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Probenfoto bei "Totentanz" im Rahmen des Festivals "Europa in Szene" in den Wr. Neustädter Kasematten
Probenfoto bei "Totentanz" im Rahmen des Festivals "Europa in Szene" in den Wr. Neustädter Kasematten
13.09.2022

Das Publikum muss die Gefühle der Bühnenfiguren spüren können

KiJuKU-Probenbesuch bei August Strindbergs „Totentanz“ – in der Version eines jungen Regisseurs im Rahmen des „Wortwiege“-Festivals „Europa in Szene“ in den Wr. Neustädter Kasematten.

Weißes Piano, sehr helle ausgezogene Sitz-Liege und ein fast zu schweben scheinender Zeichentisch. In diesem Ambiente, fast wie aus einem der Möbelhäuser zusammengekauft, machen sich Nils Hausotte und Annina Huntziker sowie Lukas Haas daran, Passagen aus dem zweiten Teil von August Strindbergs „Totentanz“ zu proben. Regisseur Uwe Reichwaldt hat eine Fasssung geschrieben, in der er beide Teile zu einem Stück zusammenfügte. Eine Art Wiederholung des Ehe- bzw. Beziehungsmartyriums gegenseitiger Verletzungen in der nächsten Generation als Wiederholung eines Teufelskreislaufes.

Probenfoto bei
Probenfoto bei „Totentanz“ im Rahmen des Festivals „Europa in Szene“ in den Wr. Neustädter Kasematten

Spiegelung

Die kühle zeitgenössische Einrichtung ist eine gespiegelte Version der alten Einrichtung im hinteren Teil der Bühne in einem der schmalen Gänge in den Kasematten. Da spielt sich das Drama zwischen Edgar und Alice ab, die seit 25 Jahren verheiratet sind und immer wieder mehr oder minder unverblümt zum Ausdruck bringen, dass sie es lieber nicht wären, ja wie Alice sagt – am besten nie einander kennengelernt hätten.

Art Rückblende

Dieser erste Teil – mit alten Möbeln aber spiegelverkehrt eingerichtet – ist die meiste Zeit nicht direkt zu sehen. Zwei Kameras filmen im hinteren Teil und das Geschehen wird live auf einen Vorhang zwischen alter und neuer Wohnung projiziert. Damit erschient das Live-Schauspiel Als eine Art Rückblende, erklärt der Regisseur dem Journalisten, der ein paar Stunden an einem Sonntag den Proben aus Strindbergs zweitem Teil zusehen darf.

Probenfoto bei
Probenfoto bei „Totentanz“ im Rahmen des Festivals „Europa in Szene“ in den Wr. Neustädter Kasematten

Alice und der Dauerbesucher Kurt scheinen sich gut zu verstehen, Edgar, der Hauptmann auf der Insel und Ehemann von Alice kommt zurück nach Hause. Und checkt sehr wohl, dass er nicht gerade erwünscht ist. Wie zeigt er das, wie reagieren Alice und Kurt? Bevor das Schauspieltrio das szenisch proben kann, erklärt der Regisseur ausführlich die Gefühlslagen der handelnden Personen. Womit die Schauspieler:innen sich natürlich auch schon längst beschäftigt haben und die Gefühlslage der Figuren aus ihrer Sicht ergänzen. Lieber würden sie es aber jetzt einmal spielen, in der körperlichen Aktion ausprobieren, ob sie das so rüberbringen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus einer der Endproben zu „Totentanz“ im Rahmen des Festivals „Europa in Szene“ in den Wr. Neustädter Kasematten

Erklärungen

Insbesondere in der ersten Probenphase, der Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … beiwohnen darf, neigt der junge Regisseur vielleicht ein bisschen zu oft, ausführlich die Personen, Handlungen und Hintergründe zu erklären. Vielleicht ein Ausfluss dessen, dass er mit seiner „Totentanz“-Version – in einer abgespeckteren Version – das renommierte Max Reinhardt Seminar erfolgreich abgeschlossen hatte. Es war sein Diplomprojekt. Übrigens wurde Strindbergs „Totentanz“ erst in der Inszenierung von Max Reinhardt einige Jahre nach der Uraufführung zum Erfolg.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus einer der Endproben zu „Totentanz“ im Rahmen des Festivals „Europa in Szene“ in den Wr. Neustädter Kasematten

Im Spiel suchen und finden

Dennoch vermittelt sich dem – in dem Fall einzigen – Zuschauer keinesfalls ein hierarchisches Verhältnis. Uwe Reichwaldt ordnet nicht an, was Lukas Haas, Annina Huntziker und Nils Hausotte tun sollten. Dass er da mitunter zu lange monologisiere, merkt er auch selbstkritisch an.

„Lass es uns im Spiel finden!“, bitten die drei Schauspieler:innen in Richtung Regiepult. Und sobald das Trio ins szenische Proben kommt, beginnen die Dinge auch zu flutschen. In Varianten wiederholen sie dieses Ankommen Edgars, den Versuch des geheimen Spiels zwischen Alice und Kurt – samt dem Wissen, dass der/die anderen ohnehin checken was läuft.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus einer der Endproben zu „Totentanz“ im Rahmen des Festivals „Europa in Szene“ in den Wr. Neustädter Kasematten

Lob „einbrennen“

„Da war schon vieles dabei, was sie wirklich fühlen, worum sie wirklich kämpfen, aber es ist noch nicht ganz klar fürs Publikum!“ Sätze wie diese kommen immer wieder vom Regie-Pult, auf dem neben Reichwaldt auch Regie-Assistenz Manuel Horak sitzt und das eine oder andere einbringt.

Das Machtspiel zwischen Edgar und Kurt, dessen unausweichliche Niederlage und die scheinbar gelassene Reaktion, um sich ja nicht auf das tiefe Niveau des Widersachers einzulassen – in immer wieder neuen Varianten proben die Schauspieler:innen. „Ja!“ „Genau so!“ lässt der sich nun stärker zurückhaltende Regisseur los.

Ob das nicht auch irritiere, fragt der Rezensent in der folgenden Probenpause. „Nein, gar nicht“, tönt’s fast im Chor. So präge sich das Gelungenste direkt in Körper und Geist ein.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus einer der Endproben zu „Totentanz“ im Rahmen des Festivals „Europa in Szene“ in den Wr. Neustädter Kasematten

Gefühle spüren lassen

Oft sind es kleinste Bewegungen, feinste Nuancen in Blicken oder den Stimmen woran das Trio arbeitet. Immer im Bemühen, die jeweiligen Gefühle ihrer Figuren so zu spielen, dass das Publikum sie fühlen kann – mitunter knapp vor dem Zerreißen, Explodieren… – und sie nicht flach und plakativ auszuspielen.

Eine der nächsten Szenen, deren Entstehungsprozess KiJuKU zuschauen darf ist die Verwandlung von Huntziker und Hausotte – von der Darstellerin der Alice in Edgars Tochter Judit sowie von Kurt in dessen Sohn Allan. Wenige, dezente Wechsel von Teilen der Garderobe, vor allem aber solche in der Körperhaltung. Und doch nicht zu viele. Denn im Prinzip, so Strindbergs- und verstärkt noch Reichwaldts These/Ansatz: Wiederholungstäter:innen. Die nächste Generation bricht (zu) selten aus „ewig“ eingelernten Verhaltensmustern aus.

Festival UND „Reden“

Gespielt wird „Totentanz“ ebenso wie „Coriolanus“ (Shakespeare in der Fassung von Azelia Opak; siehe auch Rezension der Diplomprüfungs-Aufführung – Link unten) in den Wr. Neustädter Kasematten, einer ehemaligen Wehranlage, die seit der Renovierung vor drei Jahren von der „Wortwiege“ bespielt wird. Nach „Bloody Crowns“ über Aufstieg und Fall von (Königs-)Reichen steht das nun anstehende Herbstfestival unter dem Motto „Europa in Szene“. Neben den beiden genannten – neu von jungen Regisseur:innen bearbeiteten – Dramen-Klassikern stehen noch wie auch schon in den vorherigen Festivals zahlreiche Diskussionen auf dem Programm. Und heuer neu: Unter dem Titel „Reden“ performen Schauspieler:innen bedeutende historische und zeitgenössische Reden jeweils zu einem Thema – mit anschließender Analyse und Diskussion.

Den Auftakt macht (am 16. September 2022) – aus leider aktuellem Anlass „Krieg“ – mit Wolodymyr Selenskyis „Ansprache bei der Sitzung des europäischen Rates“ (25. März 2022) und Joschka Fischers „Rede zum Nato-Einsatz im Kosovo“ (12. Mai 1999, Bielefeld) schauspielerisch deklamiert von Martin Schwanda bzw. Jens Ole Schmieder.

Follow@kiJuKUheinz

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Totentanz

von August Strindberg in einer Fassung von Uwe Reichwaldt, der auch Regie führt
Eine Produktion der Wortwiege für das Festival „Europa in Szene“

Hauptmann Edgar: Lukas Haas
Kurt / Allen, sein Sohn: Nils Hausotte
Alice / Judit, Edgars Tochter: Annina Huntziker
Tod: Isabella Wolf

Dramaturgie: Marie-Therese Handle-Pfeiffer
Musik: Bernhard Eder, David Gratzer
Bühne: Thomas Garvie, Max Seper
Kostüme: Antoaneta Stereva
Licht: Lukas Kaltenbäck
Maske: Henriette Zwölfer

Regie: Uwe Reichwaldt
Regieassistenz: Manuel Horak
Inspizienz: Simon Schofeld
Ausstattungs- und produktions-Assistenz: Julia Kampichler
Bühnenmeister: Christoph Wölflingseder
Produktion: Christian Mair
Künstlerische Leitung: Anna Maria Krassnigg

Deutsche Stück-Übersetzung: Elisabeth Plessen
Bühnenrechte: Rowohlt Verlag, Hamburg

Wann & wo?

17. September bis 15. Oktober 2022
2700, Wr. Neustadt, Kasematten: Bahngasse 27
wortwiege -> Totentanz