der Vorrunde – ins Finale geschafft hatten, sind alles Gewinner:innen. Das ist nicht nur eine Floskel der Jury und ihres Vorsitzenden Peter Wesely, der den Bewerb zur Förderung der Gleichwertigkeit aller Sprachen erfunden hatte. Alle, die den Reden der Jugendlichen wirklich zuhören, finden das. Darüber hinaus, weil es doch ein Wettbewerb ist, gibt es auch Preisträger:innen – jeweils mehrere in den drei Altersgruppen (7./8. sowie 9./10. und schließlich 11./12./13. Schulstufe).

Weil Kinder I Jugend I Kultur I und mehr … bei der Preisverleihung auf dem Weg zwischen den Kinder- und Jugendtheaterfestivals „Luaga & Losna“ in Vorarlberg und „spleen*graz“ ist, kann von der Gala der Würdigung der besten der besten vielsprachigen Redner:innen nicht berichten. Einige der Top-Redner:innen erklärten sich, ohne zu wissen ob sie zu den Preisträger:innen zählen werden, jedoch bereit, schon vor der Preisverleihung Telefon-Interviews mit dem hier berichtenden Journalisten zu führen.

Helin Ağırdan bei ihrer
Helin Ağırdan bei ihrer Finalrede von „Sags Multi!“

Zwei aus drei ihrer Erstsprachen

Die Rednerin aus Reutte wählte neben Deutsch, das alle verwenden müssen, Türkisch, eine der drei Sprachen mit denen sie aufgewachsen ist – zusätzlich zu diesen beiden ist es Kurmandschi (die bekannteste und am meisten verbreitete der kurdischen Sprachen). „In Türkisch bin in grammatikalisch, aber auch beim Schreiben viel besser als bei Kuridsch. Ich les auch oft Bücher auf Türkisch“, vertraut sie dem Reporter an.

In der Schule „hab ich bisher immer in allen Fächern etwas Interessantes gefunden, aber wenn ich drei Lieblingsfächer aussuchen müsste, so sind das Mathe, Bio und Latein. Ich weiß, das ist zwar eine tote Sprache, aber wir sprechen in der Schule in Latein oft auch über Philosophie. Außerdem finde ich, Latein ist wie eine Matheformel. Wenn du die verstehts und beherrscht ist es wirklich licht.“

Die Themen für den Redewerbe seine „wie von allein gekommen. Schon von Klein auf haben mich Ungerechtigkeiten aufgeregt – gegenüber Menschen aber auch anderen Lebewesen in Not. Das macht mich automatisch betroffen. Eigentlich sollte das doch bei allen Menschen so sein, oder?“

Helin Ağırdan - professionelles Portraitfoto
Professionelles Portraitfoto der vielsprachigen Tirolerin

Diskriminierungs-Erfahrungen

Schon früh musste sie Ungerechtigkeiten selbst erleiden wie sie unter anderem in ihrer Finalrede erzählte: „Diesen Hass gegenüber Flüchtlingen habe ich mit 6 Jahren kennengelernt. Als ich mit meiner Mutter vom Spielplatz wieder nach Hause gehen wollte, hat uns ein Auto fast auf dem Zebrastreifen überfahren. „Nimm deine Kinder und hau wieder in dein Kriegsgebiet ab!“, sagte der Fahrer mit dem Kopf aus dem Fenster rausgesteckt. Er hatte gedacht, dass wir Flüchtlinge waren. Kind mit braunen Haaren und Augen – Mutter trägt Kopftuch- muss doch jemand sein, der kein Deutsch kann.“

Und das sei kein Einzelfall gewesen, sagt sie im Interview. „Oft ist es auch „nur“ (die Anführungszeichen sind deutlich hörbar!) so, dass du gehässig Blicke spürst oder sie auch siehst, wenn sie anderen, etwa einer Frau mit Kopftuch gelten.“

Einschreiten, helfen

Ungerechtigkeit regen sie aber nicht nur innerlich auf. „Ich finde, nur ärgern reicht nicht. Es geht auch darum, einzuschreiten, zu sagen, wenn etwas falsch und diskriminierend ist. Auch darauf hinzuweisen, dass Diskriminierung sogar gegen Gesetze verstößt. Ich versuch schon oft, zu helfen.“

Helin Ağırdan als Handballspielerin
Voll in Action beim Handball

Top-Schülerin

Sei selber ist eine sehr gute Schülerin, gesteht sie, um auch gleich hinzuzufügen, „dass das jetzt fast wirkt, als wäre ich eine Streberin. Das bin ich aber nicht, es ist nur so, dass mir Lernen leichtfällt.“

Neben den schon genannten drei Sprachen, mit denen Helin Ağırdan aufgewachsen ist und dem schon erwähnten Latein lernt sie in der Schule natürlich Englisch und auch Spanisch. „Sicher fallen mir Sprachen leichter, weil ich schon mit dreien aufgewachsen bin. Trotzdem würde ich sagen, es wäre besser, wenn Latein früher drankommen würde, das wäre eine gute Basis für andere Sprachen.“

Handball

In ihrer Freizeit spielt die 16-Jährige seit gut vier Jahren Handball in einem Verein mit Turnieren und Wettkämpfen. Früher habe sie zwei Mal in der Woche trainiert, jetzt aus schulischen Gründen nur mehr ein Mal. „und ich les gerne – Romane von Dostojewski, Victor Hugo und andere Klassiker oder auch Texte von Platon und Sokrates. Ich finde viele dieser Zitate (insbesondere der beiden zuletzt Genannten) passen auch jetzt ins 21. Jahrhundert“, meint Helin Ağırdan.

Medizin, Biologie oder Politik

Ihr oberster Berufswunsch ist es, Medizin zu studieren. „Naturwissenschaften, besonders Biologie haben mich schon seit dem Kindergarten interessiert. Wenn nicht Medizin kann ich mir vorstellen in die Forschung zu gehen. Andere Pläne wären die Politik, das interessiert mich auch sehr da etwas gegen Ungerechtigkeiten zu machen.“

Follow@kiJuKUheinz

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

SAG’S MULTI!

Der mehrsprachige Redebewerb „SAG’S MULTI!“ will seit Beginn Mehrsprachigkeit fördern – bei Gleichwertigkeit aller Sprachen. Und Schüler:innen eine Plattform und Forum geben, ihre Gedanken in Deutsch und jeweils einer anderen Sprache zu Gehör zu bringen.
Im 13. Jahr des Bewerbs, dem zweiten in dem der ORF „SAG’S MULTI!“ hostet, starteten im Herbst 410 Jugendliche aus 160 österreichischen Schulen – mit insgesamt 39 verschiedenen Sprachen. 161 redeten sich ins Bundesfinale – sie alle sind Sieger:innen. Dennoch werden bei der Schluss-Gala im Wiener Rathaus am 26. Juni Preise vergeben.
Vorgestellt werden die Preisträger:innen von Alumni, vormaligen Preisträger:innen, deren erfolgreiche weitere Wege ebenfalls präsentiert werden.
sagsmulti

In der ORF-TVthek können die Finalrunden nachgeschaut werden