„The Orlando Project“ geht von Virginia Woolfs Roman eines jungen Mannes, der zur Frau wird, aus und führt mit einer eigenen App zu Augmented Reality-Kunstwerken und Performances.
Dass Menschen mit intensivem Blick auf ihr SmartPhone durch die Stadt gehen, hin und wieder stehen bleiben, ohne sich umzuschauen oder auf anderes zu achten als die Töne aus ihren Kopfhörern in welcher Form auch immer, ist nichts Besonderes. Selbst wenn sie in kleineren Gruppen vor einem Gebäude stehen lassen, hin und wieder auf dieses, dann wieder aufs Handy-Display starren – eher alltäglich. Vielleicht hören sie noch Infos zum Gebäude oder darüber, was in diesem alles passiert ist oder sein könnte.
Nun, zwischen 25. August und 3. September 2023 (vorerst) könnten es Teilnehmer:innen von „The Orlando Project“ sein. Du könntest/Sie können auch selber bei diesem (digitalen) künstlerischen Spaziergang mitmachen. Ausgehend von dem Roman „Orlando“ der berühmten britischen Schriftstellerin Virginia Woolf (1882 – 1941) haben Ece Anisoğlu und Julia Pacher – mit einer Reihe weiterer Künstler:innen (siehe Info-Box) ein komplexes digitales Theaterprojekt ausgedacht, konzipiert und organisiert.
An fünf – bewusst ausgewählten – Stationen sind auf den Displays über eine eigens dafür programmierte (noch nicht öffentliche) App digitale Kunstwerke zu sehen und mindestens genauso wichtig neu geschriebene Texte zu hören (in vier der fünf Stationen, in einer auf Englisch). Diese sind von Passagen des Romans an, in dem die Autorin einen breiten historischen Bogen baute. Denn ihr Orlando, der als junger Mann im 16. Jahrhundert zur Zeit von Königin Elisabeth, der Ersten, aufwächst, lebt deutlich mehr als 300 Jahre; zumindest bis ins Erscheinungsjahr des Romans 1928. Da fährt sie – denn irgendwann dazwischen wacht Orlando eines Tages als Frau auf – Automobil.
Diese Verwandlung von Orlando, der/die übrigens Autor/in ist und eine Biographie schreibt – gut 100 Jahre bevor genderfluid verbreitetes Thema wurde, war der inhaltliche Ausgangspunkt für das Künstlerinnen-Duo, das sich bei der gemeinsamen Arbeit im Theater in der Josefstadt kennengelernt hatte – Julia Pacher im Bereich Regie, Ece Anisoğlu als Bühnenbildnerin. „Dass diese Verwandlung schon vor 100 Jahren in der Literatur stattgefunden hat, hat uns beiden sehr gut gefallen“, sagt Erstere im gemeinsamen Gespräch mit Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… Der Schreiber dieser Zeilen durfte bei einer Preview eine Woche vor der Premiere die Tour vom Schwedenplatz bis zum MuseumsQuartier mitmachen, es war – in der Theatersprache – die Hauptprobe 2. Als sie an diesem Projekt zu behirnen begonnen haben, so setzt Ece Anisoğlu fort, „wollten wir von Anfang an ein neues Format, eine neue Ausdrucksform schaffen. Wie können wir mit Hilfe von Augmented Reality, einem Bereich in dem ich schon jahrelang arbeite, Theater neu erzählen.“
Und deswegen lud das Duo in der Folge unterschiedliche Künstler:innen aus verschiedensten Sparten ein – vom Text-Schreiben über Video- und Visual Art (Kunst), Erzählkunst, Tanz und Performance. Ausgehend von jeweils einer der von uns ausgewählten Roman-Passagen „haben wir uns gemeinsam mit den dafür gesuchten Künstler:innen überlegt, wie die Geschichte vielleicht anders ausgedrückt werden könnte in Kombination von Text, Storytelling, Musik, Stadtbild, digitaler Kunst, die vielleicht Türen öffnen zu einer anderen Realität oder Sichtweise.“ (Ece Anisoğlu)
„Wir kommen beide aus dem klassischen Theaterbereich und wollten größer denken, und stärker interdisziplinär denken.“ (Julia Pacher)
„Mit dieser Digitalität können wir einerseits sozusagen den Bühnenraum stark erweitern, aber auch eine andere Wahrnehmungsebene erzeugen. Es war auch für uns selbst interessant zu entdecken, wie wir damit eine Magie oder Illusion erschaffen können. Die Stadt, die Gebäude haben schon eine Geschichte. Wir erzeugen künstlich etwas Zusätzliches.“ (Ece Anisoğlu)
Die beiden hatten die Idee schon vor der Pandemie, letztere erleichterte nur die Realisierung stark, weil es neue, zusätzliche Mittel aus dem Kunst- und Kulturbudget des Bundes für digitale Formate gab. Aus 800 Einreichungen in diesem „Topf“ wurden 26 ausgewählt und gefördert – eines davon ist „The Orlando Project“, weshalb die Tour für Kunst-wanderwillige kostenlos ist.
Die Texte wurden/werden in die Jetztzeit geholt, neu interpretiert, insbesondere aus heutiger Sicht doch längst problematische Sichtweisen von vor 100 Jahren werden zurechtgerückt. Die analoge Wanderung zu realen Orten und Gebäuden aus unterschiedlichen Epochen, erweitert um digitale Kunstwerke, dauert rund 1 ½ Stunden, beginnt mit kleinen virtuellen Kunst-Fenstern auf dem Display in der Griechengasse oberhalb des Schwedenplatzes, führt zu sehr fantasievollen 3D-Bäumen im Schweizerhof des Hofburgareals, zu denen der Text von den Gedichtschreib-Versuchen Orlandos über eine Eiche erzählt.
Station 3 führt zur Rückseite des Weltmuseums. Orlando ist in Konstantinopel, wo eines Nachts die Geschlechtsverwandlung stattfindet. Und sich sozusagen Unisex-Pluderhosen angezogen. Allerdings galt es für sie nun, sich mit der neuen Lage auseinander zu setzen…
Station vier beim Rosengarten im Volksgarten bringt einen Ausflug in ganz andere Welten – begleitet von einer Opernarie und der Abschluss im MuseumsQaurtier an der Seitenfront zum Architekturzentrum eröffnet eine völlig neue Dimension dieser Fassade im von Mariya Peleshko produzierten, von Manuel Biedermann animierten Video einer Performance der Drag Queen, Comedian, Mode-Kunst-Performerin Metmorkid (Mix aus Metamorphose/Verwandlung, Orchidee und Club Kid-Kultur.
Viel mehr sei jetzt aber nicht verraten – höchstens noch: Die Lektüre des Romans kann hilfreich sein, ist aber keinesfalls Voraussetzung, die hier eingangs beschriebene Grundsituation reicht. Und es ist jedenfalls empfehlenswert, sich auf die ohnehin recht kurzen (vier bis sechs Minuten) Videos und Texte einzulassen, um wirklich in diese Welten eintauchen zu können. Aber dann ist es ein spannendes, interessantes anderes Erleben von Verschmelzung von Stadt, Theater, Video, Audio, Performance in einer multimedialen Erzählung.
Verschmelzung von Theater und Augmented Reality in den Straßen Wiens
Verein „Glass Circle”
Konzept & Leitung: Ece Anisoğlu, Julia Pacher
Regie Format Konzept, Dramaturgie: Julia Pacher
XR Theater Format Konzept, digitales Bühnenbild, Kostümbild: Ece Anisoğlu
Autorinnen: Sophie Steinbeck (Station 1, 2, 4), Nour Shantout (Station 3)
Musikalische Leitung: Aras Levni Seyhan
Video Art: Claudia Virginia Dimoiu
Visual Art: Simon Goritschnig
Tanzperformance: Theo Emil Krausz
Visual Art und Audio Narration: Nour Shantout
Opern-Performance: Cosima Büsing
Performance: Metamorkid
Audio Narration: Lara Sienczak
2D Animationen: Manuel Biedermann
App UI & UX Design: Deniz Örs
App Entwicklung: VARS
Videoaufnahmen S3, S4, S5: Mariya Peleshko
Grafik, Design, Branding: Sarah D’Agostino
Produktionsleitung: Ece Anisoğlu, Julia Pacher
Junior Produktionsleitung: Lisa Anetsmann (1. Teil bis Juli 202)
25. August bis 3. Septemeber 2023
Timeslots zwischen 17:00 Uhr und 19:20 Uhr
Tourstart: 1010 Wien, Griechengasse
Anmeldung hier