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Foto aus einem der Videos von Puppen aus "Arachne oder vom Anfang des World Wide Webs"
Foto aus einem der Videos von Puppen aus "Arachne oder vom Anfang des World Wide Webs"
18.12.2023

„Roter Faden“ von der strafverwandelten Spinne zum WWW

Die (zu) wenige bekannte Sage von Arachne in einem sehens-, nein erlebenswerten 50-Objekttheater-Stück mit Live-Musik.

Rohe, unbehauene, entrindete lange Äste zu einem großen Webstuhl zusammengebaut, dominieren die Bühne. Links und rechts daneben zwei niedrige Kästen mit mehreren Schubladen. Am Rande – vom Publikum aus rechts – eine Kopflose Figur. „Arachne oder der Anfang des World Wide Webs“ vom „Verein zur Rettung der Dinge“ steht im kleineren Sall des Dschungel Wien in der Woche vor Weihnachten auf dem Programm.

Gut, Arachne ist der altgriechische Begriff für Spinne. Spinnen, Fäden, weben, World Wide Web – scheint aufs erste vielleicht weit hergeholt zu sein. Kriegt aber durch die eher wenig bekannte Arachne-Sage einen fast umwerfenden Zusammenhang.

Peter Ketturkat, der das Stück und die Bühne konzipierte, den genannten Webstuhl auch selber baute, und live – immer wieder auch mit Karin Bayerle, die die Figuren, vor allem deren Köpfe modellierte – spielt, erzählen diesen antiken Mythos.

Puppen aus
Puppen aus „Arachne oder vom Anfang des World Wide Webs“

Kürzest-Fassung

Arachne war eine meisterhafte Weberin. Pallas Athene, Vielfach-Göttin (Weisheit, Strategie, Kampf, Künste, Handwerks und Handarbeit) fühlte sich von der menschlichen Künstlerin herausgefordert und bietet ihr einen Wettbewerb an. Die Göttin webt die tollsten Bilder über Held:innen-Taten der Gött:innen. Arachne zaubert mit ihren Fäden Bilder von irdischen Frauen, die der Göttervater Zeus in den unterschiedlichsten verwandelten Gestalten „verführt“ hatte – nicht selten gegen deren Willen. Arachne web-te sozusagen frühe „MeToo“-Bilder.

Kritik an den Herrscher:innen im Olymp – das vertrug die schlaue Göttin dann doch nicht und verwandelte die Weberin in eine Spinne. Was ihrer Gattung auch den wissenschaftlichen Begriff (Arachnida) gab.

Sündenbock

„Wenn du die Wahrheit ans Licht bringst, entstehen tiefe, dunkle Schatten“, ist einer der ersten Sätze Ketturkats nachdem er seinen Schafskopf („ich bin der Sündenbock“) abnimmt und der kopflosen Figur am Bühnenrand überstülpt.

Puppen aus
„Sündenbock“

Bildhafte Erzählung untermalt von Musik

Die 50 Minuten (eine Schulstunde!) kommen mit knappen, nicht zu vielen Worten aus. Erzählt wird vor allem in Bildern – szenisch mit den Puppen, Figuren, Objekten (Puppen-Regie: Andrea Gergely) sowie fallweisen Video-Einspielungen (Thomas Keip), um die interagierenden Figuren vergrößert sehen zu können. Vieles an den jeweils zu den Szenen passenden Stimmungen erzeugt der Live-Tuba-Spieler Beneditk Etzl aus einer erhöhten Nische neben den Publikumsreihen (Musik von ihm und Jon Sass).

Immer wieder im Lauf des Stücks überraschen die beiden Live-Spieler:innen – andere Figuren kriegen ihre voraufgenommenen Stimmen von Michou Friesz und Wolfram Berger – mit verblüffenden Kniffen. So ent„puppen“ sich die Laden als kleine Bühnen, Puppen sind kleine Spindeln, etliche miteinander über Fäden verbundene Web-Schiffchen werden zur Flotte des Odysseus!

Puppen aus
Puppen aus „Arachne oder vom Anfang des World Wide Webs“

Zwietracht bringt Quote

Neben dem Konflikt Athenes und Arachnes lässt die Inszenierung Eris, Göttin der Zweitracht, zentral auftauchen. Sie war die Erfinderin des – wie es im Stück heißt – ersten Beauty-Contests der Geschichte. Aus Rache, nicht zu einer wichtigen Hochzeit (Thetis und Peleus) eingeladen worden zu sein, schmeißt sie den goldenen Apfel in die Runde. Paris soll auswählen, wer die Schönste ist – Hera, Athene oder Aphrodite – und der diesen Apfel überreichen. Kann nur zu Wickel führen – statt ihn vielleicht schlauerweise, wie im Stück genannt, einfach zu teilen. Aber daraus wäre keine – Jahrtausende überdauernde – Geschichte geworden 😉

Zweitracht säen, drakonische Strafen für wahre Kritik an Mächtigen, ja gar „Gotteslästerung“ und statt dessen die eigene, gefälschte Sicht auf Ereignisse verbreiten – das ist ja wohl keine historische oder mythologische Sache allein – womit das Stück den Bogen zu Fake News, Gerüchteküchen, asozialen Medien usw. herstellt und die Berechtigung des Untertitels mehr als unter Beweis stellt.

Binäre Systeme

Und im sehr informativen, inhaltsreichen (pädagogischen) Begleitmaterial zum Stück (Peter Ketturkat und Katharina Fischer) finden sich weitere ganz spannende „Verknüpfungen“ zwischen Weben und der digitalen Welt. So erklärt in zwei verlinkten Videos die Forscherin Ellen Harlizius-Klück vom Deutschen Museum in München, dass analog zum binären 0/1-System das Weben auf der Dualität auf bzw. ab basiert. Die zu webenden Fäden müssen entweder vor oder hinter den vertikalen Kettfäden durchgezogen werden. Und sie verweist auch auf direktere Zusammenhänge zur Mathematik. So heißen die Webschiffchen im Lateinischen Radius.

Praktisch die ersten Automatisierungen von Maschinen erfolgten bei Webstühlen – über Lochkarten, sozusagen eine andere Form von späteren elektrischen 0/1-Impulsen. Und obwohl diese Dinge „nur“ im Begleitmaterial zu finden sind, schwingen sie unausgesprochen auch im Stück mit. Ein letztes noch von der eben zuvor zitierten Wissenschafterin: „Die simpelsten Webstühle erlauben das komplexeste Gewebe“, verweist sie auf die vielleicht berühmteste Abbildung der Penelope auf einer antiken Vase – mit den Webfäden. Lange sei behauptet worden, der Maler hätte sich das ausgedacht, das wäre gar nicht möglich so ein Bild zu weben. Die intensive Erforschung in einem EU-Projekt namens Penelope (Erforschung des Beitrags der antiken Weberei zur Geschichte der Wissenschaft und Technik, insbesondere der digitalen Technologie) beweist: Es funktioniert(e).

Mehr intensive Auseinandersetzung statt Eris und Verbannung einer Künstlerin in eine Spinne wäre der (Aus-)Weg aus den „Verstrickungen“ von Fake News!

Follow@kiJuKUheinz

Puppen aus
Puppen aus „Arachne oder vom Anfang des World Wide Webs“
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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Arachne oder der Anfang des World Wide Webs

Figuren- und Objekttheater mit Livemusik
Verein zur Rettung der Dinge
Ab 10 Jahren; ca. 50 Minuten

Konzept, Bühne und Live-Erzähler: Peter Ketturkat
Puppen und Spielerin: Karin Bayerle
Musik: Jon Sass, Beneditk Etzl (Live-Tuba)
Sprecher:innen (voraufgenommene Stimmen): Michou Friesz, Wolfram Berger
Puppen-Regie: Andrea Gergely
Videos: Thomas Keip

Wann & wo?

Bis 21. Dezember 2023
Dschungel Wien: 1070, MusuemsQuartier
Telefon: 01 522 07 20-20
dschungelwien -> arachne

rettetdiedinge

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