… und ihrer Tochter droht Ähnliches, aber…: Wortbild-gewaltiger Roman einer jungen Newcomerin. Buchbesprechung und Interview.
„Höchste Zeit – ein beschönigender Ausdruck für zu spät.“ Nicht selten bringt die junge Autorin höchst komplexe innere Verwerfungen in so treffsicheren knappen Formulierungen auf den Punkt. Noch viel öfter baut Hannah Oppolzer (23) wunderbare Sprachbilder und Denkräume. Diese heben die an sich heftige Geschichte ihres ersten kürzlich veröffentlichten Romans „Verpasst“ auf eine erträgliche Ebene. Heftig ist die Story vor allem, weil sie keine Katastrophenfamilie beschreibt, sondern einen durchaus – leider viel zu häufigen – „normalen“ Lebensweg einer Frau. Den geht diese auf ausgetretenen, vorgegebenen breiten gepflasterten Straßen, sozusagen Trampelpfaden. Denn der Weg zur sprichwörtlichen Hölle ist weniger mit guten Vorsätzen gepflastert als mit dem Beschreiten ausgewalzter Bahnen mit engen Leitplanken.
„Hals über Kopf hat sie sich in ihr Leben gestürzt. Den ersten Mann geheiratet, den sie geliebt hat, weißes Kleid, Hochzeitstorte, dann kam das Kind und mit dem Kind Kindergarten, Schule Geburtstagsfeiern, alles zum rechten Zeitpunkt, so wie es sich gehörte.“ So beginnt eines der Kapitel ungefähr in der Mitte des Buches. Dieses Kapitel über die End-Vierzigerin – die auf den rund 200 Seiten (natürlich bewusst) namenlos bleibt – war der Ausgangspunkt für einen Text, mit dem die damals rund 17-Jährige ins Finale des Jugend-Schreibbewerbes texte.wien eingezogen ist. (Den hat sie übrigens zwei Jahre später mit einem ganz anderen Text gewonnen – Link dazu am Ende dieses Beitrages.)
Später hat sie – wie Oppolzer im Interview mit Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… sagte (Link dazu am Ende des Beitrages) – immer wieder an diesem Text weitergearbeitet. Und ihn – deutlich gekürzt – heuer im Frühjahr an mehrere Verlage geschickt. Einer reagierte prompt. Ein halbes Jahr später liegt bzw. steht dieser Roman seit kurzem in Buchhandlungen. In den nächsten Tagen liest die Autorin noch bei mehreren Veranstaltungen daraus, bevor sie knapp nach Mitte Oktober nach Hildesheim zieht, wo sie nach ihrem Germanistikstudium in Wien nun den Master in literarischem Schreiben und Lektorieren machen wird (vier Semester).
Für den Roman hat sie sich neben der namenlosen 48-Jährigen, die viel „verpasst“ hat, vor allem eine Tochter einfallen lassen. Die Mittzwanzigerin droht auf ähnlichen ausgetretenen Pfaden zu wandeln. Diese hat übrigens letztlich doch – wie auch andere Figuren – Namen bekommen, heißt Emma. Alles steuert auf einen Wendepunkt zu – bzw. wird aus der Perspektive danach erzählt. Der Einschnitt kommt von außen, ist sehr schmerzhaft, soll nicht verraten werden. Nur so viel wird schon gespoilert: Alle bleiben am Leben.
Die äußere Handlung selbst ist in diesem Roman eher nebensächlich. Im Vordergrund steht das unglaublich tiefe Eindringen in die Gedanken- und Gefühlswelt der Hauptfiguren: Emma, ihrer Mutter und ihres Vaters. Zwar jeweils von außen in der dritten Person beschrieben, findest du dich als Leser:in sozusagen im Kopf bzw. in der Brust, dem Bauch der drei Protagonist:innen.
Und tauchst so scheinbar nebenbei doch vor allem in die oben schon angesprochenen literarischen Bilder ein. Eine meiner, vielleicht sogar DIE Lieblingsstelle (S. 155) nachdem Emma sich im Park mit ihrem Vater trifft, der sie zu einem wichtigen, dringenden, persönlichen Gespräch bittet: „Das, was er ihr zu sagen hatte, passt nicht zwischen Wände. Es hätte ihre Wohnung gesprengt und daraus genauso ein Schuttfeld gemacht, in welchem ihr Inneres nun liegt. Sie fragt sich, wer es jemals aufräumen wird, denn sie selbst fühlt sich dazu nicht in der Lage. Er hat ihr den Boden unter den Füßen weggezogen, hält ihr seine Hand hin, aber sie schafft es nicht, sie zu ergreifen. Und Emma fällt.“
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Text: Hannah Oppolzer
Verpasst
200 Seiten
Braumüller Verlag
22 €
hannah-oppolzer.at
16. Oktober 2023; 19 Uhr
Haus der Kunst: 2500 Baden, Kaiser-Franz-Ring 7
18. Oktober 2023; 19 Uhr
Buchhandlung Kral: 2560, Berndorf; Hernsteinerstraße 3/1
5. April 2024
Stöhrs Lesefutter
2514 Traiskirchen, Otto Glöckel-Straße 2-4
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