Theatrale musikalische Performance basierend auf dem feministischen Comic „Der Ursprung der Welt“ feierte umjubelte Uraufführungspremiere im Dschungel Wien.
Zwei weiße Bahnen, die an Ober und Unterschenkel erinnern und sich in einem zweigeteilten beginnenden Oberkörper fortsetzen. Dazwischen ein schwarzes Dreieck – umgedreht wie oft üblich, also oben spitz zulaufend (Ausstattung: Flora Besenbäck, Ida Bekič). Und damit schon die erste Assoziation der sonst üblichen Darstellung des verborgenen weiblichen Geschlechts durchbrechend. Vor und auf dieser Bühne performen in der folgenden Stunde zwei Typen schauspielend, vor allem aber musizierend rund um den patriarchal-männlich geprägten Blick auf Vulva, Klitoris und Menstruation. Über selbstironische Szenen und Sager versuchen sie spielfreudig, lust- und kraftvoll – letzteres vor allem musikalisch – genau diese herr-schende Perspektive zu hinterfragen, zu zerlegen.
So ließe sich vielleicht kürzest zusammengefasst die tiefgreifende mit einem Schuss Leichtigkeit und Witz inszenierte Performance „Der Ursprung der Welt“ im Dschungel Wien zusammenfassen – ein Mix aus Theater und lautstarkem Konzert. Diese Aufführung baut auf der gleichnamigen Graphic Novel von Liv Strömquist auf, die 2014 im schwedischen Original, drei Jahre später auf Deutsch erschienen ist (übersetzt von Katharina Erben); Buchbesprechung unten verlinkt.
Irritierend vielleicht aufs Erste noch, dass mit Simon Dietersdorfer und Martin Hemmer ausgerechnet zwei Männer auf der Bühne agieren; sie haben auch komponiert und waren Teil der Stückentwicklung. Doch die beiden sprechen auch das offen an. Das rein weibliche Kollektiv makemake produktionen, das diesen feministischen Comic zum Bühnenleben erweckte (Textfassung und Dramaturgie: Anita Buchart), entschied sich bewusst für diese Konstellation: „Wir finden, dass es alle angeht.“
In einer Szene reflektiert Dietersdorfer stellvertretend zudem auch Privilegien als Mann, noch dazu als weißer auch gegenüber anderen Männern.
Und so spielen, klettern (Choreografie: Martina Rösler), singen und musizieren die beiden (Endregie: Aslı Kışlal) entlang des Buch-Aufbaus: Von Männern und den von ihnen dominierten Institutionen wie Kirchen, die einerseits Weibliches, vor allem deren Geschlechtsorgane verstecken oder etwa die Menstruation (Monatsblutung) als ekelig abtun wollen, sich aber andererseits intensiv der „Erforschung“ fast besessen widmen.
Überraschende, fast explosiv-absurde Details der Performance seien jetzt hier gar nicht verraten. Einer der Fun-Facts an Absurdität – auch aus dem Buch – ist jene goldbeschichteten Aluminium-Plaketten, die an Bord der Raumsonden Pioneer 10 und 11 vor mehr als 50 Jahren ins Weltall geschickt worden sind. Als Information und Botschaft an mögliches außerirdisches, intelligentes Leben sind u.a. stilisiert ein Mann und eine Frau abgebildet – beide nackt, er mit Penis und Hodensack, sie ohne Geschlechtsteile, sogar der im Entwurf vorhandene Strich, der eine Vulva symbolisieren sollte, wurde entfernt.
Was die beiden szenisch als „Außerirdische“ umsetzen und sich darüber wundern und deswegen die „Botschaft“ ignorieren.
Apropos in andere Rollen schlüpfen: Gegen Ende werden die beiden Performer zu Archäologen der Zukunft und wundern sich auch da auf unsere Gegenwart rückblickend über veraltet Ansichten. Wobei veraltet? Vor allem das Buch enthält seitenweise Informationen in Text und vor allem Abbildungen, dass viel ältere Kulturen, die viel stärker mit der Natur verbunden waren, dieses verschämte und damit Scham erzeugende Verschweigen und Verdecken von Vulva oder Menstruation nicht hatten. Jahrtausende alte Darstellungen als Zeichnungen an Wänden oder in Form dreidimensionaler Skulpturen fanden sich in Kultstätten, zeigen also sogar Heiligkeit an. Übrigens dürfte das Wort Tabu vom polynesischen tupua abstammen, was heilig bedeutet und auch für Menstruation steht – zumindest laut Strömquists Buch.
Was wäre, wenn Männer monatlich bluten würden? Dann, so spielen Dietersdorfer und Hemmer, dann wäre das eine bedeutende Zeit, die Typen wären Helden und so weiter 😉 Eine einfache gedankliche Umdrehung kann vieles bewusst machen: Was, wenn nicht der Mann zum Maß der Dinge genommen würde, es also nicht hieße: Er hat einen Penis, sie keinen, sondern sie hat eine Vulva, er keine?
Wie auch schon das Buch, so stellt auch die Performance darüber hinausgehend die Binarität nur zweier Geschlechter in Frage. Immerhin kommen ein bis zwei Prozent der Babys ohne die eindeutigen Geschlechtsmerkmale auf die Welt, und das sind immerhin gut 100 Millionen Menschen! Und so spielt neben dem schwarzen Dreieck und einem großen Bleistift auch ein drittes eher undefiniertes unregelmäßiges Objekt rund um eine Kugellampe, die immer wieder als Mond auftaucht eine sehr präsente optische Rolle auf der Bühne!
Nach der gleichnamigen Graphic Novel von Liv Strömquist
Eine Stunde; ab 16 Jahren
Konzept: makemake produktionen
Komposition + Stückentwicklung + Performance: Simon Dietersdorfer, Martin Hemmer
Textfassung und Dramaturgie: Anita Buchart
Choreografie: Martina Rösler
Ausstattung: Flora Besenbäck, Ida Bekič
Endregie: Aslı Kışlal
Produktion: Julia Haas
Regie-Assistenz: Michèle Tacke
Licht: Hannes Röbisch
Tontechnik: Christian Hölzel
29. bis 31. Jänner 2025
Dschungel Wien: 1070, MuseumsQuartier
Telefon: 01 522 07 20-20
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