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Szenenfoto aus "Der Bau" von Franz Kafka im Wiener Akademietheater

Spürbare Angst vor der Außenwelt

Ein hoher Bretterzaun, eine davor hängende (Energiespar-)Lampe – noch nicht leuchtend – und ein Erdhügel. Minimalistisch präsentiert sich die Bühne (Besim Morina, Harald B. Thor) dem Publikum im zum Burgtheater gehörenden Wiener Akademietheater. Die Kulisse für das folgende einstündige – wieder aufgenommene – Solo „Der Bau“.

Max Simonischek, geschminkt und angekleidet (Modedesign Basman) als Mischung aus Grubenarbeiter und erdbewohnendem Tier lässt diesen 31-seitigen Text von Franz Kafka lebendig werden. Das Wesen im Untergrund sieht diesen „Bau“ als seine schützende Festung. Geräusche nimmt es als Bedrohung wahr. Allein da drinnen fühlt es sich wohl. Einmal rausgekommen in der Freiheit, ängstigt diese mehr als das sich selber einsperren unter der Erde in dem begrenzten eigenen zu Hause. Sozusagen „my home ist my castle“ (mein Zuhause ist meine Burg/ Festung).

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Der Bau“ von Franz Kafka im Wiener Akademietheater

Buddeln, buddeln, buddeln…

Sowohl die angsterfüllende Grundstimmung vor der Bedrohung seines Baus als auch seine unbändige Lust und Leidenschaft, durch Graben in seiner Erdhöhle, diese sicherer zu machen, sind dem Schauspieler in das durch – spärliches – Licht zu sehende Gesicht geschrieben. Rast- und ruhelos buddelt er – meist in körperlich gebückter – Haltung in dem Erdhaufen. Irgendwann vernimmt er bedrohliche Geräusche – im Theater durch unheimliches den ganzen Raum erfassendes Grollen zu hören.

Schauspiel und wenig Licht (Licht: Marcus Loran; Sounds-Beratung: Daniel Freitag) vermitteln die Stimmung der Bedrohung, die das erzählende Wesen empfindet – und ebenso dieses gleichzeitig sich selber Einsperren im „Bau“, der Festung oder eines unterirdischen selbstgeschaffenen (gedanklichen) Kerkers.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Der Bau“ von Franz Kafka im Wiener Akademietheater

Leider zeitlos

Die im Jahr vor seinem Tod – unvollendete – Erzählung Kafkas wurde von Simonischek schon vor zehn Jahren am Züricher Neumarkt Theater entwickelt. Und passt leider hervorragend ins Zeitalter der wieder verstärkt an Festungen bauen wollenden rechtsrechten politischen Kräfte. Fürs Programmheft der Wiener Aufführung sagt der Solo-Schauspieler, der auch Regie führte im Interview mit Burgtheater-Dramaturgin Christina Schlögl: „Der erste Grund den Text zu machen, weil rein spielerischer. Während der Arbeit an dem Monolog im Jahr 2015, dem Jahr, das unter der Überschrift „Wir schaffen das“ stand und in dem Geflüchtete und die EU-Außengrenzen ein Riesenthema waren, hat der Text jedoch eine politische aktuelle Gewichtung bekommen, die ehrlich gesagt so gar nicht von mir beabsichtigt war. Aber im Nachhinein kann ich sagen, dass sich zeitlose Texte oder besonders gute Texte eben genau dadurch auszeichnen, dass sie immer wieder an Aktualität gewinnen.“

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Szenenfoto aus "Stefko Hanushevsky erzählt: Der große Diktator"

Vom kleindörflichen Friseur zum Leiter einer Tour durch rechtsrechte Gedankenwelten

Grandioses sehr humorvollen Finale mit Tiefgang des Vorjahres im Wiener Akademietheater. Mehrfach zwischendurch Szenenapplaus und am Ende fast never-ending standing Ovations für „Stefko Hanushevsky erzählt: Der große Diktator“.

Genau, um den berühmten Film, den ersten mit Ton von Charlie Chaplin geht es. Doch die Inszenierung (Regie: Rafael Sanchez) aus dem Schauspiel Köln, nun eben in Wien zu erleben, spielt nicht den Film nach. Der Solo-Schauspieler erzählt ihn auch nicht nach. Er verknüpft zentrale Elemente des Films, seine Leidenschaft für (Film-)Schauspiel mit seiner – angeblich – echten Lebensgeschichte.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Stefko Hanushevsky erzählt: Der große Diktator“

Gschichtldrucker

Angeblich deshalb, weil er immer wieder sein Talent zum Geschichtenerzählen unter Beweis stellt und hervorhebt. Schon als Friseurlehrling in seinem oberösterreichischen kleinen Dorf habe er damit den Laden am Laufen gehalten (in Chaplins Film agiert am Beginn ein jüdischer Friseur). Krähwinkel nennt er das Dorf – ein fiktiver Name für spießig, kleinbürgerliche Orte, der von mehreren Autoren, nicht zuletzt Johann Nestroy verwendet wurde.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Stefko Hanushevsky erzählt: Der große Diktator“

Raus aus dem Nazi-Mief und rein in die Tour durch den „Nazi-Park“

Aber irgendwie sei ihm der – viel zu lange erhalten gebliebene Nazi-Mief auf den Geist gegangen, er wollte raus – in die große Welt. Schauspieler werden – diesen Floh setzte ihm ein Onkel aus New York ins Ohr. Eines Tages sei er dann doch dort gewesen, sei in der Künstlergarderobe sogar dem berühmten James Gandolfini, bekannt geworden durch die Hauptrolle in der Seire „Die Sopranos“, begegnet. Doch das Fenster in die große Welt hätte er durch Ablehnung des Angebots einer kleinen Rolle ausgeschlagen. Denn zu Hause wartete seine Freundin Hermine – „Hair-mine“ (zwecks Frisiersalon).

Als Brotjob während seines dann doch in Angriff genommenen Schauspielstudiums (in Berlin) habe er sich als Reiseleiter von „Third-Reich“-Bustouren US-amerikanischer Tourist:innen verdingt. Und durch seine Erzählkunst sowie Zusatzgeschäfte ziemlich viel Trinkgeld lukriert.

Brücken zu und Anklänge an Chaplins Film

Von diesen Bustouren durch den „Nazi-Park Europa“ schlägt Hanushevsky immer wieder Brücken zu Chaplins Film, einer Persiflage auf den faschistischen Diktator Adolf Hitler in der Filmfigur des Adenoid Hynkel. Samt Weltherrschaftsplänen und der berühmten Szene mit dem Spiel dessen mit einem Erdkugel-Luftballon und jene auch sehr bekannte Szene scheinbar unverständlicher satirischer Kunstsprache. Letztere hält der Schauspieler in einem Fahrkorb über dem Reisebus, der die Bühne (Sebastian Bolz) dominiert und immer wieder Spielort drinnen und auf dem Dach ist. Die Landkarte trägt Hanushevsky in einem Ganzkörper-Bodysuit (Kostüme: Melina Jusczyk) und in einer aufblasbaren großen Kugel rollt er über die Bühne (Zorbing).
Apropos Anklänge: Witzig und oft auch mitreißend sind die gut ins Geschehen eingebetteten Gesangseinlagen des Schauspielers – nicht zuletzt von Falcos „Rock Me Amadeus“ (Musik: Cornelius Borgolte; Dramaturgie: Dominika Široká)

Aktuelles, nicht aufgesetzt

Zwischendurch macht Hanushevsky die eine oder andere Anspielung auf aktuelle rechtspopulistische bis rechtsradikale Entwicklungen – übrigens nicht nur in Europa und hebt damit den fulminanten, immer wieder sehr witzigen Abend, bei dem so manches Mal das Lachen im Hals stecken bleibt, auf die Ebene der generellen Kritik daran – wie sich auch Chaplin nicht auf die Parodie des Nazi-Führers beschränkt hat.

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Szenenfoto aus "Die Eingeborenen von Maria Blut"

„Maria Blut“ ist nicht nur fiktiv und nicht nur historisch

Eine riesige Marienstatue begleitet von zwei schwebenden Engels-Figuren (Bühne: Jessica Rockstroh) dominiert die Bühne – nachdem der schwarze Vorhang geöffnet wird. Als er noch geschlossen ist, schaut aus einem Spalt in der Mitte schüchtern eine Figur mit großem Puppenkopf hervor. Fünf andere – ebenfalls mit aufgesetzten großen puppenartigen Köpfen (Choreografie und Maskenarbeit: Mats Süthoff) gesellen sich dazu. Sie spielen die „Eingeborenen“ des Jubiläums-Wallfahrtsortes „Maria Blut“, eines fiktiven Dorfes sehr nahe bei Wien – Selbstbezichnung: „österreichisches Lourdes“. Zeit: die erste Hälfte der 30er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, vor allem 1933.

Wie sich zwischen (Schein-)Heiligkeit, Gerüchten und Ausgrenzung dichter spinnen, Jüd:innen und „Bolschewik:innen“ (Kommunist:innen), einfach „Rote“ ausgegrenzt, zu Sündenböcken gestempelt und verfolgt werden, das beschrieb die Autorin vor 90 Jahren und bringt das Stück „Die Eingeborenen von Maria Blut“ im Akademietheater in einem Wechselspiel der genannten „Puppen“-Figuren, die immer wieder ihre künstlichen „Über“-Köpfe absetzen und nun mit menschlichen Gesichtern in Rollen des Arztes Lohmann (Philipp Hauß), des Rechtsanwalts Meyer-Löw (Dorothee Hartinger), der resoluten, die Dinge beim Namen nennenden Marischka, Haushälterin bei Meyer-Löw (Lili Winderlich). Letztere gibt auch die Notburga, die besonders bet-freudige Tochter des Wirten Heberger (Robert Reinagl).

Wanderungsamt

Ihren Bruder Vinzenz spielt Jonas Hackmann, der auch Adalbert, den Sohn des Arztes gibt und im Haus seine Hakenkreuz-Armschleife verliert. Als Vinzenz kriegt er nur schwer Worte oder gar Sätze heraus, spricht hingegen fließend, wenn er sich vorstellt als richtiger Krückelgruber (die Ähnlichkeit zu Schicklgruber, wie Adolf Hitlers Vater hieß, ist sicher beabsichtigt) Reden vor Tausenden zu halten.

Stefanie Dvorak ist besonders wandlungsfähig. Neben der Erzählstimme wird sie zur fanatischen jungen Frau Reindl, spielt aber auch die Haushälterin Toni beim Arzt, die von der Ausweisung durch das Wanderungsamt bedroht ist, „weil ich nämlich Tschechin bin“, was Dr. Lohmann mit der überraschten Frage quittiert: „Eine Tschechin? Seit wann denn das?“ – Toni: „Weil doch mein Vater ein Tschech war.“ Sie hingegen war noch nie in der damaligen Tschechoslowakei und kann auch kein Wort Tschechisch.

Und das kommt so bekannt, so heutig vor, wenn Kinder nach Georgien oder sonstwohin abgeschoben werden, obwohl sie kaum oder nie dort waren und die jeweilige Sprache praktisch nicht können.

Vertrieben, lange „vergessen“

Die erst – wie andere aus Österreich im aufkommenden Faschismus vertriebene Autorinnen – spät wieder entdeckte Maria Lazar (Verlag der vergessenen Bücher) hat in Wien im genannten Jahr begonnen „Die Eingeborenen von Maria Blut“ zu schreiben, sah und hörte genau hin und konnte damit ahnen, was auf sie – und alle anderen – zukommen würde/wird. Deshalb flüchtete sie schon so früh – nach Dänemark auf die Insel Thurø, wo sie – wie auch Helene Weigel, Bertolt Brecht u.a. von Karin Michaëlis aufgenommen wurde. Letztere hatte knapp nach dem ersten Weltkrieg Wien besucht und über die berühmte, freie (Mädchen-)Schule der Eugenie Schwarzwald das Buch „Die fröhliche Schule“ verfasst. In Dänemark beendete sie die Arbeit am Mikrokosmos Maria Blut, der den Makrokosmos offenlegt – immerhin hatte Adolf Hitler im Jänner 1933 in Deutschland die Macht übernommen und in Österreich wurde unter dem Austrofaschisten Engelbert Dollfuß das Parlament ausgeschaltet, erste politische Parteien verboten…

Marienthal

Maria Blut erinnert auch ein wenig an Marienthal, wo Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und u.a. die weltberühmte erste umfassende sozialwissenschaftliche Studie über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit durchgeführt haben, nachdem die dortige Textilfabrik zugesperrt hatte, von der im Ort die Allermeisten gelebt hatten.

Maria Lazar siedelt in ihrem fiktiven Ort eine Fabrik für „Raumkraft“ eines Herrn Schellbach an und nahm damit Anleihe bei dem realen Hochstapler Carl Schappeller, der sozusagen Luftgeschäfte betrieben hat.

Unverkrampfte Aktualitästbezüge

Das Spannende an dem nicht ganz zweistündigen Theaterabend in vielen Einzelszenen, die von einer Art Blitzlichtgewitter der Lichterkette rund um die Bühne getrennt werden ist, dass es nicht nur zeigt, wie früh schon eine wachsame, analytische Autorin erkannte, worauf hinaus die Geschichte läuft – am Ende wird aus der Pleite gegangenen Fabrik eine solche für Patronen und damit den kommenden Krieg. Die rückblickend offenliegende Entwicklung hat sie schon Jahre davor seziert und in nachvollziehbaren Szenen beschrieben – ernst, hin und wieder auch mit humorvollen Momenten, bei manchen bleibt das Lachen schon im Halse stecken.

Schon der Text, aber nicht zuletzt die Inszenierung (Regie: Lucia Bihler, die mit Dramaturg Alexander Kerlin auch die Stückfassung geschrieben hat) schaffen es – und das ganz ohne Krampf subtil aktuellen Bezüge herzustellen – neben dem schon oben beim „Wanderungsamt“ Genannten noch solche wir Rufe nach starken Männern, nach einem Messias, mit Abbau bzw. Gefährdung von demokratischen Einrichtungen, Auf- und Ausbau von Feindbildern, Gerüchten, die zu Hasskampagnen werden…

Messias

Dazu sei noch der folgende Dialog zwischen Arzt und Rechtsanwalt zitiert:
„Lohmann: Dass die Leute nie gescheiter werden. Singen und jubilieren, als hätten sie das schönste  Leben. Was hier im Ort allein alles passiert ist. Die Pleite mit der Konservenfabrik, die Urkraftaktion des Herrn Schellbach, Not und Arbeitslosigkeit, Krise, Verzweiflung – es nützt alles nichts, die Leute werden nie gescheiter.

Meyer-Löw: Weshalb sollten Sie auch? Durch Schaden wird man dumm. Solang es den Menschen gut geht, kann man sie noch ertragen. Wenn sie aber was zu fürchten haben, das liebe Leben selbst, da rutscht der alte Wunderglaube auf die Erde hinunter, der Herrgott allein tut es nicht mehr, wen schickt er also, natürlich den Messias, einen waschechten aus Fleisch und Blut. (Lärm von draußen.) – Was ist denn das? Da beginnt wohl der Fackelzug zum Jubiläum. So hab ich sie abmarschieren sehen, zu Hunderten, dann sind sie an den Stacheldrähten verreckt, zu Tausenden.“

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