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Szenenfoto aus "Eleos": Ensemble
Szenenfoto aus "Eleos": Ensemble
09.06.2022

Spielfreudige und oft humorvolle Wutausbrüche auf der Bühne

„Eleos. Eine Empörung in 36 Miniaturen“ im Schauspielhaus 2 in Graz beim Dramatiker:innen-Festival.

Die ganze Bühne ist fast verdeckt – von einer weißen und einer sehr dunklen eher billigen Bretterwand. Zwei Türen in ersterer, eine in der anderen Hälfte. Dazwischen ein schmaler Spalt – Blick auf Liegebetten wie sie an Pool-Beckenrändern verbreitet sind (Bühne & Kostüme: Mariam Haas, Lydia Huller, Robert Sievert). Oben drüber ein Display für Übertitel – „Eleos. Eine Empörung in 36 Miniaturen“ von Caren Jeß wird simultan auf Englisch übersetzt (im Schauspielhaus 2). Immerhin befinden wir uns beim internationalen Dramatiker:innen-Festival.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Eleos“: Susanne Konstanze-Weber, Henriette-Blumenau, Nico-Link

Die ersten Protagonist:innen tauchen auf, eine mondäne Frau in rotem Kleid, eine Damit in hellem Hosenanzug und ein eher abgefuckt daher kommender Mann. Der sich als Dreck bezeichnet, im Schnellsprech monologisiert, bis ihn die beiden Frauen mit Backpulver und Essig abfüllen – das schäumt. Wird in Kindergärten und Schulen als zutaten verwendet, um Vulkane zu simulieren.

Ob diese Assoziation gewollt war? Wie auch immer – in den nächsten rund 100 Minuten geht’s um emotionale Explosionen. Acht Schauspieler:innen – Henriette Blumenau, Daria Loewenich, Sarah Sophia Meyer, Oliver Chomik, Nico Link, Alexej Lochmann, Raphael Muff, Susanne Konstanze Weber – schenken sich nichts. Toben sich aus, lassen ihren Emotionen – kaum freundliche – freien Lauf. In riesiger Spielfreude, ja wahrem Spielrausch, fast musikalisch-rhythmisch fangen sie aus dem Alltag vertraute Szenen ein, in denen mal die eine, dann der andere oder mehrere Wutausbrüche kriegen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Eleos“: Raphael Muff, Oliver Chomik, Nico Link

„Das ist doch …“

„Sicher nicht …“ und das nicht nur einmal, sondern sich krass reinsteigernd brüllt einer, werde er die Bierdose in den dafür vorgesehenen Trennmüll-Kübel werfen, um sie lustvoll auf den Boden zu schleudern. Schon knapp nach der eingangs beschriebenen Eröffnungsszene steigert sich das Ensemble in den Sager „das ist doch …“ hinein. Immer und immer wieder die selben drei Wörter. Mit dem Freiraum für – was auch immer. Jedenfalls dafür, angefressen, verärgert, wütend zu sein. Aggressionspegel raufdrehen.

Ähnlich in den anderen der insgesamt – so angegeben, gestehe beim Besuch der Vorstellung nicht mitgezählt – 36 Wut-Miniaturen. Verbal fast immer „nur“ angedeutet, schauspielerisch vollendet, wie „Spitzen von Eisbergen“ wie es Regisseur Daniel Foerster im Interview für das Programmheft formulierte.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Eleos“: Sarah-Sophia Meyer, Alexej Lochmann

Ohne näher auf viele der weiteren Wut auslösenden Szenen einzugehen sei nur noch auf vier spannende Elemente des Stücks hingewiesen. Hinter den beiden eingangs beschriebenen Wänden befindet sich eine Art Wellness-Hotel mit Pool (Styropor-Teilchen, die an Kinder-Bällebad erinnern) und Bar. Mit Hauch von Luxus, dann aber doch eher ein bissl abgehalftert à la der berühmt gewordenen Finca auf Ibiza.

Das Geschehen hinter dem „Verschlag“ wird live gefilmt (Timo Neubauer) und vorne auf die helle Wand projiziert. Aber nicht nur, das was sich dahinter abspielt. Immer wieder werden die Protagonist:innen auch auf der Vorderbühne sozusagen mit ihren bewegten Bildern in dem Fall konfrontiert. Aufregung auch über sich selbst. Oder Anklänge an die Wut-Turbo-Maschinen der unsozialen Medien?

„Göttlicher Zorn“?

Element Nummer 3: Einer mit 3-Zack und andere erinnern in ihrem Styling ebenso wie natürlich der erste Teil des Titels an griechische Tragödien/Gött:innen-Sagen. Und damit daran, dass sich zwar durch moderne Medien die Empörungs-Maschinerie beschleunigt, sie sich überwiegend negativ bemerkbar macht, während Wut über unhaltbare Zustände durchaus auch Potenzial für Bewegungen in Richtung positiver Veränderung haben könnten, im Kern gar nicht so neu sind.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Eleos“: Raphael Muff, Susanne-Konstanze Weber

Angriff auf bequeme Position

Und viertens: Nicht nur „die anderen“ trifft. Bald nach Beginn attackieren Schauspieler:innen das Publikum verbal, holen aus der eigenen Komfortzone des Zuschauens und Zuhörens raus. „Sie glauben wohl, Sie sind gute Menschen?! Sind sie aber nicht!“

Vielleicht hilft das Lächerlich-Machen von Überkochen aus scheinbar nichtigen Anlässen und das damit auch über sich selber lachen ja dann doch, Räume und Zeiten für positivere Gefühle zu (er)öffnen.

Eleos …

Übrigens zum Begriff im Titel (aus Wikipedia): „Die Begriffe eleos und phobos wurden … lange Zeit mit ‘Mitleid’ und ‘Schrecken’ übersetzt. In (Johann Christoph) Gottscheds (18. Jahrhundert) Poetik wurden diese beiden Übersetzungen um den Begriff ‘Bewunderung’ erweitert… In der Zeit der Aufklärung stellte sich Lessing vehement gegen diese Auslegung und verbannte den bei Aristoteles nicht vorkommenden Begriff Verwunderung wieder. Zudem passte die Übersetzung von phobos nicht in seine Tragödienkonzeption, weshalb er das Wort umdeutete: „Das Wort, welches Aristoteles braucht, heißt Furcht; Mitleid und Furcht, sagt er, soll die Tragödie erregen.“

Follow@kiJuKUheinz

Compliance-Hinweis: KiJuKU wurde zur Berichterstattung über das Dramatiker:innen-Festival nach Graz eingeladen.

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Eleos. Eine Empörung in 36 Miniaturen

von Caren Jeß

Regie: Daniel Foerster
Es spielen: Henriette Blumenau, Daria Loewenich, Sarah Sophia Meyer, Oliver Chomik, Nico Link, Alexej Lochmann, Raphael Muff, Susanne Konstanze Weber
Live-Kamera: Timo Neubauer

Bühne & Kostüme: Mariam Haas, Lydia Huller, Robert Sievert
Musik: Jan Preißler
Video: Simon Baucks
Dramaturgie: Franziska Betz

Wann & wo?

Ein Mitschnitt der Inszenierung ist am 17. Juni ab 19.00 Uhr für 48 Stunden kostenlos als Stream auf der Plattform nachtkritik.plus zu sehen.
Zum Stream-Link geht es hier

Und zum programm des 6. Dramatiker:innen-Festivals in Graz hier