„Das fünfte Rad“ – ein Film über „Simorgh“ in Herat, das nicht mehr spielen darf und deren Mitwirkende bedroht und gefährdet sind. Zu Gast beim Dramatiker:innen-Festival in Graz.
Voll verhüllt, wie unter einem Berg von Stoff, erzählt die Frau von ihrem Gefängnis ohne Gitterstäbe. Dabei hatte sie und die anderen elf – aus Sicherheitsgründen komplett namenlos bleiben müssenden – Frauen so viel Hoffnung. So viel Freude am Theaterspielen. Von klein auf. Mit acht, neun Jahren begannen sie im Simorgh-Theater im afghanischen Herat die Lust daran, in andere Rollen zu schlüpfen, Szenen zu erarbeiten, darstellendes Spiel zu lieben.
Aber auch mit Theater die Welt – zumindest für einige Stunden – für andere besser zu machen. Sie spielten und arbeiteten theaterpädagogisch für Kinder in Waisenhäusern ebenso wie für Gefängnis-Insaß:innen. Nun musste sie aus Sicherheitsgründen sogar ihre Identität ändern. „Ich heiße Azar“, sagte sie zu Beginn des knapp mehr als halbstündigen Films „Das fünfte Rad“ – da ist noch alles ganz dunkel.
Noch viel mehr als dass sie nicht einmal mehr unter ihrem richtigen Namen in Erscheinung treten kann, leidet sie darunter, wie all diese ihre Träume, die sie mit elf anderen Theatermachrinnen teilt, zerstört wurden/werden. Und noch viel mehr.
Die letztlich für den Film elf Protagonistinnen können spätestens seit Mitte August des Vorjahres als die Taliban zum zweiten Mal nach 20 Jahren die totale Macht über das Land übernommen hatten – unter Krokodilstränen und Untätigkeit des Westens – oft nicht einmal mehr allein aus dem Haus. Isolationshaft in Wohnungen. Im „besten“ Fall. Ihre Zwangs-Einsamkeit überwinden sie phasenweise mit Handy-Telefonanten untereinander. Sicherheitshalber, so erzählt eine der Untergrund-Theaterfrauen, löschen sie alle einmal am Tag all ihre Kommunikationsdaten.
Montiert mit Texten aus Gedichten Bertolt Brechts – „Lesebuch für Städtebewohner“ und „Verwisch die Spuren“ – erzählen die Frauen vom Alltag im Leben seit fast einem Jahr. Auf Dari von unverhüllten Frauen der Theatergruppe sowie auf Deutsch von Tahera Hashemi. Sie hatte in Herat zum Theater gefunden und später die jetzigen Frauen als sie noch Kinder waren in Workshops ihnen diese Kunstform näher gebracht. Seit einem Jahrzehnt ist sie Schauspielerin in Deutschland. Und fühlt sich auch ihren einstigen Schülerinnen verpflichtet. Wobei nein, Pflicht stimmt nicht überein mit dem was sie ausstrahlt. Ihr ist es ein Anliegen, vielmehr ein Bedürfnis, dass nicht auf das Schicksal dieser und der meisten anderen Frauen in Afghanistan vergessen wird.
Daher tourt sie mit diesem Film, den Soliman Saien aus den Handy-Videos der Frauen und ihren deutschsprachigen Brecht-Rezitationen montiert hat und von Robert Schusters produziert wurde zum Brecht-Festival im deutschen Augsburg eingeladen war. Die 35 Minuten berühren sehr, gehen nahe, rühren so manche zu Tränen – von Trauer, aber auch Wut. Hashemi und Saien wollen einerseits aufmerksam machen und sammeln andererseits Unterstützung, Hilfe und Spenden. Hashemi und Saien setzen alle Hebeln in Bewegung, um diese elf Frauen aus der Gefahrenzone herauszubringen, appellieren die beiden eindringlich an das Publikum und bitten um Unterstützung. Mögliche Arbeitsplätzen oder Engagements in Theatern könnten ebenso helfen wie es Geld tut – für Visaanträge, Pässe, Flugtickets. Und so stehen bei allen Veranstaltungen des diesjährigen Dramatiker:innen-Festivals Spendenboxen genau für dieses Projekt!
Link zur Kula Compagnie, die das Untergrund-Theater Simorgh und die genannten elf Frauen unterstützt sowie die Kontoverbindungen unten in der Info-Box.
So manch politisch Verantwortliche spielen gerade Menschen, die flüchten müssen, gegeneinander aus. Hier Vertriebene aus der Ukraine, dort „Kulturfremde“, die nur ihre Lebenslage verbessern wollen. Dass in Syrien seit mehr als elf Jahren Krieg herrscht, die (wieder) neuen Herr-scher in Afghanistan nicht nur Demokratie, sondern auch praktisch sämtliche Frauenrechte abgeschafft haben – weitgehend sogar das auf Bildung!? Kaum noch ein Thema.
Stimmt natürlich nicht ganz. Eine (noch) kleine Schar engagierter Menschen für die Menschenrechte unteilbar sind, hat dafür gesorgt, dass der genannte film beim aktuellen Dramatiker:innen-Festival gezeigt wurde. Samt anschließender Diskussion mit der schon genannten Tahera Hashemi sowie Soliman Saien, und noch Mahboba Amiri vom Grazer Verein Fivestone, der Aktivistin Heidrun Primas und Edith Draxl von uniT – Dramaforum und Kunstlabor Graz, der Organisation, die das Festival organisiert.
Letztere, eine der Ober-Checkerinnen des Festivals, weist bei vielen Gelegenheiten darauf hin, dass sich das Dramatiker:innen-Festival mehrfach international versteht: Einerseits mit Mitwirkenden und Gäst:innen aus vielen Ländern, andererseits aber auch mit längst in Österreich, der Steiermark oder Graz heimisch gewordenen Menschen mit internationalem Hintergrund. So lasen bei der Eröffnung der sechsten Ausgabe dieser Begegnung von schreibenden und darstellenden Künslter:innen unter dem Titel „Weltzeit I“ die beiden Burgtheaterschauspieler Philipp Hauß und Markus Meyer aus den ersten Kapiteln von „Sechzehn Wörter“, dem ersten Roman von Nava Ebrahimi, den sie in ihrer Köln-Zeit veröffentlichte. Die im Iran geborene, in Deutschland aufgewachsene Autorin, die 2021 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat, lebt seit rund zehn Jahren in der Mur-Metropole. Mehrmals spielte vor und zwischen der Lesung Avanaz Hassani auf der Geige.
Gleich um welche Sprache es sich handelt, Übersetzungen kommen mitunter nicht an die volle, vielschichtige Bedeutung des Begriffs in einer anderen Sprache heran. Mehrsprachige verwenden nicht selten das eine oder andere aus ihrer ersten oder der Familiensprache für manches, Intimes, aber auch anderes. 16 Wörter, die sie lange „nur“ auf Farsi verwendete, „entwaffnete“ Ebrahimi wie sie im Vorwort zum genannten Buch schreibt erst durch ihre Übersetzung. Sie sei ihnen ausgeliefert gewesen. „… durch die Übersetzung hob ich den Bann auf, der auf dem Wort lag, und befreite mich aus der Geiselhaft. Wir waren nun beide frei, das Wort, und ich.“
Compliance-Hinweis: KiJuKU wurde zur Berichterstattung über das Dramatiker:innen-Festival nach Graz eingeladen.
Film und Gespräch über das Leben afghanischer Theatermacherinnen im Untergrund
Realisation: Robert Schuster
Montage: Soliman Saien
Textrechte: Suhrkamp Verlag, Brecht Erben
Eine Produktion der KULA Compagnie für das Brecht Festival Augsburg in Koproduktion mit den Ruhrfestspielen
Anschließend: Gespräch mit Tahera Hashemi und Soliman Saien sowie Mahboba Amiri (Verein Fivestones), Heidrun Primas und Edith Draxl
kulacompagnie.eu -> Das fünfte Rad
Kula Compagnie e.V.
IBAN: DE42 1001 0010 0922 9091 09
BIC: PBNKDEFF
Verwendungszweck: #afghanactresses
Text: Nava Ebrahimi
Sechzehn Wörter
313 Seiten
btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe
Taschenbuch: 10,90 €
eBook: 9,99 €
Zu einer Leseprobe (bis Seite 28) geht es hier