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Angeschnittenes 'Foto einer Doppelseite aus "Der Prinz auf der Erbse und andere umgekrempelte Märchen"
Angeschnittenes 'Foto einer Doppelseite aus "Der Prinz auf der Erbse und andere umgekrempelte Märchen"
27.01.2024

Schneewittich, Zwerginnen, gestiefelte Katze…

Einfacher Rollentausch – und schon wirken alte Märchen vielleicht ein wenig irritierend, aber immerhin hinterfragen sie in diesem Buch umgekrempelter Märchen Klischees so „nebenbei“.

Der Schöne und die Bestie“, „Herr Rapunzel“ oder „Die gestiefelte Katze“ – die Titel der zwölf Märchen dieser Sammlung – noch dazu gleich mit dem Titel „Der Prinz auf der Erbse“ sagen praktisch schon alles. Karrie Fransman & Jonathan Plackett haben in ihrem auch märchenhaft illustrierten Buch „nichts anderes“ gemacht, als die Rollen vertauscht. Aus Prinzessinnen wurden Prinzen, aber auch aus Hexen Hexer und so weiter. Und siehe da – mitunter kommt das jeweils altbekannte Märchen sogar ein wenig gewöhnungsbedürftig daher. Gut so.

In einem umfangreichen Vorwort schildern beide, wie sie auf die Idee gekommen sind und wie sie’s – mit Hilfe eines Computerprogramms – gemacht haben.

Jonathan Plackett, unter anderem Programmierer, erinnert sich an seine Kindheit. Sein Vater habe ihm und der Schwester am Abend Geschichten vorgelesen – und einfach die Geschlechter der handelnden Figuren vertauscht. Als Erwachsener, mit der Comic-Autorin und Künstlerin Karrie Fransman verheiratet und gemeinsam Eltern einer Tochter „wollen (wir), dass sie in einer Welt aufwächst, in der kleine Mädchen stark sein und kleine Jungen ohne Zorn zu ihren Verletzlichkeiten stehen dürfen“.

Dafür nutzte er seine Fähigkeit: Es „ist mir schließlich gelungen, ein benutzerfreundliches Computerprogramm zu entwickeln, das in jedem Text, mit dem man es füttert, die Gender-Verteilung umkrempelt“, schreibt er im Vorwort.

Jonathan Plackett und Karrie Fransman,
Jonathan Plackett und Karrie Fransman, „Eltern“ von „Der Prinz auf der Erbse und andere umgekrempelte Märchen“

Neue Technik mit alten Texten

Karrie Fransman schildert dort: „Als Jonathan mir den Algorithmus zeigte, war ich begeistert, und wir überlegten gemeinsam, was wir damit machen könnten. Ich schlug vor, ihn auf Märchen anzuwenden. Uns reizte die Idee, klassische Texte und moderne Technologie zu kombinieren und die Geschichten für zeitgenössische Leserinnen und Leser upzudaten. Auch als Comiczeichnerin war ich gespannt darauf, wie der Algorithmus die weltbekannten Märchen verwandeln würde, und mir dann die neuen Geschichten in Bildern vorzustellen.“

Das Duo entschied sich für Märchen, weil die weit verbreitet sind, viele Kinder damit aufwachsen – und in der Regel fest gängige Rollenklischees einlernen. Fransman und Plackett wählten zwölf sehr bekannte Märchen aus der Sammlung der Gebrüder Grimm, von Hans Christian Andersen oder nach Gabrielle-Suzanne Barbot de Villeneuve (Schöne und Biest) aus, einige wurden schon eingangs genannt. Dazu gesellen sich noch unter anderem „Schneewittich“, „Rotkäppchen und die böse Wölfin“, „Rumpelstelze“, „Gretel und Hänsel“ sowie „Aschenpeterl oder der gläserne Pantoffel“, „Hanna und die Bohnenranke“, „Dornrösling oder der schlafende Schöne im Walde“ sowie „Däumchen“.

Wobei manche Märchen von den beiden auch noch weiter verändert wurden – was sich nicht immer ganz erschließt. Der Bub mit dem roten Käppchen darf offenbar keinen Wein im Korb zu – in dem Fall – dem Großvater bringen. Und die Wölfin darf sich dafür des Fressens von Opa und Enkel erfreuen. Denn so endet diese Version vom „Rotkäppchen“. Keine Jägerin ;(

Im Märchen ist doch vieles möglich

Und warum auch nicht – Karrie Fransman schreibt im Vorwort unter anderem: „Märchen sind auch voller Magie und Feenstaub. Wenn wir uns eine Welt vorstellen können, in der Harfen singen und Ratten Kutscher werden, können wir uns dann nicht auch eine Welt vorstellen, in der sich Könige Kinder wünschen und alte Frauen keine Hexen sind?“

Und nicht nur „nebenbei“ merkt sie noch an, Wir behaupten keineswegs, dass es nur zwei Geschlechter gibt. … Viele Menschen identifizieren sich als non-binär, queer, transgender, genderfluid, agender, other-gender und vieles mehr. Trotzdem spielt die Unterscheidung in »weiblich« und »männlich« im Denken der meisten Menschen noch eine Rolle, und auch in der Sprache. Indem wir die beiden dominanten Gender-Konstrukte vertauschen, wollen wir ihre Eindeutigkeit aufbrechen und die Menschen dazu bringen, die Annahmen zu hinterfragen, mit denen wir das soziale Geschlecht in unserer Gesellschaft aufladen.“

„Neben“effekte

Jonathan Plackett schreibt weiter: „Als wir ein paar Märchen durch den Gender-Swap-Algorithmus laufen lassen hatten, war uns klar, dass wir auf etwas Interessantes gestoßen waren. Vor unseren Augen entstanden faszinierende neue Figuren, und Stereotypen wurden aufgedeckt. Wir sahen Prinzessinnen in glänzender Rüstung, die zur Rettung schlafender Prinzen eilten… Manche Veränderungen waren vorhersehbar, aber andere offenbarten Feinheiten, die mir bisher nicht aufgefallen waren, zum Beispiel, dass Frauen nun automatisch zuerst genannt wurden, »Schwestern und Brüder« oder »Gretel und Hänsel«. Das Beste aber war, dass Frauen endlich Macht und eine Vielfalt an Rollen zur Verfügung hatten, während Männer die Chance bekamen, zu ihrer Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit zu stehen und für ihr gutes Herz belohnt zu werden.“

Vorreiterin

Und vielleicht regt dieses Buch ja auch an, in anderen Märchen, weiteren Geschichten oder möglicherweise sogar einmal in aktuellen Nachrichten sich die handelnden Figuren vertauscht vorzustellen. Was übrigens schon vor Jahrzehnten (1974) die DDR-Schriftstellerin Irmtraut Morgner in dem Kapitel „Kaffee verkehrt“ in ihrem 680 Seiten-Buch „Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz…“ (siehe Buch-Infos; übrigens kein Kiknderbuch!) schon gemacht hat, indem sie die Rollen in einem Kaffeehaus am Alexanderplatz vertauscht hat: „Als neulich unsere Frauenbrigade im Espresso am Alex Kapuziner trank, betrat ein Mann das Etablissement, der meinen Augen wohltat. Ich pfiff also eine Tonleiter rauf und runter und sah mir den Herrn an, auch rauf und runter. Als er an unserem Tisch vorbeiging, sagte ich „Donnerwetter“. Dann unterhielt sich unsere Brigade über seine Füße, denen Socken fehlten, den Taillenumfang schätzen wir auf siebzig, Alter auf zweiunddreißig… Ich ließ ihm und mir einen doppelten Wodka servieren und prostete ihm zu… In der Tür ließ ich meine Hand wie zufällig über eine Hinterbacke gleiten, um zu prüfen, ob die Gewebestruktur in Ordnung war…“

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sohn-und-vater-rock-en-gegen-rollenklischees <- noch im Kinder-KURIER

Interview mit Nils Pickert <- noch im KiKu

Über Martin Auers Prinzessin mit Bart <- auch nch im KiKu

Besprechung eines weiteren Schnecken-Kinderbuchs – von Thomas Schmidigner <- ebenfalls noch im Kinder-KURIER

BUCH-INFOS

Karrie Fransman & Jonathan Plackett
Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Zeitz
Der Prinz auf der Erbse und andere umgekrempelte Märchen
ca. 200 Seiten
Verlag Kein & Aber
Gebundenes Buch: 29,50 €
eBook: 20,99 €

Zu einer Leseprobe geht es hier

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Text: Irmtraud Morgner
Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura
680 Seiten
btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH
12,40 €
Zu einer Leseprobe (fast 40 Seiten, PDF-Download) geht es hier