Vor allem junge Roma- und Romnja-Aktivist:innen waren in diesem Jahr bei der Gedenkveranstaltung an den Völkermord der Nazis am Wort. Der Gedenktag ist immerhin nun ein offizieller der Republik.
„Ganz besonders hier in Österreich ist es wichtig, dass wir uns an die Gräueltaten des Nationalsozialismus erinnern und auch niemals vergessen, was seitdem passiert ist, und noch immer passiert – ich erinnere beispielsweise an Oberwart und Hanau. Denn wer vergisst, ist verdammt zu wiederholen“, sagt der junge Redner Santino Stojka Mittwoch Abend (2. August 2023) bei der Gedenkveranstaltung für die von den Nazis ermordeten Roma und Sinti. Es waren insgesamt rund eine halbe Million Menschen, die allein wegen der Zugehörigkeit zu diesen Volksgruppen in den Konzentrationslagern umgebracht worden sind. Der Gedenktag 2. August ist speziell der sogenannten „Zigeunernacht“ im Vernichtungslager Auschwitz gewidmet. 1944 wurden von 2. auf 3. August mehr als 3000, jüngeren Forschungen zufolge sogar rund 4500 Menschen, Angehörige dieser Volksgruppen, vergast.
Zum neunten Mal organisierte die Zivilgesellschaft – ausgehend von Roma- und Sinti-Vereinen, nach und nach auch unterstützt von anderen Organisationen, schrittweise auch von Politiker:innen – die Gedenkveranstaltung am Ceija-Stojka-Platz in Wien-Neubau. Diese – vor zehneinhalb Jahren verstorbene – Künstlerin und Zeitzeugin, war eine der ersten in Österreich, die die systematische Verfolgung bis Vernichtung dieser Volksgruppe immer und immer wieder öffentlich gemacht hatte – in Bildern, Büchern und Hunderten Workshops vor allem mit Schüler:innen. Der Beginn des Öffentlichmachens fiel in die Jahre der Bundespräsidentschaft von Kurt Waldheim, der seine hochrangige Position im Nazi-Regime verheimlicht hatte.
Ihr Urenkel sprach dann weiter in der schon eingangs zitierten, kurzen, auf den Punkt gebrachten Rede: „Lernen müssen wir daraus. Und Verantwortung übernehmen. Um erkennen zu können, wenn sich Muster in unserer heutigen politischen Landschaft zeigen, die ähnlich sind zu den damaligen. Um Ungerechtigkeiten, Rassismus, Sexismus, Homophobie, und jegliche andere Art der Diskriminierung aufzeigen zu können, wenn wir sie sehen. …
Damit Menschen wie Ceija, die den Weg für unsere Generation geebnet haben, für immer als ein Zeichen gegen Nazis und rechtsradikale Ideologien stehen können. Damit wir ihre unermüdliche Arbeit weitertragen und für Erinnerung, Sichtbarkeit und Gleichberechtigung eintreten können. Für ein Zusammenleben in Einigkeit, Toleranz und Solidarität. Es ist nämlich unsere Verantwortung, zu verhindern, dass sich das Undenkbare wiederholt. Denn erst wenn wir bemerken, benennen und aufzeigen, können wir gemeinsam dagegen ankämpfen und etwas ändern.“
Seit einigen Jahren ist von Politiker:innen mehrerer Parteien bei der Gedenkveranstaltung versprochen worden, „aber nächstes Jahr wird es ein offizielle Gedenktag sein, und dann wird es auch ein Mahn- bzw. Denkmal für diesen Völkermord geben…“ Das immer wieder drauf drängen der Zivilgesellschaft hatte dann immerhin Erfolg: Am 31. Jänner dieses Jahres beschloss der Nationalrat – einstimmig – die Ratifizierung des internationalen Gedenktages (2. August) für die Ermordung von Roma und Sinti durch die Nazis. Öffentlich wird allerdings erst irgendwann im Herbst dazu eine Veranstaltung stattfinden, musste das souveräne und doch immer wieder auch berührende Moderationsduo der Veranstaltung, Samuel Mago und Vanja Minić, berichten.
Weil aber eben schon ein offizieller Gedenktag, hatten sich die Organisator:innen entschlossen, in diesem Jahr Politiker:innen – aus National-, Gemeinderat und Bezirksvorstehungen, gekommen waren dieses Mal ausschließlich welche von SPÖ und Grünen – nur zu begrüßen, die Bühne blieb – vor allem jungen – Aktivist:innen vorbehalten.
Zu der Schar der jungen Aktivist:innen zählt auch Lavinia Seidel, die trotz ihrer Jugend schon lange aktiv eine Stimme der vor allem internationalen Jugendbewegung der Romnja in Europa und Mitglied der HÖR- Hochschüler*innenschaft Österreichischer Roma und Romnja ist. Sie stellte in ihrer Rede vor allem diesen internationalen Zusammenhang von Fremden- und Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsruck her, in dessen Zuge Europa zur Festung gegenüber Menschen gemacht werden soll, die vor Verfolgung flüchten müssen.
Ein Fixstern der Reden am 2. August ist immer Nuna Stojka, die mehr als zwei Jahrzehnte gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter Ceija vor allem die Workshops mit Jugendlichen – in Österreich, Deutschland und Japan – gemacht hatte und deren Werk fortsetzt. Aber auch immer Ceija in deren eigenen Worten aus dem einen oder andere ihrer Bücher zu Wort kommen lässt, Gedichte, bei denen mitunter der Atem stocken bleibt – Auszüge daraus in dem Video hier unten.
Eine noch lebende Zeitzeugin betrat mit dem schon genannten Moderator, Aktivisten, künstlerischem Multitalent und ORF-Mitarbeiter Samuel Mago die Bühne, seine 86-jährige Großmutter Károlyné Mágó. Sie war extra aus Ungarn angereist. Und schilderte die fast unbeschreibliche Angst, die sie und ihre Familie vespürte, auch Opfer der Deportationen zu werden. Noch heute wache sie oft – von Albträumen geplagt – in der Nacht auf – mit Hilferufen, die ohne Ton aus ihr herauskommen.
Auszüge aus ihrer Rede – auf Ungarisch und übersetzt von ihrem Enkel – in diesem Video unten.
Die Journalistin und bekannte Aktivistin Gilda Horvath schloss den Reigen der Reden mit der noch immer unerfüllten Forderung nach einem Denkmal ab, das aber auch einen Gedenkort beinhalten sollte. „Und niemand sollte aber fragen, wie ein solches Denkmal und ein derartiger Gedenkort finanziert werden könne, denn als sie uns getötet haben, hat auch niemand gefragt, was es kostet.“
Auszüge aus ihrer Rede hier unten.
Ceija Stojkas „Wir leben im Verborgenen“, mit der sie öffentlich den Bann des Schweigens über den Porajmos (das Gegenstück zum Holocaust) in Österreich gebrochen hatte, ist übrigens kürzlich auf Englisch veröffentlicht worden. Die Herausgeberin Lorely French ist nach einem umfangreichen, tiefschürfendem Beitrag auf orf.at – Link zu diesem Artikel unten am Ende des Beitrages – auch eine der Kuratorinnen einer großen Retrospektive zu den Arbeiten von Stojka im Österreichischen Kulturforum in New York. Übrigens die erst Ausstellung – gemeinsam mit der Ceija Stojka Foundation – der neuen Leiterin dieser heimischen Kulturbotschaft in den USA, Susanne Keppler-Schlesinger. „Sie will mit der Schau nicht nur die Rolle Stojkas in der Thematisierung des Schicksals der Roma während der Nazi-Zeit und die Anerkennung der Roma und Sinti in Österreich thematisieren. Sie wolle sich, wie sie ORF Topos verriet, auch mit der Rolle der Roma im Exil auseinandersetzen.“
Bei der Gedenkveranstaltung keineswegs fehlen dürfen Musik – diesmal spielten Buku Weinrich, Joschi Schneeberger und Hans Zinkl (Newo Ziro Trio) vor allem Nummern, die Lebensfreude als Kontrapunkt ausstrahlten, sowie viele Sonnenblumen. Sie waren die Lieblingsblume Ceija Stojkas, ihnen e kamesgi luludschi hatte sie auch ein eigenes Gedicht gewidmet – das im Bericht über die Gedenkveranstaltung im Vorjahr hier veröffentlicht wurde – der erste der Links am Ende dieses Beitrages. Vor einem solchen Strauß stellten die Teilnehmer:innen am Ende noch brennende Gedenkkerzen auf.
Die letzten Worte des Moderationsduos:
Vanja Minić: Schau und vergiss nicht!
Samuel Mago: Dikh He Na Bister! (Dasselbe auf Romanes)
„Porajmos“ – das Romanes-Pendant zur Shoah an Jüd:innen – forderte insgesamt rund eine halbe Million Todesopfer, Roma, Sinti, Jenische, Lovara … wurden von den Nazis ermordet. Allein in der Nacht von 2. auf 3. August 1944 vergasten die Faschisten in Auschwitz-Birkenau nach jüngsten historischen Erkenntnissen rund 4300 Menschen, die sie „Zigeuner“ nannten – zuvor mit schwarzen Winkeln als „Asoziale“ versehen.
2015 beschloss das Europäische Parlament, den 2. August zum offiziellen Gedenktag zu erklären. Einige Länder haben das bereits getan. In Österreich liegt seit einigen Wochen ein Entschließungsantrag der beiden Regierungsparteien im Parlament.
Daneben gibt es – seit 1990 – einen Welt-Roma-Tag am 8. April. Anlass ist der Jahrestag der ersten Welt-Roma-Konferenz – 1971 – auf dem sich die Vertreter:innen gegen die üblichen Bezeichnungen Zigeuner bzw. Gipsy aussprachen, dem den Begriff Roma gegenüberstellten, die Hymne „Djelem Djelem“ und die Flagge beschlossen und forderten, den 8. April zum internationalen Aktionstag zu machen.