Theater Spielraum (Wien) machte aus dem Ingmar-Bergman-Film „Hebstsonate“ ein aufwühlendes, heftiges Bühnenstück.
Eine große runde Scheibe schwebt im Hintergrund über dem Geschehen. Zwei gemalte f-Löcher (die Form der Schalllöcher von Streichinstrumenten) erinnern hier in ihrem Zusammenspiel entfernt vielleicht an ein Herz. Oder die Flügel eines Schmetterlings. Darunter begrenzen zwei gebogene Wände die kleine große Welt von Eva, ihrem nur fallweise in Erscheinung tretenden und doch präsenten Ehemann Viktor. Und vor allem Evas Mutter, Charlotte Andergast.
Letztere kommt – nach sieben Jahren erstmals – ihre Tochter besuchen. Und wie. Sie fährt glich mit einem riesigen Koffer, der gleichzeitig zum Bett und einer Art liegendern Telefonzelle wird (Bühne: Raoul Rettberg, Produktions-Assistenz: Alice Gonzalez-Martin) auf. Durchgestylt (Kostüme: Anna Pollack) ist die weltberühmte Konzertpianistin Andergast (Brigitte West) eine Erscheinung. Alles ist Bühne für sie. Die Tochter (Dana Proetsch) eher Statistin.
Das Verhältnis zwischen den beiden ist das bestimmende Thema von „Herbstsonate“. Erstmals ist dies nun als Stück im Wiener Theater Spielraum zu erleben. Grundlage ist das literarische Drehbuch von Ingmar Bergman, dessen gleichnamiger Film vor 45 Jahren erstmals im Kino zu sehen war – es war der letzte Film, in dem Ingrid Bergman (Charlotte) spielte, in der Rolle ihrer Tochter Eva war Liv Ullmann zu sehen, die übrigens eine Zeitlang mit dem Filmregisseur verheiratet war.
Als Gerhard Werdeker, Co-Leiter des Theaters Spielraum (Wien-Neubau), den Film damals sah, „wusste ich, daraus will ich einmal ein Stück machen. Manche Idee brauchen Zeit für die Umsetzung. Und die richtigen Schauspieler:innen, in dem Fall vor allem für die Rolle der Charlotte“, verriet er am Rande einer der letzten Proben Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…
Es ist übrigens das erste Mal, dass dieses Theater ein Stück nach einem Film produziert. Ansonsten sind es vorhandene, oft ein wenig in Vergessenheit geratene, Theaterstücke oder literarische Texte, die die Basis für die Stücke hier bilden – praktisch immer mit einem auch in die Gegenwart reichenden wichtigen gesellschaftspolitischem oder gesellschaftlichem Thema. Hier nahm sich Werdeker, der das Stück inszenierte, übrigens die englische Übersetzung des Drehbuchs und das schwedische Original her, um daraus die viel getreuere Spielfassung als die vorhandene deutsche Übersetzung, zu schreiben.
Charlotte rauscht an nachdem ihr Lebensgefährte Leonardo gestorben ist. Die Tochter hat zwar Angst vor dem Zusammentreffen nach so langer Zeit, freut sich aber trotzdem. Freude auch bei der Mutter, aber nur gespielte. Gleichzeitig strahlt sie aus, dass ihr dieser Besuch lästig ist. Zuhören kann und will sie ohnehin schwer. Gibt es überhaupt jemanden außer ihr?
Sehr krass auch jene Szene relativ zu Beginn des Besuchs, in der Charlotte ihre Tochter bittet, am Klavier zu spielen. Während – aus dem Off – Frédéric Chopins Prélude Nr. 2 in a-moll ertönt, schafft es Brigitte West in der Rolle der Charlotte mit allerhand Grimassen mehr als überdeutlich zu signalisieren, wie ihr das Spiel der Tochter missfällt. Aber auch jede andere nur halbwegs bemüht nette Floskel konterkariert sie durch ihre Körpersprache und Mimik. Einfach arg, fast unerträglich spielt West das – wenngleich doch mit einer leichten Nuance von Distanzierung. Aber doch so heftig, dass sich insbesondere die Mitspielerin nach der gelungenen Hauptprobe, die der Journalist besuchen durfte, bemüßigt sah, zu versichern: „In Wahrheit ist die Brigitte wirklich eine ganz liebe Kollegin“. Und alle anderen – vom Regisseur bis zur Theater-Co-Leiterin Nicole Metzger, die in diesem Fall das – wie immer umfangreiche, hintergründige – Programmheft gestaltet hat, pflichteten ihr bei.
Allein schon die Tatsache, dass Eva ihre Schwester Helena aus dem Behindertenheim nach Hause geholt hat, nervt die Mutter. Diese Tochter tritt übrigens immer nur indirekt – durch den leuchtenden Mond – das Licht (Tom Barcal) verwandelt den eingangs beschriebenen Kreis zu einem solchen sowie den Erzähler auf. Den verkörpert – ebenso wie Evas Ehemann Viktor -, Christian Kohlhofer.
Natürlich schaukelt sich die Situation auf. Nach und nach ringt sich Eva durch, zu sagen, wie sie als kleines Kind und später als Teenager die Mutter erlebt hat. In einer Szene sagt sie klipp und klar: „Ich weiß nicht, was schlimmer war: die Zeit, die du zu Hause warst und Ehefrau und Mutter gespielt hast oder die Zeit, wenn du auf Tournee warst.“
Zunehmend traut sich die Tochter die Mutter dafür anzuklagen, was sie erleiden musste – und dabei leidet sie die Ignoranz, die psychische Vernachlässigung nochmals durch, was Dana Proetsch insbesondere in einem der längeren Monologe auch definitiv spüren lässt.
Doch wirklich berühren lässt sich die Mutter davon nicht. Es wird ihr nur zunehmend unangenehm, so dass sie einfach früher wieder abhauen will. Dafür ruft sie ihren Agenten an, der möge doch ein Telegramm schicken, in dem ein gaaaanz wichtiger neuer Termin für die Pianistin anstehe. Und obwohl Eva offensichtlich dieses Telefonat unabsichtlich mitbekommt, fühlt sie sich am Ende schuldig, die Mutter vertrieben zu haben – fast das Drama eines begabten Kindes, wie es die populärwissenschaftliche Psychologin und Autorin Alice Miller immer wieder nannte, wenn Kinder zwanghaft unausgesprochen Wünsche ihrer Eltern (über-)erfüllen.
Schauspiel von Ingmar Bergman
110 Minuten (ohne Pause)
Inszenierung (und Übersetzung): Gerhard Werdeker
Schauspiel
Charlotte Andergast: Brigitte West
Eva, ihre Tochter: Dana Proetsch
Viktor, Evas Ehemann / Erzähler: Christian Kohlhofer
Bis 18. März 2023
Theater Spielraum: 1070, Kaiser Straße 46
Telefon: 01 713 04 60
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