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Der Oberarm von Fatima (2) wird abgemessen, um den Grad ihrer Unterernährung festzustellen
Der Oberarm von Fatima (2) wird abgemessen, um den Grad ihrer Unterernährung festzustellen
02.02.2022

„In Afghanistan höre ich (fast) keine Kinder lachen“

Sam Mort von Unicef-Afghanistan schildert die Lage: Hungernde Kinder, hoffnungslose Mütter, kaum sauberes Trinkwasser.

„Es gibt Kinder, die im traditionellen Sinn abgemagert sind, weil sie hungern. Sie sind also nur Haut und Knochen. Ihre Haut ist trocken und faltig. Oft ist ihr Brustkorb dekomprimiert. Sie ringen nach Luft. Das sind sehr, sehr alarmierende Bilder. Dann gibt es Kinder, die auch an Ödemen leiden, was bedeutet, dass Teile ihres Körpers anschwellen. Und auch diese Kinder sind auf unterschiedliche Weise betroffen. Es gibt Kinder mit Ödemen an den Händen. Sie haben dicke und geschwollene kleine Hände, die vor Hitze pulsieren und sehr schmerzhaft sind. Und die Kinder weinen die ganze Zeit.

Manchmal haben sie die Ödeme an den Füßen oder an den Beinen. Manchmal haben sie die Ödeme auch am Oberkörper. Wir haben auch Kinder mit schwerer akuter Mangelernährung gesehen, die gleichzeitig Gelbsucht haben, oder schwere akute Mangelernährung und Meningitis. Die Tatsache, dass sie unter schwerer akuter Mangelernährung leiden, macht die andere Krankheit, an denen sie erkrankt sind, noch viel schlimmer. Das macht sie viel anfälliger.“

Sam Mort (links) von Unicef-Afghanistan trifft Parwana (4) und ihre Mutter im Bab-e-Bargh-Gesundheitszentrum von Herat (November 2021)
Sam Mort (links) von Unicef-Afghanistan trifft Parwana (4) und ihre Mutter im Babai-Barq-Gesundheitszentrum von Herat (November 2021)

Diese Sätze stammen von Sam Mort. Sie leitet die Kommunikationsabteilung von Unicef in Afghanistan. Die Österreich-Abteilung des UNO-Kinderhilfswerks hat sie kürzlich ausführlich interviewt – und stellt dieses Gespräch – sowie Fotos und Videos Medien zur Verfügung. Wir zitieren daraus. Sam Morts Erzählungen und Bilder sind fast nicht auszuhalten – noch schwieriger auszuhalten ist das Leben für Kinder und ihre Eltern vor Ort. Die Auszüge seien hier veröffentlicht als Appell an uns alle, das Leid der Menschen in Afghanistan nicht zu ignorieren.

Unicef-Österreich: Was haben Sie bei Ihrem jüngsten Besuch im Kinderkrankenhaus erlebt?
Sam Mort (Unicef-Afghanistan): „Ich war letzten Sonntag und Donnerstag (Mitte Jänner 2022) im Indira Gandhi Children Hospital in Kabul und im Provinzkrankenhaus von Maiden Wardak. Die Situation der schweren akuten Mangelernährung, wegen der wir dort waren, verschlechtert sich im ganzen Land weiter. Landesweit leiden 23 Millionen Menschen unter Ernährungsunsicherheit, 13 Millionen davon sind Kinder. Wir haben fast 3,5 Millionen Kinder, die akut mangelernährt sind und eine Million, deren Leben durch schwere akute Mangelernährung bedroht sind.

Schwer hungernde vierjährige Parwana

In der Regel wird schwere akute Mangelernährung ambulant behandelt, d. h. man wird nicht ins Krankenhaus eingewiesen, sondern ein Ernährungsberater untersucht und überwacht das Kind. Sie messen den Umfang der Oberarme und, wenn das Kind akut mangelernährt ist, geben sie ihm therapeutische Spezialnahrung mit nach Hause. Die Kinder, die ins Krankenhaus eingeliefert werden, sind die chronischen Fälle mit Komplikationen. Der Arzt im Indira Gandhi Krankenhaus hat uns letzte Woche gesagt, dass sie 100 dieser chronischen Komplikationen pro Monat behandeln. Das ist eine ganze Menge.

Hoffnungslosigkeit der Mütter

Die Babys, die wir auf dieser Station gesehen haben, waren zwischen zwei und 18 Monaten alt. Für mich war es schon immer beunruhigend, die Kinder auf der Station zu sehen, aber es ist noch beunruhigender geworden, ihre Mütter zu sehen. Als ich vor zwei Monaten ins Krankenhaus kam, saßen die Mütter neben den Betten und sie waren müde, weil sie schon drei, vier, fünf, sechs oder sieben Tage im Krankenhaus waren. Sie schlafen also nicht richtig. Sie schlafen in einem Sessel, bis es ihrem Kind besser geht. Als ich in den letzten zwei Wochen im Krankenhaus war, ist mir etwas aufgefallen, was ich sehr beunruhigend und überwältigend finde: die Hoffnungslosigkeit der Mütter. Sie leben in Verzweiflung, weil sie wissen, dass es kein Licht am Ende des Tunnels gibt. Sie sehen keinen Ausweg aus ihrem Leid. Selbst wenn sie ihr Kind aus dem Krankenhaus mit nach Hause nehmen – sie wissen, dass sich der Kreislauf wiederholen wird und ihr Kind wieder ins Krankenhaus muss. Und so weinen die Mütter einfach, sie weinen.

Im Flüchtlingslager Haji in Kandahar (Süd-Afghanistan) für Binnen-Vertrieben
Im Flüchtlingslager Haji in Kandahar (Süd-Afghanistan) für Binnen-Vertrieben

Im Krankenhaus kam am Donnerstag eine Mutter mit einem Rezept in der Hand zu mir und sagte traurig: ‚Der Arzt hat mir ein Rezept gegeben, ich brauche dieses Medikament für mein Kind, aber ich habe kein Geld für das Rezept.‘

Ein Mann kam auf mich zu, zerrte mich die Treppe hinunter und zog mich fast mit sich. Es war etwas so Eindringliches in seinem Griff und er sagte: ‚Meine Frau hat Drillinge bekommen und kann sie nicht ernähren. Sie verhungern vor meinen Augen. Was soll ich tun?‘

Und das ist etwas, was wir sehr oft hören: Dass Mütter ihre Kinder in die Krankenhäuser und Kliniken bringen und die Babys so schwach sind. Und der/die Ernährungsberater*in sagt dann: ‚Stillen Sie‘? Und die Mutter wird sagen: ‚Ich habe keine Milch. Ich kann nicht stillen‘. Und dann werden wir zur Mutter sagen: ‚Und was isst du?‘ Und jetzt kann ich schon fast vorhersagen, was sie sagen wird, weil ich es schon so oft gehört habe: Ein Glas schwarzer Tee und ein Stück Brot am Tag. Wenn das also alles ist, was sie als stillende Mütter zu sich nehmen, ist es nicht verwunderlich, dass sie nicht in der Lage sind, ein weiteres Leben zu ernähren. Dass sie nicht in der Lage sind, ihr eigenes Baby zu ernähren. Und ich denke, dass die Schwierigkeiten beim Stillen auch darauf zurückzuführen sind, dass die Mütter sehr gestresst sind. Sie sind wirklich extrem gestresst.

Frühgeburten aus Stress

Vor einem Monat war ich im Provinzkrankenhaus von Bamiyan und der dortige Arzt erzählte mir, dass die Zahl der Frühgeburten um 30 Prozent gestiegen sei. Und ich dachte: ‚Oh mein Gott, das ist eine große Zahl.‘ Als ich fragte, warum, antwortete er: ‚Weil die Mütter sehr gestresst sind, wenn sie schwanger sind, und sie essen nicht. Ihr Körper kann die Schwangerschaft nicht bewerkstelligen.‘

Dünne Oberärmchen als deutlich sichtbares merkmal von Hunger
Dünne Oberärmchen als deutlich sichtbares merkmal von Hunger

Als ich in die Ambulanz hinunterging, sprach ich mit einer Mutter, die im achten Monat schwanger war. Und ich sagte zu ihr: ‚Erzählen Sie mir von Ihrer Woche. Was haben Sie gestern gemacht?‘ Und sie sagte, sie sei aufgestanden – Bamiyan ist eine ziemlich ländliche Gegend, dort sind die Buddhas und es ist bergig und sehr, sehr schön – und sie erzählte weiter: ‚Ich bin gestern um 5 Uhr aufgestanden und bin über den Berg gelaufen, um Äste und Holz zu finden und sie mit nach Hause zu nehmen, weil wir kein Öl haben. Wir können uns kein Holz leisten, wir können keine Kohle kaufen.‘ Sie sagte auch, dass sie gesammelten Tierkot in einer großen Pyramide auf dem Dach trocknen. Der brennt zwar, aber er brennt nicht gut. Er brennt nicht effizient und natürlich riecht er nicht gut. Zu diesem Zeitpunkt hat es vor einem Monat null Grad in Bamiyan. Also wird es um 5 Uhr morgens noch kälter sein. Diese Frau ist im achten Monat schwanger, wandert über Berge, bückt sich und trägt schweres Holz. Und ich dachte nur: „Du bückst dich immer wieder.“ Kein Wunder, dass sie eine Frühgeburt erleben.

Außerdem sagte der Arzt, dass er viele Babys mit niedrigem Geburtsgewicht sieht, was eine weitere Folge der Mangelernährung der Mutter ist, die das Baby bei der Geburt viel anfälliger macht. In diesem Krankenhaus brachte mich der Arzt auf die Station für Frühgeburten. Dort lagen drei Babys pro Bett. Es gab sechs Kinderbetten für 18 Säuglinge. Und der Arzt berichtete traurig: ‚Das ist eine Katastrophe, denn wenn die Babys so nah beieinanderliegen, übertragen sie Krankheiten.‘ Das ist also ein echtes Problem. Der andere Trend ist – und davon habe ich schon oft gehört – dass die schwere akute Mangelernährung um 50 Prozent zugenommen hat, was enorm ist.

Teufelskeis

Dieser Arzt hat zusätzlich einen 50-prozentigen Rückgang bei den Routineimpfungen festgestellt. Das hat mich fast vom Sessel fallen lassen. Als ich ihn fragte: ‚Warum? Warum sind Routineimpfungen zurückgegangen?‘ Das war eigentlich ein recht guter Indikator, das heißt wir waren in diesem Bereich recht gut. Der Arzt betonte, dass es so viel Armut im Land gibt. Die Arbeitslosigkeit ist seit August stark angestiegen. Ich meine, es ist einfach eine gerade Linie, die nach oben geht. Die Leute verlassen ihre Häuser, um Arbeit zu suchen. Und dann gibt es noch eine andere Kategorie – und das ist eine zunehmend große Kategorie – von Menschen, die sich Geld geliehen haben. Und dann wollen die Leute ihr Geld zurück, aber sie können es nicht zurückzahlen, also fliehen sie aus ihrer Gemeinde. Wenn sie also fliehen oder wenn sie Arbeit suchen und durch das Land reisen und unter freiem Himmel leben, dann ist das Letzte, woran sie denken bzw. was für sie Priorität hat, ihr Baby gegen vermeidbare Kinderkrankheiten impfen zu lassen. Infolgedessen nehmen Masern, Dengue-Fieber und akute wässrige Diarrhöe zu. Es ist ein schlimmer Teufelskreis. Wir sehen in allen Provinzen eine ähnliche Situation. Mit einem Wort, es ist eine Katastrophe, würde ich sagen. Es ist eine wirklich sehr traurige Situation.

Im Flüchtlingslager Haji in Kandahar (Süd-Afghanistan) für Binnen-Vertrieben
Im Flüchtlingslager Haji in Kandahar (Süd-Afghanistan) für Binnen-Vertrieben

Starke Teuerung der Grundnahrungsmittel

Eine andere Sache, von der wir im Krankenhaus gehört haben, ist der Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit und Mangelernährung bei Kindern. Ich frage die Mütter der mangelernährten Kinder im Krankenhaus: ‚Wie konnte es so weit kommen? Was ist passiert?‘ Jede Einzelne von ihnen sagte: ‚Mein Mann hat seine Arbeit verloren.‘ Sie sind wirklich sehr verzweifelt. Wenn man sich den Lebensmittelpreisindex anschaut, sieht man, dass die Preise seit August stetig steigen. Damit sind die Grundnahrungsmittel wie Mehl, Reis und Öl für die Mehrheit der Bevölkerung unerschwinglich geworden. Die Ironie ist, dass es in jeder Stadt und jedem Dorf in Afghanistan reichlich Lebensmittel gibt.

Es ist nicht so, dass es einen Mangel an Lebensmitteln gibt. Vielmehr fehlt es an Geld, um die sie zu kaufen. Und unten in dieser Tabelle – was ich wirklich interessant finde – ist die Anzahl der Tage, die für die durchschnittliche tägliche Arbeit zur Verfügung stehen. Viele Menschen sind im Land unterwegs, um Arbeit zu suchen. Sie tauchen morgens um 7 Uhr an einem zentralen Ort in ihrer Stadt oder ihrem Dorf auf und jemand kommt vorbei und sagt: ‚Ich brauche dich für 6 Stunden. Ich gebe dir zum Beispiel 500 Afghani.‘ Und wenn das drei oder vier Mal in der Woche passiert, dann können sie gerade so viel Geld zusammenkratzen, dass ihre Familie davon leben kann. Aber jetzt sind die verfügbaren Arbeitstage im ganzen Land auf – ich glaube – 1,5 gesunken. Und ich dachte: ‚Oh Gott, wenn du ein Arbeiter bist und du umgerechnet 1,50 Dollar pro Tag für 1,5 Tage verdienst und du hast eine Familie mit sechs, acht oder neun Kindern – sechs ist die Mindestanzahl, es gibt auch Familien, die 11 Kinder haben – dann ist nicht genug, um deine Familie zu ernähren. Es ist nicht genug!”

„Zuhause“ bei Parwana in Sharak-Sabz

Unicef-Österreich: Womit können wir derzeit am meisten helfen?
Sam Mort (Unicef-Afghanistan): „Wir brauchen weitere Gelder, die wir flexibel einsetzen können. Ironischerweise haben wir jetzt Zugang zu mehr Teilen des Landes als je zuvor, da es keine Kämpfe zwischen den Taliban und der ehemaligen Regierung mehr gibt. Wir haben jetzt Zugang zum ganzen Land und arbeiten in 13 Büros. Wir haben ein starkes Netzwerk und Lagerhäuser überall. So könnten wir alles liefern, jedoch brauchen wir mehr Hilfsgüter und dafür brauchen wiederum mehr Mittel. Es muss eine flexible Finanzierung sein. Wenn wir zum Beispiel am Montag Impfstoffe, Spezialnahrung oder Schultaschen brauchen, dann müssen wir die Flexibilität haben, diese zur Verfügung zu stellen. Wir müssen momentan sehr schnell arbeiten.“

Unicef-Österreich: Können Sie uns kurz über die aktuelle Situation für Mädchen in Afghanistan erzählen?
Sam Mort (Unicef-Afghanistan): „Im ganzen Land werden die Rechte von Mädchen und Frauen nicht in vollem Umfang anerkannt. Das erfüllt UNICEF und alle UN-Organisationen sowie ihre Spenderinnen und Spender mit großer Sorge. Deshalb setzen wir uns bei den Behörden sehr stark dafür ein, dass die Rechte aller Mädchen und Frauen anerkannt werden. Dazu gehört auch das Recht, sicher zur Arbeit fahren zu können sowie das Recht auf Arbeit. Oder das Recht für Mädchen aller Altersgruppen, eine Schule zu besuchen. Es ist noch viel zu tun, aber UNICEF gibt niemals auf und wir werden uns weiterhin nach besten Kräften dafür einsetzen.“

Im Flüchtlingslager Haji in Kandahar (Süd-Afghanistan) für Binnen-Vertrieben
Im Flüchtlingslager Haji in Kandahar (Süd-Afghanistan) für Binnen-Vertrieben

Unicef-Österreich: Können Mädchen aktuell eine Schule besuchen?
Sam Mort (Unicef-Afghanistan): „Mädchen der Primarstufe können die Schule besuchen, aber Mädchen der Sekundarstufe wurden aufgefordert, so wie Lehrerinnen zu Hause zu bleiben, bis die Behörden einen Rahmen schaffen können, der ihre sichere Teilnahme an der Schule ermöglicht. Wir hoffen – vorsichtig gesagt – dass die Schulen Ende März wieder für alle Kinder, auch für Mädchen geöffnet werden.“

Unicef-Österreich: Welches Erlebnis hat Sie in den letzten Monaten am meisten bewegt?
Sam Mort (Unicef-Afghanistan): „Ich glaube, wenn du mir diese Frage vorgestern gestellt hättest, hätte ich gesagt: ‚Ich saß am Bett eines Kindes, das schwach und zerbrechlich war, und hielt seine Hand und die Mutter weinte und kämpfte.‘

Aber um ehrlich zu sein, ist es eine Geschichte, die ich gestern erlebt habe. Wir kamen aus einem gemeindebasierten Unterricht in Maiden Wardak. Nach dem Unterricht hat sich eine Gruppe von Buben aus dem Dorf versammelt, um zu sehen, wer wir sind und was wir tun. Sie waren so sympathisch und so motiviert. Obwohl 60 Zentimeter hoch Schnee gelegen ist, hatten einige von ihnen Flipflops an und nackte Zehen. Sie waren so unzureichend gekleidet. Ihre Nasen waren rot und liefen. Ihre Hände waren eiskalt. Ich habe eine Schneeballschlacht gestartet und binnen kurzer Zeit haben mich alle sieben Kinder mit Schneebällen beworfen. Ich musste lachen und sie haben gelacht. Das Geräusch von Kinderlachen fand ich unglaublich berührend, denn in Österreich und in vielen Ländern der Welt ist das Lachen von Kindern eine Selbstverständlichkeit.

Screenshot aus einem Video über einen Hilfseinsatz von Unicef-Afghanistan in Bamyan
Zu einem Video vom Besuch von Sam Mort im Babai-Barq-Gesundheitszentrum von Herat geht es im Link unten

Video vom Besuch von Sam Mort im Babai-Barq-Gesundheitszentrum von Herat

Hoffnungsvolle Kinder

Es hat mich einfach innehalten lassen, weil ich in Afghanistan keine Kinder lachen höre. Die Freudenschreie und die Energie, obwohl ihnen eiskalt war. Sie sind in nur einer Sekunde in die Kindheit zurückgekehrt. Es war eine Freude, das zu hören. Es war so eine Bestärkung für das ganze Team und es war auch eine Erinnerung, wie stark und resilient diese Kinder sind. Sie sind stark, widerstandsfähig, angstfrei und hoffnungsvoll. Nach der Schneeballschlacht haben wir mit ihnen darüber gesprochen, was sie machen wollen, wenn sie älter sind. Die Buben in der Gruppe haben gesagt: ‚Ich werde Ingenieur und ich werde eine Brücke bauen. Ich will ein Krankenhaus bauen.‘

Vor zwei Wochen ein Ei gegessen

Diese Hoffnung, dieser Optimismus, dieser Ehrgeiz, obwohl sie sich in einem Land befinden, das mit so vielen Herausforderungen konfrontiert ist, ist eine Mahnung für uns alle, uns auf das zu konzentrieren, was möglich ist, und positiv zu bleiben. Ich habe die Buben dann auch gefragt, was sie essen und, ob sie genug zu essen haben. Sie sprachen davon, dass sie Brot und Tee zum Frühstück und Mittagessen haben.

Und vielleicht einmal Bohnen und Kartoffeln zum Abendessen. Und ich fragte weiter, ob jemand kürzlich ein Ei hatte. Darauf sagte ein Bub: ‚Ich habe vor zwei Wochen ein Ei gegessen, das ist etwas ganz Besonderes.‘ Und trotz alledem fallen sie in ihre Kindheit zurück, werfen Schneebälle, lachen und purzeln miteinander durch den Schnee.

Als wir die Straße entlang fuhren hielten wir an, weil wir all diese Kinder sahen, die an dem Hang des Berges hinunterrutschten. Im Moment gibt es viel Schnee, aber letztes Jahr überhaupt keinen. Wir gingen also über die Felder, um zu sehen, was die Kinder machten. Sie haben Plastikkanister für Pflanzenöl halbiert und jeder von ihnen saß in einer Hälfte und rutschte einfach mit großer Geschwindigkeit den Berg hinunter. Und wenn ich das sehe, das Lächeln und die Freude, die sie ausstrahlen, ist das eine Atempause von der Kälte, dem Hunger, der Arbeitslosigkeit der Eltern und den Krankheiten. Es war wirklich ein unbezahlbarer Moment.“

Screenshot aus einem Unicef-Afghanistan-Video vom Hilfseinsatz in Bamyan
Zu einem Video über einen Hilfseinsatz von Unicef-Afghanistan in Bamyan geht es im Link unten

Video von einem Hilfseinsatz in Bamyan

Unicef-Österreich: Wie schätzen Sie die Situation der Kinder in Afghanistan für das Jahr 2022 ein?
Sam Mort (Unicef-Afghanistan): „Ich muss leider sagen, dass es in den nächsten Monaten ziemlich düster aussieht. Denn wir haben erst die Hälfte des Winters hinter uns, und je mehr ich von Müttern und Vätern höre, desto hoffnungsloser scheint es. Väter haben keine Arbeit. Den Familien ist das Geld ausgegangen. Es ist Winter, also gibt es kein Gemüse oder Obst, das vor Ort wächst. Die Ernte war trocken, weil wir im Jahr 2021 einen so trockenen Sommer hatten. Die Lebensmittel, auf die sich die Menschen normalerweise verlassen würden, um den Winter zu überstehen gibt es also nicht. Ich denke daher, dass wir in den nächsten Monaten eine Eskalation der Krise erleben werden. Wir werden vor einer Katastrophe zurückschrecken.

Die Kinder werden kränker und schwächer und anfälliger werden. Wir sehen bereits sehr negative Bewältigungsstrategien von Eltern, die an den Rand der Verzweiflung getrieben werden. Wir sehen Eltern, die ihre Kinder aus der Schule nehmen, um sie arbeiten zu schicken. Und wir sehen Eltern, die gezwungen sind, eines ihrer Kinder einzutauschen. Sie brauchen das Geld, um den Rest der Familie zu ernähren, also lassen sie ein Kind gehen. Das ist eine herzzerreißende Situation und symptomatisch für die extreme Armut, die das Land erlebt. Nach Angaben des Entwicklungsprogrammes der Vereinten Nationen werden bis Mitte des Jahres 97 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. Daher denke ich, dass die nächsten Monate entscheidend sein werden.

Screenshot aus einem Video aus dem Flüchtlingslager für Binnen-Vertrieben in Haji in der Provinz Kandahar
Screenshot aus einem Video aus dem Flüchtlingslager für Binnen-Vertrieben in Haji in der Provinz Kandahar zum Video geht es im Link unten

Video aus dem Flüchtlingslager in Haji (Provinz Kandahar)

80 Prozent müssen verschmutztes Wasser trinken

Dies muss ein klarer Aufruf an die internationale Gemeinschaft und die führenden PolitikerInnen sein, Frauen und Kinder an die Spitze ihre Agenda zu stellen. Wir brauchen so schnell wie möglich humanitäre Hilfe für das Land. Wie ich bereits sagte, haben wir Zugang zum gesamten Land. Wir sind in der Lage, alles zu liefern, was wir bekommen, aber wir brauchen die Unterstützung der Weltgemeinschaft. Und die Weltgemeinschaft muss auch den humanitären Imperativ verstehen und begreifen, was es bedeutet, eine humanitäre Organisation zu sein. Das heißt, wenn Menschen in Not sind, haben sie das Recht, Hilfe zu bekommen und Organisationen wie UNICEF haben das Recht, sie zu ermöglichen.

In erster Linie müssen wir also Leben retten. Wir müssen die Gesundheit der Kinder sicherstellen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie in der Schule geschützt sind. Wir müssen dafür sorgen, dass sie sauberes Wasser zu trinken haben. Eine der jüngsten Statistiken, die wir veröffentlicht haben, besagt, dass acht von zehn Menschen in Afghanistan Wasser trinken, das mit Bakterien belastet ist. Das macht sie natürlich anfälliger für Krankheiten und Seuchen. Mit Blick auf das Jahr 2022 hoffe ich daher sehr, dass die weltweite Gebergemeinschaft sich für die Frauen und Kinder einsetzt, denn sie zahlen den höchsten Preis für die Krise, die sie nicht selbst verschuldet haben. Ich würde sagen, dass das Ausmaß des menschlichen Leids, das wir in Afghanistan sehen, so schlimm ist, wie ich es noch nie gesehen habe.“

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