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Szenenfoto aus "Jugend ohne Gott" von Theater Wozek
Szenenfoto aus "Jugend ohne Gott" von Theater Wozek
25.09.2022

Wo bleiben menschliche Werte?

Ödön von Horváths Schullektüre-Klassiker „Jugend ohne Gott“ in eine aktualisierte Rahmenhandlung eingebettet – von Theater Wozek tourt durch Wien und Niederösterreich

Heftig, oag, brutal wie es in diesem Internat, in dieser Fünfergruppe von Schüler:innen zugeht. In die Gosch’n hauen, intrigieren, Machspiele auch mit Zuneigungen. Gespielt von einem sehr jungen Ensemble. Ein Spiel, das oft an die Nieren geht, mit unter aber auch für recht heitere Momente sorgt. Mit Lachen, das dann fast im Hals stecken bleibt. Und eine Lehrerin, die pseudoliberal daherkommt. Deren Darstellerin (Marion Rottenhofer) dies durch offensichtliches Überdrehen definitiv als Fassade spüren lässt. Das ist das Umfeld der „Jugend ohne Gott“-Version des Theaters Wozek, frei nach dem autor des Originals Ödön von Horváth (1937 erstmals erschienen).

Referat

Die neu (vor 15 Jahren erstmals) erfundene Rahmenhandlung: Fünf Schüler:innen sollen/ müssen ein Referat über Horvaths Werk, Leben, Rezeption usw. halten. Was diesen so genau gar nicht taugt. Abgesehen davon, dass die meisten davon einander so ziemlich wenig ausstehen können – abgesehen von Liebeleien, die von männlicher Seite aber auch nur als Machtspiele missbraucht werden.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Jugend ohne Gott“ von Theater Wozek: Schüler B und Lehrerin

Pseudo

Die fast Süßholz raspelnde Lehrerin, die die Klasse neu übernimmt, scheint als wäre sie eben von einem Seminar gekommen, wie motiviere ich Schüler:innen. Kein Schaden. Aber wenn es so aufgesetzt ist? Und die von oben herab bemutternde Umgangsweise mit B, dem Rollstuhl fahrenden Schüler (Georg Müller-Angerer) stößt diesem mehr als sauer auf. Der Schauspieler brauch im echten Leben keinen Rollstuhl, um sich vorwärts zu bewegen, und schlüpft in einer Szene im zweiten Teil auch in eine auf einem Podest stehende Staute eines römischen Helden – vielleicht Cäsar, der in Horváths Roman als Pseudonym für einen alten Lehrerkollegen vorkommt, der vom „Zeitalter der Fische“ spricht (ein aufgeblasener baumelt von der Bühnendecke) und dies als Metapher für die menschlichen Gefühle meint, die so nichtssagend würden wie Fischgesichter.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Jugend ohne Gott“ von Theater Wozek: Eva und Z

Brücken-„Trick“

Und genau mit diesem „Trick“ der vor allem negativen Gefühlsregungen schlägt die Rahmenhandlung die Brücke zum Original. Ein Teil des Horváth’schen Roman-Personals agiert hier analog der Charakteren-Zeichnung des Autors: B, T, N und Z. Sowie Eva, die aus der beim Zeltlager verfeindeten Räubergruppe hier in die Internatsklasse geholt wird. Aber als Jugendliche mit Migrationshintergrund von so manchen der elitären Mitschüler:innen zur Außenseiterin gestempelt wird. Obwohl sie hier aufgewachsen ist und nur ihre Eltern aus der Ukraine zugewandert sind.

Szenenfoto aus
Schlägerei aller gegen alle – außer der Lehrerin

Ukrainische Sätze

Und das passiert ihr hier nicht zum ersten Mal, sie hat Erfahrungen gesammelt sich lautstark ebenso wie schlagkräftig zur Wehr zu setzen – eine Rolle wie auf den Leib geschneidert für Julia Wozek, die trotz ihrer Jugend schon oft solch starke junge Frauen verkörpert hat. Mit der möchtest du dir’s lieber nicht anlegen – nur, wenn du ihr nie persönlich begegnet bist. Die sanfte junge Frau kann auf der Bühne überzeugend zur Löwin werden. Und sie hat privat Ukrainisch gelernt. So manchen Satz streut sie gekonnt in den einen oder anderen ihrer Auftritte ein.

Diktatorin

N wurde in der Wozek-Version so wie der Lehrer aus dem Original zu einer Frau. Karoline Sachslehner gibt diese vor allem auf ihr Äußeres bedachte Schülerin, die sich sozusagen zu den Besseren zählt, dominiert, diktiert, wer welche Aufgabe fürs Referat zu übernehmen hat, sehr überzeugend. Genauso wie ihre blutige Verletzung, deren Verursacher zunächst im Dunkeln bleibt. Mit scheinbar geschwollenem Mund schafft sie es genau so zu sprechen mit halbverschluckten Wörtern.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Jugend ohne Gott“ von Theater Wozek: N und T

Überheblich

Genauso überzeugend wirkt Paul Haertl als der intellektuell überlegene und dieses auch immer wieder ausspielende T. Kalt, scheinbar ganz emotionslos und doch recht hinterfotzig, ja der … – ach ein bisschen Spannung soll bleiben, für jene, die das Original nicht kennen.
Last but keinesfalls least: Alex Schauer als die Frauen wie Supermarkt-Artikel (be)nutzender Z rundet das Ensemble ab, das mehr als zwei Stunden (eine Pause; Schulvorstellungen sind kürzer) das Publikum auf emotionalem Trab hält.

Das sehr junge Ensemble, teilweise noch Schauspiel-Studierende, wuchs so fest zusammen und muss extrem viel Vertrauen untereinander aufgebaut haben, um die vielen verbalen und körperlichen Aggressionen so authentisch und punktgenau spielen zu können ohne Angst voreinander zu haben oder sehr ins Gekünstelte ausweichen zu müssen.

Karrierebooster

Das gelang auch der Version vor 15 Jahren – bei der ebenfalls Marion Rottenhofer die Lehrerin spielte. Alle anderen eroberten in der Folge die verschiedensten Theaterbühnen, bis hinauf zum Burgtheater etwa – Sandra Selimović in „Die Ärztin“ – Interview mit ihr, in dem sie sich sehr gern an ihre Anfänge im Theater Wozek erinnert sind unten verlinkt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Jugend ohne Gott“ von Theater Wozek

Zitate aus alter Kritik, die auch aktuell trifft

Und hier erlaub ich mir – obwohl neues Ensemble, ein Drittel neu und aktualisiert ein wenig aus meiner seinerzeitigen Stückbesprechung (damals noch im Kinder-KURIER) zu zitieren: „Faszinierend wie diese Rahmenhandlung schon mit einem Gutteil des Personals aus Horváths Stück hantiert. Ausgrenzung – neben dem Rollstuhlfahrer vor allem der Migrantin Eva – sind ebenfalls nichts anderes als inspiriert vom Rassismus in einem der Aufsätze, die der Lehrer im Originalstück lesen muss. …

„Die Guten sind böse und die Bösen gut!“, lautet eines der Zitate – je nach herrschender Norm eben! So wird Horváths Auseinandersetzung mit Grundfragen verständlich, nachvollziehbar – der Bogen vom fast 100 Jahre alten Stück ins hier und heute gespannt. Macht richtig Lust darauf, wirklich ein Referat zu seinem Stück zu machen.“

Follow@kiJuKUheinz

EVA
Ich bin die Eva
und das ist meine Gang.
Kommt‘s uns nur näher
und wir machen PENG!!

Der Horvath hatte Recht,
wir glauben nicht an Gott.
Gewalt geschieht zu Recht,
solang die Welt voll SPOTT.

Wo ist die Gerechtigkeit?!
Wer sagt, was richtig ist?!
Wenn wir in unsrer Schlechtigkeit
schlagen ins GESICHT.

ALLE
Vier gegen einen,
das können wir gut.
Kalte Blicke, statt Weinen…
den Lehrern fehlt der Mut.

Aus der aktuellen Theater-Wozek-Version von „Jugend ohne Gott“
INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Jugend ohne Gott

frei nach dem Roman von Ödön von Horvath
Stück(fassung) & Regie: Karl Wozek

Es spielen:
Lehrerin: Marion Rottenhofer
Schüler:innen
Eva: Julia Wozek
N: Karoline Sachslehner
B: Georg Müller-Angerer
T: Paul Haertl
Z: Alex Schauer

Licht: Jakub Kavin

Wann & wo?

29. Und 30. September 2022, jeweils 10 Uhr
Theater Arche: 1060, Münzwardeingasse 2A

4. Oktober 2022; 11 Uhr
Stadtsaal Zwettl
3910, Hammerweg 2

5. Oktober 2022; 10.30 Uhr
Stadtsaal Mistelbach
2130, Franz Joseph-Straße 43

10. November 2022; 11 Uhr
frei:raum St. Pölten
3100 Herzogenburger Straße 12

13. Dezember 2022; 11 Uhr
Theaterhalle Amstetten
3300, Stadionstraße 12

Tickets:
office@theater-wozek.at

Weitere Infos:
theater-wozek -> jugend-ohne-gott