Kinder Jugend Kultur und mehr - Logo
Kinder Jugend Kultur Und mehr...
Szenenfoto aus "Wir töten Stella" im Theater Spielraum
Szenenfoto aus "Wir töten Stella" im Theater Spielraum
17.02.2024

Alle sehen das Unheil kommen – und schauen weg

Marlen Haushofers parabelhafte Novelle „Alle töten Stella“ in einer mehr als gelungenen Inszenierung im Theater Spielraum (Wien).

Minutenlang sitzt sie wie eine Statue da. Und drückt schon aus was sie als ersten Satz sagen wird. Und was sich die 1¼ Stunden durchziehen wird – auch wenn er äußerlich nicht stimmen mag. Aber innen drin in ihr, in der Hauptfigur. In Anna, der Erzählerin, der Schreiberin von „Wir töten Stella“, einer dichten, oft atem-beraubenden und sogar parabelhaften rund 50 Seiten-Novelle (je nach Ausgabe) von Marlen Haushofer.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wir töten Stella“ im Theater Spielraum

Reduziert auf den Hauptstrang und mit einer Figur weniger (Annas Tochter Annette) ist eine dramatisierte Version dieser Erzählung nun im Theater Spielraum (Wien-Neubau) zu erleben. Wahrhaft zu erleben – das macht die Bühnenfassung, das Schauspielensemble sowie nicht zuletzt die Bühne, die Kostüme und die Ausstattung sowie das Lichtkonzept.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wir töten Stella“ im Theater Spielraum

„Ich bin allein.“ Das ist auch der erste Satz der Novelle. Getreu dem Motto dieses kleinen, feinen Theaters im ehemaligen Erika-Kino „Wir nehmen Texte beim Wort“ hält sich die Bühnenfassung praktisch ausschließlich an die Worte Marlen Haushofers. Die Co-Chefin des Theaters, Nicole Metzger, die hier auch Regie führte, hat sie „nur“ in Dialoge der handelnden Personen aufgeteilt – manchmal mit Wiederholungen, bzw. ganz wenigen Hinzufügungen. So wiederholen im Stück Annas Ehemann Richard und ihr Sohn Wolfgang den Satz – aus der Außenperspektive „Du bist allein.“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wir töten Stella“ im Theater Spielraum

Bürgerliche Fassade

Egal ob allein auf der Bühne oder mit den beiden Familienangehörigen und der später vorübergehend bei ihnen wohnenden Stella – Alice Schneider lässt diese Einsamkeit auch mitten unter den anderen spüren. Aber auch ihr Grübeln, ihr Nachdenken – immerhin schreibt diese Anna gerade rückblickend über die Katastrophe, die getötete Stella. Und hält nicht einmal das Leben in Form eines kleinen piepsenden Vogels im Garten vor ihrem Fenster aus. Ist innerlich, emotional auch irgendwie tot.

Eingebettet in diese Familie ist sie auch mittendrin allein. Der Ehemann liebt sie, „weil du mir gehörst“. Der Sohn, den sie mit Liebe überschütten will, wendet sich ab, weil er als einziger die bürgerliche Fassade nicht aushält und auch körperlich Unbehagen über die Verlogenheit verspürt.

Rücksichtsvolles „Unglück“

Und dann ist da noch die Tragödie rund um die titelgebende Stella. Die jugendliche/jung erwachsene Tochter einer Freundin der Mutter, die nun für einige Monate bei Anna, Richard, Wolfgang (und in der Novelle Annette) wohnt. Richard, erfolgreicher Anwalt (fast unanagreifbar teflonartig kalt und gefühllos Peter Pausz), hat stets Affären – über die Anna „hinwegsieht“, wenngleich wegriechen über verschiedene Parfums nicht funktioniert. Und so kommt es wie es kommen muss, trotz anfänglicher Abscheu der neuen Mitbewohnerin gegenüber – natürlich! Und schwanger wird sie obendrein. Aber sie ist so feinfühlig, das Fassaden-Konstrukt der heilen, bürgerlichen Familie nicht zu zerstören, tritt vom Gehsteig auf die Straße, lässt sich von einem LKW überrollen… „Es war so rücksichtsvoll von Stella, wie zufällig vom Gehsteig zu treten, so dass man ein Unglück annehmen kann… Stella konnte sich nicht anpassen und musste untergehen.“

Ein besonderer Kniff Metzgers: Sie lässt Stella (Isabella Kubicek vermittelt die Achterbahn ihrer Gefühlswelt in diesem Haushalt) immer wieder sich selbst kommentieren.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wir töten Stella“ im Theater Spielraum

Sich selbst aus dem Weg geräumt

„Wir haben Ursache zur Dankbarkeit. Wie peinlich wäre es gewesen, hätte sie Schlafpulver genommen oder sich aus dem Fenster gestürzt. Sie hat uns allen die Möglichkeit geschenkt, an ein sinnloses Unglück zu glauben“, sagt Anna. Klagt aber anschließend „Aber was nützt mir das, wenn der Einzige, der es wirklich hätte glauben müssen…“ – „…es nicht glaubt und niemals glauben wird.“ (Wolfgang stets mit einer dicken Komplettausgabe von Homers Ilias und Odysee – Edward Lischka lässt seine körperliche Abneigung gegen die Fassadenfamilie stets spüren).

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wir töten Stella“ im Theater Spielraum

Alle hätte alles wissen können

Vor dem Hintergrund dieser vordergründigen bürgerlichen Fassaden-Familien-Tragödie malte Marlen Haushofer das sozusagen zwischen den Zeilen immer wieder hindurchschimmernde – auch (gesellschafts-)politische Bild des Wegschauens. Alle spüren, ahnen, ja wissen, worauf die Konstellation hinauslaufen wird, machen sich selber und allen anderen rundum vor, niemand weiß, welches Drama da wirklich abläuft. „Wir töten Stella“ (1958 veröffentlicht) kann auch viel weitergehend interpretiert werden. „Im jungen Mädchen Stella nämlich gestaltet die Autorin eine poetische Konkretion sowohl der Situation der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft wie des Juden im faschistischen System. Auf das Judenschicksal verweisen außer ihrem Namen (Stern) ihr Dasein als Fremde in der Familiengemeinschaft sowie ihr Tod“, heißt es im Text von Irmgard Roebling über diese Novelle (Landesverlag Linz 1991). Dieser ausführliche – und doch gekürzte – Text findet sich in dem – wie immer umfangreich-hintergründigen – Programmheft des Theaters, in dem sich u.a. auch Elfriede Jelineks für die Demo „Demokratie verteidigen“, „gegen Rechts“ geschriebenen Rede „Ich höre ein Ungeheuer atmen“ findet.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wir töten Stella“ im Theater Spielraum

So duchsichtig

Und diese tiefere, weitergehende Dimension spiegelt sich vielleicht am Stärksten in der Bühne und Ausstattung, die – wie fast immer im Theater Spielraum – ausgetüftelt von Anna Pollack stammt. So liest Richard andauernd in einer Zeitung aus einigen durchsichtigen völlig unbedruckten Folien. Die Vorhänge, die Spielfläche auf einem Podest und das Außen trennen sind voll durscheinend. Alle hätten zu jeder Zeit alles sehen können, nein sogar müssen. Haben es nicht sehen wollen, weil sie trotz offener Augen weggeschaut haben. Selbst die beiden Sessel und der Hocker sind aus durchsichtigem Kunststoff – und werden erst durch das Wegwischen teilweise blutrot!

Unterstützt wird das Spiel des Quartetts, das an manchen Stellen des Textes auch Raum für Humor gibt, dessen Lachen mitunter im Hals stecken bleibt, nicht zuletzt auch durch die Lichtstimmungen (wie fast immer von Tom Barcal programmiert). Was dem heftigen Stück, dass alle Beteiligten praktisch sehenden Auges Stella in den Tod treiben – oder wenigstens nichts gegen die sich anbahnenden Katastrophe unternommen haben – noch einen Gänsehaut-Schauer aufsetzt war der Satz eines Besuchers (ein Sohn der Autorin): „Sie konnte nichts schreiben, was sie nicht selbst erlebt hat.“

Follow@kiJuKUheinz

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Wir töten Stella

Erzählung von Marlen Haushofer
Bühnenfassung für das Theater Spielraum von Nicole Metzger
80 Minuten (keine Pause)

Anna: Alice Schneider
Richard, ihr Mann: Peter Pausz
Wolfgang, ihr Sohn: Edward Lischka
Stella: Isabella Kubicek

Regie: Nicole Metzger
Bühne und Kostüme: Anna Pollack
Licht: Tom Barcal

Aufführungsrechte bei Felix Bloch Erben GmbH & Co KG, Berlin

Wann & wo?

Bis 9. März 2024; Mittwoch – Samstag; 20 Uhr
Theater Spielraum: 1070, Kaiserstraße 46
Telefon: 01 713 04 60
theaterspielraum -> wir-toeten-stella

Buch – Leseprobe

marlenhaushofer -> Wir_toeten_Stella.pdf