Ist die – hierzulande – vielleicht bekannteste Komödie Nikolai Gogols, „Der Revisor“, eine recht offenkundige Satire auf Korruption vor allem der Beamtenschaft im zaristischen Russland, so ist die Kurzgeschichte „Die Nase“ in ihrer Absurdität viel subtiler. Aber herrlich schräg.
Obwohl schon der Text selbst von der ver-rückten Geschichte und viel Situationskomik lebt und doch so – unausgesprochen – Vielschichtiges kritisiert, toppt die aktuell im Theater Nestroyhof / Hamakom laufende Inszenierung dies noch. Und wie!
In einer von Nicolas Charaux (Regie) und Barbara Noth (Dramaturgie) geschriebenen Fassung spielen Okan Cömert, Jakob Immervoll und Lena Kalisch, clownesk geschminkt und kostümiert (Bühne und Kostüm: Ali Frühstück) die Gogol’sche Erzählung, schlüpfen wechselnd in die Rolle der handelnden Personen, vor allem des Barbiers Iwan Jakowlewitsch und des Kollegien-Assessors Kowaljow, der gern ranghöher wäre und sich immer als Major ausgibt. Und werden akustisch stimmungsmäßig entsprechend und mindestens genauso schräg vom Live-Musiker Sixtus Preiss begleitend unterstützt.
Der Bart-Rasierer findet eines Morgens zu Hause im gebackenen Brot eine Nase, die er als jene von Zweiterem erkennt. Und dieser wacht eben eines Morgens ohne sein Riechorgan auf. Fehlende Mitte im Gesicht, pfannkuchenglatte Fläche. Solchermaßen beeinträchtigt – wie kannst du unter Leute gehen? Absoluter gesellschaftlicher Ausschluss droht. Und dann – auf der Suche nach seiner Nase, entdeckt er diese in Uniform-Rock – die, nein seine, Nase als Staatsrat! Er stellt sie (ihn?) zur Rede. Abstreiten.
Zur Polizei gehen und den Verlust / Diebstahl anzeigen? Da würde doch der Nasen-Staatsrat auch nicht zugeben, dass…
Zur Zeitung. Hier wird der Nasenlose voll verar… Diese im Stück in der gleichsam als Greenbox ausgekleideten Garage spielende Szene ist vielleicht der Gipfel des Genusses an absurder Ironie – die ist fast unbeschreiblich und muss einfach erlebt werden!
In den kurzweiligst verfliegenden von Lachattacken gespickten knapp mehr als 1¼ Stunden wird die eine oder andere in der Novelle kurz angetippte Passage ausgespielt. Außerdem tritt die Nase einmal als Art Ganz-Gesichts-Maske auf dem Kopf von Lena Kalisch und ein weiteres Mal als überdimensionales Ganzkörper-Kostüm getragen von Jakob Immervoll in Erscheinung.
In der zuletzt genannten Szene baut der Schauspieler eine Gogol-fremde Passage ein, die während er Proben beim Improvisieren entstanden ist. Es handelt sich dabei um einen Mix aus einer Art Manifest für die Freiheit von Nasen und deren Drang nach Eigen- und Selbstständigkeit einerseits. Andererseits schildert er komprimiert den schrägen Plot der Science-Fiction-Filmparodie „Dark Star – Finsterer Stern“ von Regisseur John Carpenter (1973). Mit wenigen Mitteln (60.000 US-Dollar) gedreht, wurde der zum Kultfilm, nicht zuletzt wegen einer Art philosophischem Diskurs zwischen dem diensthabenden Raumschiff-Kommandanten und der Bombe Nummer 20, deren Explosion in wenigen Augenblicken ansteht.
Doolittle spricht mit der Bombe über den Satz „ich denke, also bin ich“. Die Bombe pausiert, um darüber nachzudenken, aber… – eine Fremd-Passage, die in ihrer Absurdität gut zu Gogol passt.
Ohne Nase entsprichst du nicht der Norm – drohende Ausgrenzung von Menschen, die der „Normalität“ nicht entsprechen – das ist eine der (fast) zeitlosen kritischen Fragen, die Gogols Text anstößt. Hierarchien, Uniform-Träger und nebenbei Korruption nimmt er ebenso aufs Korn. Des Weiteren wird in einer kurzen Passage die Verbreitung von Gerüchten – heute Fake News – angesprochen. Es wird erwähnt, dass es immer wieder zu Massenaufläufen rund um die Nase im Uniformrock kommt, die da, dort und eigentlich fast überall aufgetaucht sein soll.
Gogol wendet sich als Autor in der Kurzgeschichte mehrmals an seine Leser:innenschaft, um das eine oder andere zu erklären oder gegen Ende seinen eigenen Text in Frage zu stellen: „Was ich aber am allerwenigsten verstehe, ist, dass sich ein Autor ein solches Thema wählen kann. Ich finde es, offen gestanden, ganz unbegreiflich! Das ist wirklich … Nein, nein, ich kann es nicht verstehen! Erstens bringt es auch nicht den geringsten Nutzen dem Vaterlande, zweitens … aber auch zweitens bringt es keinen Nutzen. Ich weiß einfach nicht, was es ist. Und doch, wenn man das eine, das andere und das dritte auch zugeben kann, sogar dass… und wo gibt es keinen Unsinn? …“
„Am 25. März geschah in Petersburg etwas ungewöhnlich Seltsames. Der Barbier Iwan Jakowlewitsch, der auf dem Wosnessenskij-Prospekt wohnte (sein Familienname ist in Vergessenheit geraten und selbst auf seinem Ladenschilde, das einen Herrn mit einer eingeseiften Wange und der Inschrift: »Und wird auch zur Ader gelassen« darstellt, nicht erwähnt), der Barbier Iwan Jakowlewitsch erwachte ziemlich früh am Morgen und roch den Duft von warmem Brot…“ – so beginnt die Kurzgeschichte „Die Nase“ von Nikolai Wassiljewitsch Gogol.
Und mit dieser fast absurden Erzählung des vor allem für seinen „Revisor“ berühmten ukrainisch-russischen satirischen Schriftstellers (1809 – 1852) eröffnet das Hamakom /Theater Nestroyhof seine neue Spielzeit – es ist die 15. In der Regie von Nicolas Charaux spielen Okan Cömert, Jakob Immervoll und Lena Kalisch. Die beiden zuletzt Genannten lasen erste Auszüge aus dem Text bei der Präsentation des Spielplans durch die künstlerische Leiterin des Hauses, Ingrid Lang. Kurz danach verabschiedete sich das Schauspielduo samt dem Regisseur, um zu proben – schließlich findet die Premiere schon in der kommenden Woche statt (24. September – 19. Oktober 2024).
Übrigens: Laut wikipedia soll Gogol „eine übermäßig lange, spitze Nase“ gehabt haben 😉
Der sonntägliche Brunch zur Vorstellung des umfangreichen Programms – auf Bühne und im Foyer für Diskussionsrunden – das hier nicht in voller Länge wiedergegeben wird, beinhaltete noch weitere „Teaser“. So erzählten Patrick Rothkegel und Hannes Starz von einem Theater-Film-Theater-Projekt, an dem sie gemeinsam mit Marianne Andrea Borowiec arbeite(te)n: „Zwischen Türen im Platanenwald“. In der Corona-Zeit als Stück geschrieben – zum Film auf der Bühne geworden fürs Streaming-Angebot im Lockdown – wurde es erweitert und so zu einem neuen Bühnenstück mit integriertem naturnahem Film – aus dem schon Ausschnitte aus einer Rohfassung gezeigt wurden. Die Geschwister Erie und Sess treffen nach Jahrzehnten wieder aufeinander und durchwandern die Wohnung ihrer Kindheit – als sie hier gemeinsam gelebt haben. Und an die sie nun komplett unterschiedliche Erinnerungen haben. (6 – 16. November 2024)
Schließlich gab’s noch eine live gelesene Hörprobe aus „Langsam ohne zu zögern“ (Dialogue de survie) von Elise Hofner und Samuel Machto. Das Theaterstück mit Tanz und Musik hatte vor fünf Jahren seine Uraufführung in der Schweiz (Théâtre de l’Oriental in Vevey), vor zwei Jahren im Hamakom in Originalsprache (Französisch) und wird im März 2025 (4. – 12. 3.) in einer überarbeiteten Fassung erstmals auf Deutsch gespielt.
Noch während ihrer Schulzeit in Lausanne (Schweiz) – vor allem in den Mathestunden – hatte Elise Hofner an diesem Text zu schreiben begonnen. Ihr fehlten Geschichten über das Danach – was geht in Überlebenden von Konzentrationslagern vor, wie kommen sie mit dem Erlebten / Erlittenen zurecht? Oder geht das überhaupt? Wenige Zeitzeug:innen-Berichte (Simone Weil, Imre Kertész) hatte sie zu diesen Gedanken angeregt. Und daraus wurde die Geschichte von Eric und Margot, die einander nach der Befreiung von Auschwitz von Polen nach Paris kennenlernen. Beide sind nun allein – alle anderen Familienangehörigen waren ermordet worden. Zumindest vorübergehend leben sie in derselben Wohnung. Trotz der traumatischen Geschichte ist es der Autorin gelungen, so manch komische Szene in den neuen Alltag einzubauen. Aus diesen lasen Co-Regisseur Samuel Machto, Schauspielerin Roxana Stern und die Regie-Anweisungen Produktionsleiterin Inès Khannoussi.
(Co-)Autorin Elise Hofner betonte aber, Text und Stück sollten nicht nur auf die konkrete historische Zeit beschränkt bleiben, sondern sie will es als universelles Thema sehen.
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