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Szenenfoto aus "Der Stoff, aus dem man Träume macht"
Szenenfoto aus "Der Stoff, aus dem man Träume macht"
04.07.2023

Träume – aus (Märchen-)Stoffen – über Armut und Reichtum

„Der Stoff, aus dem man Träume macht“ von Zenith Productions für Theater und Musik im kleinen, idyllischen Innenhof des Wiener Volkskundemuseums – bis 23. Juli 2023.

Bevor „Der Stoff, aus dem man Träume macht“ sich in knapp 1 ¼ Stunden dem übertragenen Sinn widmet, präsentiert sich die spätere gleichnamige Vorstellung von Zenith Productions für Theater und Musik sozusagen im wahrsten Sinn des Wortes verträumt-stofflich: Zwischen den Publikumsreihen vor der Holz-Tribüne unter dem großen alten Baum im kleineren Innenhof des Wiener Volkskundemuseums stehen fahrbare Holzteile mit lilafarbenen Stoffen umwickelt, die sozusagen jeweils kleine Zellen bilden.

Das ganze Gebilde wiederum ist von zarten, durchsichtigen gitterartigen Stoffbahnen umhüllt. In diese „Zellen“ begeben sich als es dann wirklich (fast) losgeht, die meisten der Schauspieler:innen, schminken sich dort, führen letzte Aufwärmübungen durch und reden wie sie sonst vielleicht auch vor dem Aufritt bei den letzten Handgriffen an Kostüm und Maske.

Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen

Wer sich kurz umdreht, sieht im Eingangsbereich des Museums-Hofes einen gebückten, alten Mann in weitem Mantel mit dickem Buch unterm Arm. Der kommt langsam auf die Menschen unter den Vorhängen zu. Diese öffnen ihre „Verschläge“, wandern mit den fahrbaren Holzteilen in Richtung Bühne. Ebenso der Mann mit dem Buch.

Dieser, Kari Rakkola, von dem das Konzept und die Regie sowie – gemeinsam mit Roland Bonimair – die Bühnenfassung zu dieser Märchenstunde stammt, beginnt aus dänischem Original des Dichters Hans Christian Andersen zu lesen, teils mit Schwedisch gespickt. Und es taucht die verbindende Figur des Abends auf, eine junge Frau in weißem Kleid und nur in Socken – „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ (Linda Pichler). Natürlich mit riesigen Streichhölzern in der Hand. Und sonst nichts – bis ihr die sterbende Großmutter (Deborah Gzesh, die wie alle ihre Kolleg:innen mit Ausnahme Pichlers) in gefühlt mindestens ein Dutzend verschiedener Rollen schlüpft), überdimensionale Stoff-Schlapfen überlässt.

Armut und Reichtum

Wohlhabendere Bürger:innen, die sie um milde Gaben bittet, wimmeln sie mit häufig gehörten, gängigen ab: „Geb dir nix, das wäre gar nicht gut für dich“, „gemein, dass dich deine Eltern betteln schicken“…  – ausgerechnet von jenen werden ihr solche Sätze an den Kopf geworfen, die ihr gerade noch die Schlapfen weggenommen haben! Die schon genannte Gzesh verwandelt sich nun in eine Sängerin, die mit einem bekannten jiddischen Lied über bitterste Armut, die Atmosphäre des Mädchens mit den Schwefelhölzern vom Einzelschicksal auf ein gesellschaftlich verbreitetes Phänomen erweitert.

Das Andersen-Märchen über das Mädchen mit den Schwefelhölzern wird zum Türöffner anderer Märchen. Jedes Mal, wenn die zu ebener Erd auf den kalten Steinen wandernde Schauspielerin ein Streichholz anzündet, öffnen sich oben auf der Bühne zwei der fahrbaren Holzwände. Vinzent Gebesmair, Deborah Gzesh, Kari Rakkola und Karoline Sachslehner spielen Kürzestversionen oder zentrale Szenen eines von mehreren Andersen-Märchens. Dazu zählen die bekannten vom „standhaften Zinnsoldaten“ mit nur einem Bein und natürlich „Des Kaisers neue Kleider“, in dem Betrüger dem aufgeblasenen Herrscher ein Nichts von Gewand als das prachtvollste verkauften, der Hofstaat sich nicht traute, die Wahrheit zu sagen. Das Kind aus Andersen Märchens ist in dem Fall das Mädchen mit den Schwefelhölzern, das „aber der ist ja nackt“ als Einzige zu sagen wagt.

Musik

Wie in einigen der Jahre zuvor, in denen Zenith Productions für Theater und Musik diesen idyllischen Hof bespielte – das Museum soll renoviert werden und der Hof damit für einige Jahre nicht zur Verfügung stehen – wird das schauspielerische Geschehen, immer wieder auch mit Stoffpuppen-Szenen, auf und rund um die Bühne mehr als nur untermalt von Live-Musik. Muamer Budimlić spielt praktisch durchgängig atmosphärische Klänge, die von schon genannten jiddischen Liedern über finnischem schamanistischem Rock bis zu Johann Sebastian Bach, Dada und Tango reichen. Und heuer bedient er, wenn er nicht mit Tasten und Knöpfen seines Akkordeons Melodien erzeugt, per kleiner Fernbedienung noch eine „Traummaschine“. Paul Skrepek hatte eine skurrile aus unterschiedlichsten Elementen bestehende fahrbare mechanische Klangmaschine mit Walzen und Nägel, Federn und Blaseblag und noch allem Möglichem gebaut, die klimpert und bläst, trommelt und pfeift – und das Traumthema wunderbar ergänzt.

Auch unbekanntere Märchen

Der Abend bringt darüberhinau weniger bekannte Märchen – „Der Tannenbaum“, der endlich groß sein will, um ein Schiffsmast oder in dieser Version ein Maibaum werden zu können und sich freut, wenigstens als Weihnachtsbaum gefällt zu werden. Aber bald nach dem Fest aussortiert wird. Rakkola griff auch Motive aus „Ove Lukøje“ (Ole Luk-Oie) auf und baute als einziges Grimm’sche Märchen „Die Sterntaler“ ein.

Letzteres ist die einzige Szene, in der sich das Schwefelholz-Mädchen in eine andere Protagonistin verwandelt – und aus der Armut kommt indem es die vom Himmel fallenden Sterne als Taler auffängt. Als himmlischen Lohn dafür, dass es zuvor als armes Mädchen das letzte Stück Brot mit anderen Armen ebenso teilt, wie Mütze, Hemd und Rock. Während es als Mädchen mit den Schwefelhölzern von Wohlhabenderen ja sogar um die eigenen großen Filzpantoffel gebracht wurde wie oben beschrieben. Mit diesem Bogen entkommt der traumwandlerisch-märchenhafte Abend auch der Gefahr der Romantisierung von Armut, weil das Mädchen ja mit jedem Feuerchen aus einem der Streichhölzer eine neue farbenfrohe Geschichte gesehen hat. Zu sehen – meist rund ums Wochenende bis 23. Juli 2023 – Details, siehe Info-Box unten am Ende des Beitrages.

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Der Stoff, aus dem man Träume macht

Frei nach Märchenmotiven von Hans Christian Andersen

Zenith Productions für Theater und Musik
Ab 7 Jahren; eine Stunde

Konzept & Regie: Kari Rakkola

Schauspieler:innen
Hanna Victoria Bauer (Schauspiel, Österreich)
Carlos Delgado Betancourt (Schauspiel, Kuba)
Muamer Budimlić (Musik, Bosnien und Herzegovina)
Vinzent Gebesmair (Schauspiel, Ö)
Deborah Gzesh (Schauspiel, USA)
Linda Pichler (Schauspiel, Ö): Das Mädchen mit den Schwefelhölzern
Kari Rakkola (Regie/Schauspiel, Finnland)
Karoline Sachslehner (Schauspiel, Ö)

Musik: Muamer Budimlić (live)
Paul Skrepek (Traummaschine)

Bühnenfassung: Kari Rakkola, Roland Bonimair
Technik, Bühnenbild, Rauminstallation: Kari Rakkola und Gruppe

Wann & wo?

Bis 23. Juli 2023
Innenhof des Volkskundemuseums Wien / Gartenpalais Schönborn: 1080, Laudongasse 15-19

Eintritt: Freiwillige Spende, von der die Hälfte in guter Tradition an eine Kinderhilfsorganisation geht
Info/Reservierungen:
Telefon: 0 677 614 05 081
zenithproductionsvienna