Solo-Performerin verarbeitet nach „Glückskind“ in ihrem zweiten Stück Erfahrungen aus der Ausbildung zur Kunsttherapeutin.
Drei weiße, gepolsterte Sitzwürfel, dahinter ziemlich viel weißer Stoff auf dem Boden –klinisch sauber die Bühne. Passend. „Klinik“ heißt das neue, zweite Stück der kabarettistischen Schauspielerin, Autorin und Kunsttherapeutin Melike Yağız-Baxant. Wie in ihrem ersten Solo-Programm „Glückskind“, das übrigens im Vorjahr beim United Solo Theatre Festival in New York mit dem Preis für Best Physical Theatre ausgezeichnet wurde, verarbeitet sie persönliche Erfahrungen zu einem abwechslungsreichen, körperlich bewegtem, geistig und gefühlsmäßig bewegenden Abend, gewürzt und durchzogen von so mancher Portionen (Galgen-)Humor. Mit ihrem dem Stück zugrundeliegenden Texte hatte sie einen der Exil-Literaturpreise gewonnen.
War es im ersten Programm die Lebenserfahrung als (angehende) Theaterfrau, so kreist dieses Mal alles um ihre zweite Ausbildung als Kunsttherapeutin. Aus dem Praktikum in einem Krankenhaus schält sie Episoden, die offenbar keine Einzelfälle sein dürften, wie so manche offenkundig wissenden Lacher im Publikum stark vermuten lassen.
Dutzendfach stellt sie, sich direkt mit Augenkontakt an die eine oder andere im Publikum wendend, die Frage „Wie geht’s denn heute?“ Und vermittelt klar: Antwort nicht erwünscht. Um gleich danach in die Rolle von Patient:innen zu schlüpfen, die eher nichtssagende, erwünschte Antworten geben. Äußert die eine oder der andere tatsächlich ernsthafte Befindlichkeitszustände – ernst nehmen ist nicht gerade die erste Reaktion.
Melike Yağız-Baxants Türkisch-Kenntnisse aus ihrer ersten Heimat werden bei einem Patienten in Anspruch genommen, ihre Erkenntnisse, die sich aus dem Gespräch ergeben, dass dieser dement ist, allerdings nicht. Sie als Kunsttherapeutin habe keine Diagnose zu stellen. Ärztliche Fachkraft, die das dürfe, mit der entsprechenden Sprachkompetenz: Fehlanzeige. Und das ist nur eine der Szenen, in denen Yağız-Baxant latenten bis offenen Rassismus – auch in einer solchen Institution – anspielt, wobei sie auch da immer wieder zwischen Rollen von Patient:innen und ärztlichem bzw. therapeutischem Personal hin- und her-switcht.
Breiten Raum widmet die Performerin rund um Gesprächsgruppen – „mir geht’s gut, habe gut geschlafen…“; „schließe mich dem an, mir geht’s auch gut, auch gut geschlafen…“ Tendenz, erwünschte, normierten Antworten, nur ja nicht auf- oder aus dem Rahmen fallen. Herzhafte Lacher so mancher Zuschauer:innen lassen auf nicht gerade unähnliche Erfahrungen schließen.
Dabei sind die überhöht und zugespitzt situationskomisch dargestellten Situationen nicht selten eher zum Heulen, aber so vielleicht verkraftbarer. Und dennoch auch mit einer gehörigen Schicht Frust überzogen. Mental Health wurde – „dank“ des Ausnahmezustands in der Pandemie zum doch fast allgegenwärtigen Thema – mit Forderungen nach besserer Versorgung in Sachen psychische Krankheiten bzw. Gesundheit. Wenn’s dann aber institutionell damit auch nicht zum Besten bestell ist, na dann, hawidere…
Vieles von Gesagtem und Gespieltem dürfte nämlich nicht weit entfernt sein von tatsächlichen Dialogen, Monologen und Verhalten, die eine oder andere überdrehte fiktive Szene – wie aufgedrängte Hilfe gegen den Willen der Betreffenden mit fast slapstickartigen Missgeschicken – gruppiert sich dennoch um so manchen wahren Kern.
Und dennoch ist das viele Ver-Rückte meist deutlich harmloser als das sogenannte Normale in der Welt außerhalb der Klinik – auch das schwingt in der einstündigen Performance unausgesprochen zwischen den Zeilen und Szenen mit.
„Nicht mit mir! Ich will nicht! Ich kann nicht! Ich muss nicht! Ich sage Nein!“ Sätze, mit denen Melike Yağız-Baxant bald nach Beginn und zwischendurch mehrmals fast mantramäßig den Bühnen- und Publikumsraum erfüllt. Die Grenzen zwischen beiden überwindet sie mehrmals auch körperlich, spielerisch sowieso. Doch praktisch jedes Mal fügt sie den starken Statements verschämt „sag ich beim nächsten Mal“ in dieser und ähnlicher Version hinterher.
Neben dem Vielem, das die Schauspielerin auf und vor der Bühne bzw. zwischen den Publikumsreihen sagt, greift sie neben performativen Moves auch auf Grundelemente von Kunsttherapie zu – und blendet animiert, sozusagen Strich für Strich Zeichnungen ein, oder lässt sich in musikalischen Parts in den Rhythmus dieser fallen – und scheint da, in sich zu ruhen. „Malen hilft!“, „Musik hilft!“, sagt sie an einer Stelle und bringt damit wesentliche Elemente von Kunsttherapie auf den Punkt. Neben dem Vielem, das die Schauspielerin auf und vor der Bühne bzw. zwischen den Publikumsreihen sagt, greift sie neben performativen Moves auch auf Grundelemente von Kunsttherapie zu – und blendet animiert, sozusagen Strich für Strich Zeichnungen ein, oder lässt sich in musikalischen Parts in den Rhythmus dieser fallen – und scheint da, in sich zu ruhen. „Malen hilft!“, „Musik hilft!“, sagt sie an einer Stelle und bringt damit wesentliche Elemente von Kunsttherapie auf den Punkt. Und mehrfach führt sie an, wie Humor wirkt, nicht zuletzt durch Freisetzung von Oxytocin und Endorphinen. Außerdem wäre Hoffnungslosigkeit überhaupt eine Sünde…
Erkenntnisse, die die Künstlerin und Kunsttherapeutin auch schon praktisch umgesetzt hat in den Workshops mit Schüler:innen, die als Fortführung ihres Textes und späteren Stücks „Glückskind“ zum Mut machenden Film „Glückskinder“ geführt haben, der kürzlich erstmals gezeigt wurde – in Anwesenheit vieler der dabei selbstbewusster gewordenen Jugendlichen – KiJuKU berichtete – Links, auch zur Stückkritik und zur Literaturpreisverleihung unten.
Koproduktion von Melike Yağız-Baxant mit Theater Drachengasse in Kooperation mit diverCITYLAB; eine Stunde
Text, Performance: Melike Yağız-Baxant
Regie: Gabriela Hütter, Melike Yağız-Baxant
Dramaturgie: Anna Schober
Künstlerische Mitarbeit und Kostüm: Anillo Sürün
Grafik, Illustration: Tuğba Karagülle
PR, Organisation: Melina Cerha-Marcher
Bis 22. November 2025
Theater Drachengasse, Bar & Co
1010 Wien, Fleischmarkt 22 / Eingang Drachengasse 2
Telefon: 01 512 13 54
drachengasse.at —> Klinik
Trailer
melike-yagiz-baxant.net
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