„Alles normal – Ein „Salon d’amour“-Stück im Rahmen von: 35 Jahre aktionstheater ensemble“ nun in Wien – im Theater am Werk/Kabelwerk-Meidling.
Ein bissl deprimierend; Einstellung auf einen VoKaKi (für Volkskanzler Kickl ã Willkommen Österreich), was ist dann noch möglich? Rückzug eine Art innerer Emigration? Aufs Private – Schwanzlänge, Busengröße und Werbesprüche von Banken oder Telekom-Anbietern, Supermarktketten, die seit einigen Jahren fast mehr aufbauenden Inhalt versprechen als die von politischen Parteien: „Glaub an dich“, „Weil der Mensch zählt“, „Erleben, was verbindet“, „Nichts ins unmöglich“, „Gemeinsam Großes leisten!“, „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“….
„Die Frage, die sich für uns stellt, wie gehen wir mit diesen großen Herausforderungen um. Beim aktionstheater ensemble heißt das, wie transportieren wir unsere Inhalte dergestalt, dass sie sozusagen, also auch nach der Übernahme des Volkskanzlers und seiner Helfershelfer, dass eben diese unsere Inhalte nicht ganz verloren gehen. Zu diesem Zwecke, haben wir, liebes Publikum, jetzt für Sie, ein schönes Programm zusammengestellt. Ein
schönes Potpourri, um nicht zu sagen, einen bunten Abend mit vielen schönen Überraschungen, der uns mit Mut und Zuversicht in diese neuen Zeiten führt. Und das war auch ganz wichtig, dass an diesem bunten Abend jede und jeder einfach sagen darf, was ihr oder ihm ganz besonders am Herzen liegt.“ Entsprechend das Ambiente – ein Teil des Publikums sitzt an Tischen mit Getränken, andere auf weichen Couches neben den üblichen Theatersitzen, farbenfrohe, heitere (Ki-generierte) Bilder in Landschaften auf großen Projektionswänden, happy Sound…
Vom Text her könnte die neue 1¼-stündige Show „Alles normal – ein Salon d’amour-Stück“ von aktionstheater ensemble, die – nach der ersten Serie in Vorarlberg – nun auch in Wien im Theater am Werk/Kabelwerk Meidling zu erleben ist, niederschmetternd sein. Einstimmen auf fast dystopische Zustände, die als „normal“ ausgegeben werden, abfinden und sich irgendwie einrichten in einer autoritären Herrschaft einer illiberalen Demokratie? Die Vorbereitet wurde/wird, indem neue, das heißt eigentlich uralte, enge Normen zum „Normal“ verordnet werden.
Von Schauspiel (Zeynep Alan, Babett Arens, Michaela Bilgeri, Isabella Jeschke, Thomas Kolle), Kampf um das Rampenlicht, Solo-„normal“-Texte (Elias Hirschl) und Musik (Monica Anna Cammerlander, Atanas Dinovski, Lisa Lurger, Daniel Neuhauser, Severin Trogbacher, Tobias Pöcksteiner) bzw. Gesang (Tamara Stern) – aus dem Ensemble des kleinen Orchesters schlüpfen einige mehrmals in Schauspiel-Rollen – ironisiert die Inszenierung (Martin Gruber, Texte: gemeinsam mit dem Ensemble) die Gefahr des Abgleitens in „Biedermeierlichkeit“.
Der Widerstands-Song „Bella Ciao“ angespielt, der zuletzt aber auch als inhaltsleerer Pop-Song durch den Äther ging, das jiddisches Lied „zog, zog, zog“ (sag, sag, sag) das konterkarierend zur Selfie-Queen, die auf Schönheit setzt, davon singt: Du bist schiach, aber es ist wurscht“…
Könnte dennoch einen schalen Nachgeschmack der Traurigkeit hinterlassen trotz aller humorvoller, witziger Kombinationen scheinbarer unfreiwilliger Komik der „Normal“-Verfechter:innen aus der politischen Wirklichkeit. Mit der Hoffnung – zwischen den Zeilen und den Musiknoten – aus dem überzeugenden Spiel heraus eine Art paradoxer Intervention zu sein/erzeugen: Lasst es nicht so weit kommen, aber dafür müssen wir alle was tun – mehr als nur zu sitzen und gebannt wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange zu starren.
Um zu verhindern, dass wahr wird, was der FP-Chef auf der Heimattour im Vorjahr offen ankündigte: „Es wird rauschen, und es wird Verletzungen und Verwundungen geben – es wird ein anderer Wind wehen in diesem Land.“ Dieses Zitat wanderte – im Gegensatz zu all den anderen (Werbe-)Sprüchen von rechts nach links über die großflächigen drei Seiten umfassenden Projektionswände.
„Wir wollen den Leuten nie erklären, was sie tun sollen. Jede und jeder muss selber draufkommen“, so aktionstheater-ensemble „Vater“ Martin Gruber nach der umjubelten Premiere im Theater am Werk/Kabelwerk Meidling zu Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… Oder wie am Tag nach der Premiere die langjährige Volkstheater-Direktorin Emmy Werner in einer TV-Diskussion (ORF, Im Zentrum) auf Elfriede Jelinek und ihr Anschreiben „gegen Gleichgültigkeit“ verwies.
Der erforderliche Widerstand kann sich auch nicht auf eine bloße Verhinderungskoalition des Pferde-Entwurmungs-Propagandisten beschränken, muss früher und breiter ansetzen – gegen die Spaltung von wir und die, „Normalen“ und „Abweichlern“. Vor einem ¼-Jahrhundert hat Erich Kästner 1958 anlässlich des 25. Jahrestages der Bücherverbrennungen (10. Mai 1933) bei der Tagung des deutschen PEN (Poets, Essayists, Novelists) unter anderem gesagt: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr. Das ist der Schluss, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen, und es ist der Schluss meiner Rede. Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben.“
Ein „Salon d’amour“-Stück im Rahmen von: 35 Jahre aktionstheater ensemble
von Martin Gruber und aktionstheater ensemble in Kooperation mit Spielboden Dornbirn und Theater am Werk
1 ¼ Stunden, keine Pause
Konzept und Inszenierung: Martin Gruber
Text: Martin Gruber und aktionstheater ensemble sowie Elias Hirschl, Wolfgang Mörth u.a.
Darsteller:innen: Zeynep Alan, Babett Arens, Michaela Bilgeri, Monica Anna Cammerlander, Elias Hirschl, Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Tamara Stern
Musik: Monica Anna Cammerlander (Cello), Atanas Dinovski (Akkorden), Lisa Lurger (Gesang, Keyboards), Daniel Neuhauser (Schlagzeug, Gesang), Severin Trogbacher/ alternierend mit Gidon Oechsner (E-Gitarre, Gesang), Tobias Pöcksteiner/ alternierend mit Daniel Schober (Kontrabass, E-Bass, Gesang), Tamara Stern (Gesang)
Dramaturgie: Martin Ojster
Bühne und Kostüm: Valerie Lutz>
Video: Resa Lut
Regieassistenz: Manuela Schwärzler
Bis 20. Jänner 2024
Theater am Werk/Kabelwerk: 1120, Oswaldgasse 35A
Telefon: 01 535 32 00
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