„Wurst, Obst, Stirbst“ – schon der Titel der Fortsetzung von „Ein bescheidener Vorschlag“ mit dem das Herminentheater den Nestroypreis für die beste Off-Theater-Produktion 2022 gewonnen hatte, greift in die Kiste des schrägen Humors. Sagen Sie sich einmal den neuen Stücktitel (halblaut) vor
Der Mut zur Hässlichkeit mit der die Figuren geschminkt und kostümiert (Eva-Maria Mayer) sind, der bei einem Erstbesuch vielleicht noch anfänglich Bedenken im Kopf entstehen lässt – „wäre das Body-Shaming über solche Charaktere zu lachen?“ – verfliegt bald. Die Typ:innen nehmen sich selbst und (hin und wieder) das Publikum auf die Schaufel. Und „entblößen“ vielleicht in ihrem bitterbösen-satirischen Schauspiel die eine oder andere dunkle Seite auch von Zuschauer:innen. Etwa wenn’s um die Verfrachtung der alten Frau Scherer (wunderbar schräg Ambra Berger) ins Pflegeheim geht und diese im Glauben lassen, es wäre nur ein kurzer Urlaub.
Eingebaut in komisch-schreckliche Szenen im Altersheim, sind „natürlich“ wieder solche der Polit-Satire: Der Bürgermeister (bitterbös Ida Golda, die auch Scherers Tochter spielt) ist Spritzwein-Fan und die Landeshauptfrau (Peter Bocek, auch Scherers Sohn und Arzt im Pflegeheim) ist keine Freundin von Gendern, weswegen sie lieber ein -mann am Ende ihres Titels trägt. Ach, natürlich brauchen sie ein nettes Foto mit Insaßinnen des Altersheimes für die Medien. Da ist es allen Beteiligten egal, dass die eine nur eine Aufblaspuppe, die von Pflegerin Lacrimosa mit östlichem Akzent (Anja Štruc) gehalten wird und die andere schon tot ist – „wurscht, ob’st stirbst“ sozusagen. Beim Gruppenfoto darf der schmierige Heim-Leiter (Kristóf Szimán) nicht fehlen.
Traten die Bouffons im Vorgänger-Stück immer wieder aus ihren genannten Rollen raus und verwandelten sich in Schauspieler:innen kürzest parodierter Shakespeare-Szenen, so nehmen sie sich dieses Mal russische Klassiker vor – „ja darf man das jetzt überhaupt?!“ Und so steht unter anderem „Krieg und Krieg“ von Leo Toystory (ausgehend von Lew Tolstois berühmten Roman „Krieg und Frieden“) auf dem Spielplan des Quintetts.
Mitunter gelingt der Versuch einen fulminanten Erfolg zu wiederholen nicht genau so gut wie beim ersten Mal – das muss, jedenfalls nach dem Besuch der zweiten Vorstellung drei Tage nach der Premiere – hier festgestellt werden. Menschen, die das Vorgängerstück nicht gesehen haben, waren dennoch ebenso sehr überzeugt wie eine offenbar eingefleischte Fangemeinde.
Noch bis Ende Mai (29.) ist das Stück vorläufig im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße, Wien-Mariahilf) zu erleben – Detailas siehe Info-Box am Ende des Beitrages.
Gewöhnungsbedürftig ist das Setting anfangs schon. Eine Truppe auf sogenannte Freaks hergerichtet, ausgestopfte, überdimensionale Körperteile, hinten, vorne, an Schultern und so weiter, aufgesteckte schräge Zähne bzw. bemalte, so dass die Münder voller Zahnlücken wirken. Geht das, über solche Figuren zu lachen? Ist das nicht ein sich lustig machen über Behinderungen? Über Andersartigkeiten?
Erst mit den ersten Gags, dass sich die fünf Darsteller:innen über die Gegenseite – das Publikum – und so manche (sehr) aktuelle polit-mediale Verhältnisse lustig machen, ist einigen (unter anderem mir) das Lachen möglich. Anderen schon früher. Doch andere lachen auch, als gegen Ende die fünf Schauspieler:innen in „Ein bescheidenerer Vorschlag“ die Geschichte brechen, darauf bauen, dass hier das Lachen im Halse stecken bleiben und ersticken sollte.
Wirkt ein wenig kryptisch, oder?
Nun, in dem genannten Stück des Herminentheaters – im Vorjahr mit dem Nestroy für die beste Off-Theater-Produktion ausgezeichnet -, das fast 30 Mal quer durch Österreich und im Theater An der Gumpendorferstraße (TAG, Wien), mit dem es koproduziert wurde, ausverkauft die Hütte zum Toben brachte – zwei Mal noch im Sommer beim Festival „Hin & Weg“ in Litschau zu erleben -, spielen fünf Bouffons. Aus den ursprünglich der Lächerlichkeit preisgegebenen sogenannten Freaks wurden seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts von der Pariser Theater- und Clown-Schule von Jacques Lecoq diese zu Figuren, die sich über die Zuschauer:innen und die Gesellschaft lustig machen.
Und wie diese spielen: Ambra Berger, Peter Bocek, Ida Golda, Kristóf Szimán und Thomas Toppler (der gemeinsam mit Hannelore Schmid das Stück geschrieben hat) bringen sozusagen die Verhältnisse zum Tanzen. Als „Legi“ (Peter Bocek), „Exi“ (Thomas Toppler), „Justy“ (Ambra Berger) und „Medi“ (Ida Golda) nehmen sie bekannte heimische Auswüchse der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart von Verhaberung und Korruptheit von legislativer, exekutiver Staaatsgewalt, Justiz und Medien aufs Korn. Fünfter im Bunde ist „der Ausländer“: Kristóf Szimán durchlebt, satirisch überhöht, das was so manchen bei der MA35 oder anderen heimischen Behörden widerfährt, wenn sie um Aufenthaltsgenehmigung ansuchen – sie werden abgekanzelt. Zwischenzeitlich dient er wiederum als Parade-Integrierter für nette Fotos eines Politikers in einem der bunten Medien.
Aber nicht nur, sie bauen ihre Truppe auch ein in drei verschiedene Shakespeare-Szenen: Hamlet, Othello und Der Kaufmann von Venedig. Und sie nehmen – schon im Stücktitel – Anleihe beim irischen satirischen Schriftsteller Jonathan Swift. Der schlägt in seinem „A Modest Proposal“ – Ein bescheidener Vorschlag: Um zu verhindern, dass die Kinder der Armen ihren Eltern oder dem Staat zur Last fallen, und um sie nutzbringend für die Allgemeinheit zu verwenden; 1729) vor, Wohlhabende vor dem Anblick Armer zu schützen, indem Tausende arme Kinder kannibalisch verfüttert werden. Nicht die Armut, sondern die Armen bekämpfen sozusagen.
Diesen bitterbösen satirisch auf die Spitze gegriffenen zynischen „bescheidenen Vorschlag“ greift die Bouffon-Truppe auf und „opfert“ den „Migranten“, um hier auch den Spaß drastisch enden zu lassen.
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