Lokalaugenschein bei einem spannenden Workshop zur Finanzbildung im Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum (Wien).
Eine hölzerne Tribüne im Hintergrund, schräg davor ein großer Flat-Screen. Zwischen Eingang und der Tribüne befinden sich zwei Roulette-Spieltische. An der Fensterfront zwischen Tribüne und einem der Spieltische stehen vier Hometrainer und hinter diesen vier einigermaßen schwer wirkende Rucksäcke.
Natürlich wird geradelt und gespielt in diesem ehemaligen Schul-Turnsaal, der schon lange Teil des Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums in der Wiener Vogelsanggasse ist – und nicht immer so ausschaut wie eingangs beschrieben, denn der Saal ist flexibel umzugestalten – vom Vortrags- eben bis zu einem Workshop-Raum. Und ein solcher findet im hier geschilderten Ambiente statt – COCO Fin heißt das „Mitmachlabor für bewusste und zukunftsfähige Finanzbildung“ für Schulklassen, in dem Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… eine dritte Klasse der Handelsakademie des BFI (Berufsförderungsinstitut bzw. neu gedeutet: Bildung. Freude Inklusive) begleiten darf.
Die actionreichste Einheit in den rund zwei Stunden spielt sich auf den besagten Standrädern und einem vor den Spieltischen dazwischen vorübergehend aufgebautem Parcours statt. Auf ersteren treten Jugendliche mit dem schweren geschulterten Gepäck in die Pedale was das Zeug hält. Auch wenn keine Anzeige am Display läuft – es gilt möglichst schnell die Fracht zu einem (hier fiktiven) Zielort zu bringen.
Auf dem angesprochenen Rundkurs auf ausgelegten Matten müssen die Kolleg:innen schwere Bälle von einer zum anderen tragen, am besten laufend, oder über weitere Distanzen die Bälle schupfen. Später gibt’s noch „Verschärfung“ – den Bot:innen werden entweder schwere Jacken übergezogen oder gewichtige Bänder an Armen und Beinen angebracht.
Schwere Jobs mit viel Stress und in der Regel nicht gerade gut bezahlt. Und dennoch steigen einige besser, andere noch viel schlechter aus. Denn die einen hatten Karten mit „ArbeitnehmerIn“, andere als „freie Selbstständige“ und die dritten als „freie DienstnehmerIn“ gezogen. Jene mit den beiden zuletzt genannten Karten haben beispielsweise weder Anspruch auf Urlaub noch auf ein 13. Und 14. Monatsgehalt. Und sie kriegen auch nichts bezahlt, wenn sie krank sind – Ansprüche, die Arbeiternehmer:innen sehr wohl haben. Das mit „freier Zeiteinteilung“ in den beiden anderen Beschäftigungsverhältnissen ist übrigens ähnlich wahrscheinlich wie die Existenz von Christkind oder Weihnachtsmann.
Gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit ist übrigens auch in Sachen Frauen- und Männerlöhne/ -gehälter zwar eine jahrzehntelange Forderung, schiene im 21. Jahrhundert doch eine Selbstverständlichkeit. Aber wie steht’s darum? Das ist eine der Fragen, die die beiden Moderator:innen Johanna und Tobias in Phasen stellen in denen die Schüler:innen auf der Tribüne Platz nehmen. Mit Hilfe eines digitalen Abstimmungskästchens beantworten die Jugendlichen die Fragen – Ergebnis auf dem oben angesprochenen Monitor sichtbar. Bei dieser und den anderen Fragen handelt es sich aber keineswegs um schulische Tests. Vor allem wird über die jeweiligen Themen diskutiert. Alle Schüler:innen der Klasse beim Lokalaugenschein fänden die gleiche Bezahlung erstrebenswert – 100 zu 0 (null) ist das prozentmäßige Ergebnis auf die Frage: „Sollen Männer und Frauen gleich viel verdienen?“. Die Realität verweist das Resultat leider noch in den Bereich von Wunschdenken – oder Hoffnung, Anstreben…
Übrigens: Unterschiedliche (Start-)Bedingungen sind schon Inhalt des allerersten Spiels nach der Begrüßung auf der Tribüne, wo es für Antworten und Beiträge Spiel-Jetons gibt. Danach ziehen die Schüler:innen (der Workshop ist ab 14 Jahre) unterschiedliche Karten. Die einen haben Eltern mit Eigentumswohnung(en), andere sind auf Mindestsicherung angewiesen. Und das bedeutet im Spiel, in dem ein auf den Boden gelegtes Band die „Financial Start Line“ anzeigt, dass etwa die Erstgenannten zwei Schritte nach vor und die zuletzt Angeführten mindestens einen Schritt zurück gehen müssen. Durch diverse (Aus-)Bildungen können die Jugendlichen Schritte nach vor gehen – ihre Handelsakademie bringt da doch einiges.
Aber nicht nur dafür, das Moderations-Duo ist ganz hin und weg als es um unser Steuersystem geht und die progressiven Stufen – das heißt ansteigenden Steuersätze ab verschiedenen Einkommenshöhen. Und schnell wie auf TikTok wissen sie: Wer knapp über 90.000 € im Jahr verdient, zahlt dennoch nicht für das gesamte Einkommen die Hälfte an Steuern, sondern nur für jene Tausender, die über dieser Grenze liegen und genauso für die ersten 11.000 € wie alle anderen nichts, und in der Folge die entsprechenden Prozente (11.000 bis 18.000 – 20 % usw. – s. https://www.finanz.at/steuern/lohnsteuertabelle/)
Unterschiedliche Startbedingungen und Ungleichheiten wie sie in den verschiedenen dargestellten Spielstationen erlebt werden können, sind ein Teil der Finanzbildung, die beim Workshop im Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum mehr und sogar eher zur Sprache kommen als in anderen Angeboten im Rahmen der „nationalen Finanzbildungsstrategie“ des Finanzministeriums.
Aber es geht nicht nur um gesellschaftliche Rahmenbedingungen, sondern natürlich auch, um den Umgang mit den (eigenen) Finanzen. Dafür stehen die Spieltische bereit. Und trotz unterschiedlicher Ausgangsbedingungen geht es in einem ersten Spiel darum, mit dem zur Verfügung stehenden (Spiel-)Geld zu haushalten – zu checken, dass erst Grundbedürfnisse wie Wohnen, Energie, Essen usw. finanziert werden sollten/müssen, bevor Elektronik oder Fahrzeuge an der Reihe sind – oder sein sollten.
Wenn dann noch was übrigbleibt, geht’s wirklich ab ins zweite Spiel vor dem Roulette und ums Zocken – setzen auf Zahlen oder auf Kryptowährungen usw. – auch die kommen zur Sprache.
„Wir kommen von einer Handelsakademie, da war natürlich vieles schon bekannt, dennoch war es eine spannende Abwechslung, manches auch spielerisch zu erfahren“, resümiert etwa Emre Üner gegenüber Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…
Sein Kollege Thomas Schmölz ergänzt: „Einiges haben wir dennoch dazu gelernt.“
Und Valentina Isljami, die sich in den zwei Stunden davor durch besonders viel Wissen ausgezeichnet hatte, meinte: „Der Workshop war interessant und durch die auch spielerische Form der Vermittlung passt man sicher auch mehr auf als in Schulstunden.“ Sie selbst, die derzeit neuen Stunden wöchentlich neben der Schule im Einzelhandel arbeitet und damit ihr Pflichtpraktikum absolviert, interessiert sich am meisten für Betriebswirtschaftslehre und die naturwissenschaftlichen Fächer.
Übrigens trenden auf TikTok Videos unter „Cash-Stuffing“ (Geld-Füllung). Influencer:innen sortieren Bargeld in Kuverts, die sie mit Ausgaben-Zielen beschriften – von Urlaub über neue Handys usw. Zahlen mit Karte oder Online-Käufe lassen viele rasch den Überblick über ihr verfügbares Geld verlieren. Und so kommt eine jahrzehntelang zurückliegende Uraltmethode zu neuen Ehren.
COCO steht für COnscious COnsumer’s, die bewussten Konsument:innen
Fin steht für Forschen, Interesse zeigen, nachhaltig Wissen aneignen und das rund ums Finanzieren.
Im COCO geht’s also um (nicht nur) deine Finanzen und wie du mittels Geld-Einnahmen und Geld-Ausgaben dein tägliches Leben gestalten kannst.
Außer in den Wiener Schulferien:
Montag bis Freitag jeweils
9 bis 11 Uhr; 11.30 –13.30 Uhr und 14 –16 Uhr
Montag bis Donnerstag auch 17 –19 Uhr
Österreichisches Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum
1050 Wien, Vogelsanggasse 36
Kontakt: 01 545 25 51-10
CoCoFin
Die Teilnahme ist kostenlos!
Übrigens die einzige, in der die Schüler:innen zwischen als zweiter (Fremd-)Sprache (einschließlich Wirtschaftssprache) Italienisch, Französisch und Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch – natürlich neben Englisch und der Unterrichtssprache Deutsch – wählen können
1050, Margaretenstraße 65
Tag der offenen Tür: 21. Jänner 2023
9.30 bis 13.30 Uhr
Und jederzeit im Virtual Open House: schulenbfi -> virual open house
Das österreichische Finanzministerium sammelt alle möglichen Maßnahmen, mit denen Finanzbildung (Finance Literacy) vermittelt werden – das reicht von einer QuizApp von AWAS (Austria Wirtschafts Service), die u.a. auch den Erfinder:innen-Wettbewerb Jugend Innovativ organisiert über Angebote der Nationalbank (ÖNB), von einzelnen Banken usw. – (noch?) nicht enthalten sind die in der obigen Reportage genannten Workshops im Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum.
Ebenso fehlen etwa die sehr konkreten, praxisnahen Unterrichtsformen wie Übungsfirmen in Handelsschulen und -akademien oder das Projekt Junior Companys, in dem Jugendliche für ein Schuljahr Unternehmen gründen, mit denen sie mit realen Gegenständen oder Dienstleistungen handeln.
Die Links hier – immerhin wird ja auch aufgerufen, sich zu beteiligen