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Szenenfoto aus "S(ch)till here"
Szenenfoto aus "S(ch)till here"
25.11.2023

Sklavenarbeit in der Schattenwirtschaft sichtbar machen

Wieder einmal berührt die Laien-Theatergruppe „Die Fremden“ mit einer zwar fiktiven aber von viel „übersehener“ Realität gespeisten Geschichte.

Als Spielzeugfiguren verkleidete Schauspieler:innen liegen, sitzen, kugeln sozusagen auf dem Boden herum, eine steht. Sie spielen den lebendig werdenden Inhalt einer Blechkiste der Jugendlichen Sari (Dinda Daniar Darussalam). Diese hält die Box auf ihrem Schoß, sinniert und fasst den Entschluss – im heftigen Streit mit ihrer Mutter Nastja (zweisprachig und recht resolut: Vanda Sokolović) -: Ich halt’s in diesem Land voll Armut und Krieg nimmer aus, ich geh.

Sie habe über Internet einen Mann kennengelernt, der ihr versprochen hat, wenn sie zu ihm in sein Land komme, dann könne sie dort arbeiten, gutes Geld verdienen und alles haben. Und sie werde der Mutter auch regelmäßig Geld schicken.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „S(ch)till here“

Vieles selber erlebt

Wobei das alles in „S[ch]till here“ wie das jüngste Stück von „Die Fremden“ heißt, „nur“ gespielte Annahmen sind. Denn Dinda Daniar Darussalam sagt in ihren ersten Worten: „Sagen wir, ich bin Sari…“. Solche Passagen werden sich später – von anderen gesagt – im Laufe der nicht ganz zwei Stunden (eine Pause) wiederholen. Damit heben die elf Schauspieler:innen – allesamt Laien, viele schon seit Jahrzehnten bei der Theatergruppe „Die Fremden“ (1992 gegründet) – die Geschichte einerseits irgendwie ins Fiktive. Und das obwohl viele der Szenen auf Erlebnissen der Mitwirkenden der Theatergruppe basieren – nur die heftigste Einzelheit, die hier aber nicht gespoilert werden soll, musste niemand am eigenen Leib erleben. Andererseits deutet dieses „sagen wir, ich bin…“ auch an, was ganz am Ende als Schlusswort nach dem Schauspiel dem Publikum mit auf den Weg gegeben wird: Saris Schicksal ist nur eines von Millionen, das rechtlose, nicht „gesehene“ Arbeitsmigrant:innen, erleiden.

Denn darum dreht sich das Leben im neuen Land mit ach so viel versprochenen Möglichkeiten: Ein Hotel, das demnächst (wieder) aufsperren soll, braucht billige Mitarbeiter:innen. Die ordert sie über eine Agentur. Und dort werden den angeheuerten sehr arbeitswilligen Arbeitsmigrant:innen gleich einmal die Papiere weggenommen. Das Hotel zahlt die Beschäftigten nicht direkt, sondern an die Agentur, die einen Gutteil des Geldes einbehält und lediglich Taschengeld auszahlt…

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „S(ch)till here“

Tiefernst mit Humor-Würze

Soweit die Grundgeschichte. Zwischen – manche im Publikum sogar zu Tränen – rührenden Momenten und heiter-ironischen bis herzhaft lustigen Momenten nehmen die insgesamt elf Schauspieler:innen (Regie und Leitung wie immer Dagmar Ransmayr) das Publikum in eine (fast) unbekannte arge Schattenwelt mit. Mit wenigen, wandelbaren Requisiten – hauptsächlich kleine und größere Kübel – zaubert das Ensemble eine Hotellobby ebenso wie ein altes Auto (Klappstühle und vier liegende Kübel als Räder). Diese „Fahrt“ mit Ali (Besmellah Jafari), der keinen Führerschein, aber wenigstens den Pass von wem anderen hat, und Nastja, die keinen Pass hat – aber immerhin muss eine Grenze überwunden wird – ist sehr skurril und gehört zu jenen mit den meisten Lachern.

Flache Blechschachteln dienen als Smartphones oder Tablets, was mehr Charme versprüht, als würden sie mit echten oder funktionslosen Handy-Dummys (wie häufig auf Bühnen) spielen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „S(ch)till here“

Verwandlung

Wunderbar die mehrfache Verwandlung jener fünf Schauspieler:innen, die einerseits in die Rollen von Spielzeugfiguren schlüpfen – Tanzschwein (Sofie Leplae), Hexe (Katerina Rumenov Jost), Katze (Yasmin Navid), Bär (Armen Abisoghomyan), Einarmiger (Markus Payer), Roboter (Garegin Gamazyan) – und andererseits das Hotel bevölkern: Als windiger Chef, der zwielichtige Geschäfte macht, als Rezeptionist, der sich für alles andere zu schade ist, als überforderte Managerin, als Aufseherin über die Putzkräfte und ihre aufmüpfige Tochter Mona (Yasmin Navid) sowie als Haustechniker, der zwar vieles kann, dem aber so ziemlich alles „wurscht“ ist, er hat ja nur mehr kurz bis zur Pensionierung.

Das Duo Mme Olivia vs Mona (herzhaft aufmüpfig: Yasmin Navid) ist fast eine Parallel zu Nastja und Sari.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „S(ch)till here“

Sichtbar machten

Ein heftig-berührender Abend, der dennoch Raum zum Verschnaufen und immer wieder auch Lachen lässt, vor allem aber ein kaum thematisiertes Segment von Schattenwirtschaft mit sklavenähnlichen Zuständen beleuchtet. Gekonnt und leidenschaftlich gespielt und – was auf Theaterbühnen insgesamt noch viel zu wenig zu hören ist – auch mehrsprachig. Immer wieder bringen die Schauspieler:innen Sätze, manche auch viele, in jenen Sprachen, die sie neben Deutsch beherrschen, auch ein, u.a. BKS (Bosnisch / Kroatisch /Serbisch), Farsi bis zu Wiener Dialekt etwa in Arik Brauers „hinter meiner, vurder meiner siech i nix…“

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

„S[ch]till here“

Das Theater-Ensemble „Die Fremden“

Leitung und Regie: Dagmar Ransmayr
Spieler:innen
Sari: Dinda Daniar Darussalam
Nastja, ihre Mutter: Vanda Sokolović
Spielfiguren bzw. Hotel-Bedienstete
Katze/Mona: Yasmin Navid
Tanzschwein/Madame Alice: Sofie Leplae
Einarmiger /Herr Alphonse: Markus Payer
Hexe/ Madame Olivia, Monas Mutter: Katerina Rumenov Jost
Nastjas Nachbar und Autofahrer Ali: Besmellah Jafari
Roboter / Rezeptionist Luigi: Garegin Gamazyan
Bär / Hotelbesitzer Gustav: Armen Abisoghomyan
Radiostimme (aus dem Off): Bojana Djogovic

Wann & wo?

Bis 26. November 2023
26./27. Jänner 2024
jeweils 20 Uhr
Off-Theater/Open Box: 1070, Kirchengasse 41
Telefon: 0676 62 19 296
https://off-theater.at

diefremden.at