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Anna Maria Krassnigg
Anna Maria Krassnigg
26.09.2021

Diesmal geht’s um mächtige Zweifler an herkömmlicher Macht

Bloody Crwon II Festival in den Wiener Neustädeter Kasematten. Interview mit Regisseurin Anna Maria Krassnigg – samt Ausblick auf 2022.

Zwischen den beiden Stücken „Nussschale“ und Dantons Tod“ traf Kinder I Jugend I Kultur I und mehr … die Regisseurin der beiden Stücke und künstlerische Leiterin der Bloody-Crown-Festials zum Interview.

Wie und warum habt ihr diese beiden Stücke „Nussschale“ und „Dantons Tod“ für das diesjährige „Bloody-Crown“-Festival ausgewählt?
Anna Maria Krassnigg: Wir programmieren ja entlang dem Motto „Bloody Crown – Rise and Fall of Power“ (Blutige Kronen – Aufstieg und Fall von Macht/Mächtigen). Warum soll man das denn dem Fernsehen überlassen. Diese ganzen Geschichten gehören ins Theater. Nachdem es im vorigen Jahr ein bisschen um Europa-Zerfall und den König als Clown Thema Trump – König Johann ging, haben wir gesagt, was uns heuer total interessiert, ist der Zweifel. Wo sind die großen Zweifler, die Umbrüche, Revolutionen auslösen, die an den Mainstream nicht glauben. Und da gibt’s halt zwei große, klassische Figuren von den zweifelnden Helden, die ja nie Helden sind, sondern Antihelden: Danton und Hamlet.

Nachdem wir ja immer ein klassisches und ein zeitgenössisches Stück programmieren und Danton relativ schwer zu aktualisieren ist, weil doch ein Historiendrama, haben wir gesucht, ob’s einen zeitgenössischen Hamlet gibt. Da gibt es alles Mögliche, aber einen wie ich finde sehr witzigen und dramaturgisch aberwitzigen und das ist von meinem sehr geliebten Ian McEwan „Die Nussschale“, die im Grunde ein moderner, ein Neo-Hamlet ist.

Das gibt es aber als Roman, das heißt, ihr habt erst eine Bühnenfassung daraus gemacht?
Anna Maria Krassnigg: Der Karl Baratta, unser Lieblingsdramaturg, der sich unglaublich in den Stoff vertieft hat, weil er diese aberwitzige Idee des noch ungeborenen Hamlet liebt, hat gesagt, „es wäre ein Wahnsinn, wenn wir da die Rechte kriegen würden…“

Am Anfang hat’s nicht so gut ausgeschaut, weil dieser Autor ja auch überall verfilmt wird. Aber wir haben dann durch Glück und Zufall einen direkten Kontakt zu ihm bekommen und sind sofort draufgekommen, wir haben einen sehr ähnlichen Humor. Und dann hat McEwan unserer vergleichsweise kleinen Gruppe die Bühnenrechte gegeben.

Dann ging die Arbeit los, der Karl und ich haben die Bühnenfassung geschrieben.

War von vornherein klar, dass Embryo Hamlet nie auf der Bühne erscheint, sondern als Film eingespielt wird und nicht nur eine Stimme aus dem Off ist?
Anna Maria Krassnigg: Gute, Frage. Die Form dafür zu finden – links und rechts Fettnäpfchen. In dem Moment als wir die Rechte bekommen haben, war mir gleich klar, dass da meine geliebte alte Form der Kino-Bühnen-Show her muss; also nicht eingespielte Videos. Es ist ein voll ausproduzierter Spielfilm. Weil das die einzige Form ist, die zeigt, diese Figur ist in einem eigenen Medium, in einem anderen Universum das zwar mit dem auf der Bühne in Verbindung steht, aber niemals real damit interagieren kann.

Nachdem wir diese Form gefunden hatten, haben wir beschlossen, dann machen wir’s radikal, technisch extremer als wir‘s je gemacht haben.

Das heißt, es war aber von vornherein klar, dass der Embryo ein ausgewachsener Mensch ist?
Anna Maria Krassnigg: Auch, gute Frage. Theater ist ein sehr sinnliches Erlebnis. Diese Riesen-Textmenge aus dem Off? Es war dann auch die Frage, was kriegt ein Ungeborener mit? Welche Welt kann man dafür erfinden für seine Einsamkeit. Dann haben wir gesagt, es muss eine visuelle Welt sein. Und dann die große Frage, wie schaut ES aus?

Da hat uns sehr geholfen, dass der Autor an manchen Stellen sehr eindeutig schreibt, wie sich der Embryo gerne sehen möchte – nämlich als Hamlet, als der 24-Jährige, der die Keule in die Hand nimmt und den Onkel erschlagen will, der seinen Vater tötet. Dieses Bild des vergeistigten verzweifelten Rächers, das ist sozusagen der Prototyp. Dann haben wir gesagt, wir machen eine Fantasie aus diesem Prototypen in einer zeitgenössischen Raumfahrer-Art und -Weise.

Warum diese Raumstation und nicht in einer Blase?
Anna Maria Krassnigg: Wie geht die Bildübersetzung? Das wäre langweilig. Wir haben angesetzt bei dem was McEwan so wichtig war, wie kann man diese Einsamkeit in Bilder übersetzen. Äußerlich zwar im Mutterleib, aber diese Seele ist ja wo. Es gibt ein davor und ein danach – bevor man auf die Welt kommt und ein danach. Er schreibt ja immer wieder auch von den mahlenden Geräuschen und Herztönen und dem Maschinenlärm – den beschreiben ja auch Ärztinnen und Ärzte, dass sich das fürs Baby offenbar anhört wie eine riesige mahlende Maschine. Ich hatte immer das Bild von einem Raumfahrer. Ganz am Anfang hab ich gesagt, wenn ich ein riesiges Budget hätte, würde ich wahnsinnig gerne im Weltall drehen. Dann hab ich gesagt, am meisten interessiert mich der Maschinenraum.

Große Schiffe vielleicht, jedenfalls musste es ein riesiger Raum sein. Und dann hatten wir das irrsinnige Glück, dass unsere beiden Drehorte Partner oder Partner von Partnern dieses Projekts sind – zum einen das AKW Zwentendorf und für die neueren, die eher Science-Fiction-artigen Szenen, dort wo’s um die Geburt geht, das haben wir bei Metastron gedreht. Das ist dieser Teilchenbeschleuniger, wo mit der nächsten Generation von Gamma Knives gearbeitet wird. Das sind diese irrsinnigen Laserstrahlen, die du so genau einstellen kannst, dass du beispielsweise nur den Tumor punktgenau schneidest und kein Gewebe verletzt wird.

Was wäre Plan B gewesen, wenn ihr die Rechte nicht gekriegt hättet?
Anna Maria Krassnigg: Das kann ich dir nicht sagen, wir hätten weitersuchen müssen. Der Roman von Klaus Pohl war noch nicht heraußen, der hat einen neuen Hamlet-Roman geschrieben. Wir hätten sicher geschaut, was an zeitgenössischer Literatur könnte einer modernen Hamlet-Figur nahekommen.

ME steht für ich oder McEwan?
Anna Maria Krassnigg: Super Frage, es steht für ich.

Aber es sind ja auch die Nachnamens-Initialen des Autors.
Anna Maria Krassnigg: Das ist eine geniale Idee, das muss ich meinem Dramaturgen erzählen. Auf die Idee ist noch keiner gekommen. Und das ist insofern genial, weil McEwan als ich ihn gefragt habe, warum sich der Vater eigentlich nicht um das Kind kümmert, warum der so abweisend ist – das haben wir uns immer bei den Proben gefragt, gesagt hat, er habe öfter an Shakespeare selbst gedacht. Dessen Sohn hieß ja Hamnet (starb mit elf Jahren). Shakespeare war ein furchtbarer Vater. Der war halt ständig am Theater und das Kind hat ihn nicht interessiert. McEwan selber ist ein guter Vater, hat zwei Kinder, aber er hat gesagt, Autoren sind oft fragwürdige Väter. Ich hab ihn dann gefragt, ob er der Vater des Embryo ist und er hat geantwortet: „In gewisser Weise schon.“

Der Karl, also unser Dramaturg hat immer wieder gesagt, die Figur ist ein Alter Ego des Autors. Insofern ist deine Frage eine geniale Idee. Aber die ist nicht von uns.

Dann sagt ihm das vielleicht.
Anna Maria Krassnigg: Als wir ihm gesagt haben, dass wir die Figur, die ja bei ihm keine Bezeichnung hat, Me nennen, hat er gelacht, vielleicht hat er ohnehin die Assoziation gehabt.

Was kommt nächstes Jahr?
Anna Maria Krassnigg: So ganz genau weiß ich das nicht, aber ein bissl was schon. Das Verrückte ist ja, dass trotz der Corona-Situation das Land Niederösterreich uns wirklich, wirklich hier haben will und wir tatsächlich eine Budgetvergrößerung haben. Das heißt wir können ein Frühjahrs- und ein Herbstfestival programmieren.

Das heißt, dass ich meine alten Leidenschaften wieder ausgrabe. Man hat ja liebenswürdigerweise öfter gesagt, dass die Wortwiege so etwas wie Trüffelschwein für vergrabene Literatur ist. Wir werden im Frühjahr einen Zyklus machen, der „Verdichtungen“ heißen wird, wo wieder vergrabene, große Literatur rausgeholt wird. Es wird so wie’s jetzt aussieht von einem sehr guten Germanisten eine Neuausgabe von Jeannie-Ebners „Figuren in Schwarz und Weiß“ geben. Das ist ja die ganz große – wenn man jetzt sagt Wiener Neustädter Autorin, dann stimmt das ja nicht mehr, sondern sie ist Weltautorin, die aber jahrelang hier gelebt hat (geboren 1918 in Australien, gestorben 2004 in Wien) ist.

Das ist ein sensationeller Roman, ich kann mir gut vorstellen, dass wir daraus eine szenische Skizze machen, diese absichtlich verschlampte Form, die ich sehr gern mag. Und wir werden wahrscheinlich was zum Grillparzer-Jahr (150. Todestag) machen, etwas Schräges. Das wird das Frühjahr sein.

Im Herbst gibt’s natürlich wieder Bloody Crown. Und wie’s jetzt aussieht, wird da eine Absolvierende von mir, ein ganz tolles Geschöpf, ihren Coriolanus zeigen. Zeitgenossen werden wir noch schauen. Also in Wahrheit steht eh schon relativ viel.

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