„Heimat ist … wo deine Freunde sind!“, steht auf dem großen Sticker und den beiden gezeichneten Ziegen – Schwänli und Bärli. Die gibt’s zum Programmheft von „Heidi“ im Renaissancetheater, dem größeren der beiden Häuser des Theaters der Jugend in Wien. Der Dauerbrenner – Buch, Comic, Animationsfilme und immer wieder auch auf Theaterbühnen (vor zwei Jahren im St. Pöltner Landestheater, bald danach im Kabarett Niedermair, nun – wieder einmal – in Wien) – hat von seinem Charme, aber auch den Botschaften in den rund 145 Jahren seit der Erstveröffentlichung der beiden Bücher von Johanna Spyri wenig bis nichts verloren.
Hin und wieder werden Akzente verlagert, verstärkt, das eine oder andere neue hinzugefügt. Aber der Kern reicht: Junges Mädchen wird Waise und landet beim einzigen verbliebenen Verwandten, dem Großvater, der als Einsiedler, genannt Alm- oder Alp-Öhi (von Oheim, einer altertümlichen Bezeichnung für Onkel) hoch über Maienfeld (Schweizer Kanton Graubünden) zurückgezogen lebt und mit keinem Menschen was zu tun haben will. Ausgegrenzt und mit bösartigen Gerüchten von der feinen Dorfgesellschaft belegt, gelingt es Heidi natürlich das harte Herz des Opas aufzuweichen.
Da muss sie auch schon wieder weg – auf Betreiben der Dörfler‘:innen einerseits – das Mädchen soll Bildung erhalten – und des reichen Frankfurter Wirtschaftstreibenden Sesemann, landet sie in dessen Haushalt – als Spielgefährtin für seine Tochter Klara, für die er kaum bis nie Zeit hat. Und die unter einer Art Glassturz gehalten wird, mit ihrem Rollstuhl darf sie praktisch nie außer Haus. Und bei den Sesemanns herrscht die Karikatur eines Kindermädchens, Fräulein Rottenmeier, an der eine Art Feldwebelin verloren gegangen sein dürfte 😉
Gerade letzteres wird in der Inszenierung im Theater der Jugend – Direktor von Thomas Birkmeir verfasste die Spielversion, Claudia Waldherr inszenierte sie – richtiggehend zelebriert: Mit einem Schuss offenkundiger Kritik an „teutschem“ Militarismus verleiht Karoline-Anni Reingraber dieser Rottenmeier eine Riesenportion Unsympathie und doch einer kräftigen Nuance von Humor und (Selbst-)Ironie. Reingraber schlüpft noch in weitere Rollen, unter anderem die der blinden Großmutter des Geißen-Peters (Jonas Graber), des Ziegenpeters mit dem sich Heidi anfreundet.
Die erdig aufmüpfige, insbesondere in Frankfurt, wo Heimweh nach den Bergen sie krank werden lässt, alles hinterfragende Heidi, die ähnlich sturschädelig wie ihr Opa sich nichts gefallen lässt, wird von Franziska Maria Pößl erfrischend, herzlich, hinreißend gespielt. Sie ist die einzige, die „nur“ diese Rolle übernimmt. Ihre Kolleg:innen müssen sich wandlungsfähig erweisen. Sogar Frank Engelhardt, als der verwilderte Outlaw auf der Alm, der aber dann als er Heidi ins Herz geschlossen hat, zum Kämpfer wird, agiert auch noch als Koch bei den Sesemanns und als Dorflehrer, der sich mit den anderen Maienfelder:innen gegen den Öhi stellt.
Gegensätzliches spielt auch Uwe Achilles – als strenger und mitunter gar nicht wirklich christlicher Pfarrer im Dorf sowie als Sesemann’scher Diener, der die Befehle der „Generalin“ Rottenmeier mitunter unterläuft.
Im Rollstuhl fährt Shirina Granmayeh als Klara, die durch Heidi – Rottenmeier zum Trotz – erstmals wieder lachen kann und aufblüht. Dass sie letztlich doch aufsteht und geht, ist schon im Roman angelegt und irgendwie … – naja. Es gab auch schon Inszenierungen, in denen sie mit Hilfe mit dem Rollstuhl auch auf die Alm zum Öhi kam.
Sascia Ronzoni taucht immer wieder – neben anderen Rollen – als Erzählerin auf. Vielleicht das eine oder andere Mal zu oft, weil der – natürlich verkürzte -Fortgang der Geschichte sich an so manchen dieser Stellen doch selbst erklärt.
Besonders abstoßend findet Heidi in der Sesemann’schen Wohnung die vielen von der Decke hängenden Jagd-Trophäen-Geweihe (Bühnenbild: Daniel Sommergruber).
Am Ende, nachdem Opa und Geißen-Peter, von Klara telegrafisch alarmiert, zur Rettung von Heidis Heimweh in Frankfurt auftauchen, geht’s in dieser Version allerdings (noch) nicht zurück in die Berge, sondern erst noch auf gemeinsame Weltreise – mit der Erkenntnis aus dem eingangs geschilderten Buttons-Spruch: Heimat ist – wo deine Freunde sind!“
Als hätte der Dramaturg es inszeniert, fand das Saison-Mediengespräch des Theaters der Jugend nach dem rekordheißen Sommer am Tag des Temperatursturzes statt. Gerald Maria Bauer, auch stellvertretender künstlerischer Leiter des TdJ in Wien vertrat den erkrankten Direktor Thomas Birkmeir und begann düster: „Wir erleben gerade einen sehr dunklen Herbst: Es wurde ein Superwahljahr angekündigt, und das Resultat ist Demokratieverdrossenheit und radikalisiertes Wahlverhalten: aus Protest, aber auch aus – bewusst geschürter – Angst erwächst ein Klima der Ausgrenzung und unschöner Aggression, die bereits in unserem Alltag spürbar ist.“
Den laufenden Krisen mit Kriegen und Klimakatastrophen will das Theater der Jugend, das sich zunehmend auch als Theater der Generationen versteht, „besonnen darauf blicken, was im Umgang miteinander Not tut und mögliche Perspektiven eröffnet“ und programmierte so, „dass unser Theater der Generationen ein Ort des öffentlichen Diskurses ist, der öffentlichen Gewahrwerdung von Zusammenhängen und der gemeinsamen Übereinkunft, dass es sich lohnt, für Konzepte wie Vernunft, individuelle Freiheit, Toleranz und Fortschritt einzutreten“ und Werte zu vermitteln „die unumstößlich sind, damit wir uns nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen und die wir auch unseren Kindern und Kindeskindern mitgeben müssen, damit sie ein gutes Leben haben. Und wir können feststellen, dass diese Werte nicht zwangsläufig angeboren sind, sondern zusätzlich erlernt und unterstützt werden müssen. Von klein auf.“
In diesem Sinne brachte Bauer den neuen Spielplan auf die Kürzestformel: „Vielfalt ist Trumpf!“
Und so zitierte Bauer den berühmten Autor Erich Kästner, dessen „Emil und die Detektive“ als Plädoyer für Solidarität die neue Saison (ab 4. Oktober im großen Haus, Renaissancetheater) eröffnet: „An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“
Die weiteren sieben Stücke sind in der Folge kürzest angeführt – jeweils mit den entsprechenden vorab aufgenommenen Sujet-Fotos. Hervorzuheben sei vielleicht eine Produktion für Jugendliche, wo dem Theater der Jugend sozusagen auch ein Coup gelungen ist: Tonio Schachinger und sein Verlag gewährten die Rechte für die Umsetzung des Schlüsselloch-Romans eines privaten Wiener Elitegymnasiums „Echtzeitalter“ für die Bühne (9. Jänner bis 28. März 2025 im kleineren Haus, dem Theater im Zentrum), das übrigens ein Monat davor – ab 6. Dezember – schon in einer anderen Version im Grazer Schauspielhaus zu erleben sein wird.
Erfreuliches konnte der kaufmännische Direktor, Ronald Hora, berichten: Die Zahl der Abonnent:innen hat sich von 20.600 in der Saison 2022/23 auf 28.344 im Vorjahr erhöht, die Gesamtzahl der Besucher:innen von 165.000 auf 184.439 gesteigert. Die Subventionen seien einigermaßen ausreichend, die Gespräche mit Stadt Wien und Bund derzeit gut. Das Theater der Jugend erwirtschaftet mit Karten und Abos einen Eigendeckungsgrad von knapp mehr als einem Drittel (34 %). Eine Schwierigkeit – neben steigenden Energie- und anderen Kosten seien auch die deutlich teurer gewordenen Busfahrten für Schüler:innen aus Niederösterreich – und die stellen immerhin rund 40 % der Besucher:innen.
Emil und die Detektive
von Erich Kästner in einer Fassung von Sarah Caliciotti und Frank Panhans
Regie: Frank Panhans; ab 6 Jahren; 4. Oktober bis 10. November 2024 Renaissancetheater
Funken
von Till Wiebel
Regie: Karin Drechsel; ab 11 Jahren; 10. Oktober bis 8. Dezember 2024
Theater im Zentrum
Heidi
nach dem Roman von Johanna Spyri von Thomas Birkmeir
Regie: Claudia Waldherr; ab 6 Jahren; 3. Dezember 2024 bis 19. Jänner 2025
Renaissancetheater
Echtzeitalter
von Tonio Schachinger in einer Bearbeitung von Gerald Maria Bauer
Regie: Gerald Maria Bauer; ab 13 Jahren; 9. Jänner bis 28. März 2025
Theater im Zentrum
Miranda im Spiegelland
von Alan Ayckbourn
Regie: Nicole Claudia Weber; ab 6 Jahren; 12. Februar bis 9. März 2025
Renaissancetheater
Mythos Ragnarök
Gastspiel von Ed Gamester nach Sagen der nordischen Mythologie in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Regie: Ed Gamester; ab 13 Jahren; 26. März bis 28. April 2025
Renaissancetheater
Mitten im Gesicht
Musical von Gerald Schuller (Musik) und Peter Lund (Text)
Regie: Peter Lund; ab 11 Jahren; 26. April bis 21. Juni 2025
Theater im Zentrum
Die sieben Wünsche
von Henry Mason
Regie: Henry Mason; ab 6 Jahren; 17. Mai bis 21. Juni 2025
Renaissancetheater
„Heidi“ in konzentrierter Form mit nur drei Schauspieler:innen und auf kleiner engen Bühne – aber mit weitem Herz und viel Witz – ist seit Kurzem im kleinen Kabaretttheater Niedermair in Wien-Josefstadt zu erleben. In einem großen farbenfrohen Alm- sowie grauen Stadt-Ambiente ist eine andere Version noch bis Mitte April im niederösterreichischen Landestheater in St. Pölten zu sehen – Link zur Besprechung dieser Fassung hier unten.
Zur Grundgeschichte – all jene, die sie kennen, können nun diesen und den nächsten Absatz – bis zur nächsten Zwischen-Überschrift – auslassen. Johanna Spyri, die die Geschichte vor knapp mehr als 140 Jahren veröffentlicht hat, lässt Heidi, deren Eltern tot sind, von deren Tante Dete zum griesgrämigen, wortkargen Großvater, dem Almöhi, in die Schweizer Berge bringen. Dete kann sich nicht mehr um das rund fünfjährige Kind kümmern, weil sie einen Job in Aussicht hat. Natürlich erweicht heidi das verschlossene Herz des Opas, der seinen Grant aufgibt, liebevoll wird. Dafür blüht Heidi auf, fühlt sich in der freien Natur wohl und freundet sich mit Peter und dessen Ziegen an.
Eines Tages holt die Tante heidi aber wieder ab, um sie zu einer reichen Familie zu bringen. Dort soll sie Klara, einem Mädchen im Rollstuhl, Gesellschaft leisten. In der Großstadt (Frankfurt am Main) droht sie seelisch zu verkümmern, außerdem eckt sie mit ihrer fröhlich-frechen Art bei Klaras Gouvernante (Kindermädchen) an. Dafür findet Klara Gefallen an Heidi und ihrer Art. Heidi erkrankt an Heimweh und kehrt zurück zum Opa in die Berge. Klara kommt sie besuchen, Peter ist eifersüchtig auf sie und zerstört den Rollstuhl…
So und nun zur kleinen, kompakten einstündigen Version von Heidi auf der engen Bühne und dem auch recht kleinen Publikumsraum. Das Team hat auf die Textfassung von Markus Steinwender zurückgegriffen, der vor fast zehn Jahren diese für das Linzer Theater des Kindes geschrieben und selbst inszeniert hatte. Sie wurde mit dem Stella 2014 für eine herausragende Produktion im Bereich Theater für Kinder ausgezeichnet. Begründet wurde das u.a. so: „Klassische Stoffe und zeitlose Themen werden aus einer heutigen Perspektive erzählt. Sie erfahren eine zeitgenössische Interpretation durch intelligente und sensible Autoren- und Regiearbeit. Verschiedene Theatergenres werden in den Dienst der Geschichte gestellt; erzählt von sehr präziser, nachvollziehbarer und mitreißender Schauspielkunst. Der Preisträger-Produktion gelingt es, dass sich der Zuschauer mit der Hauptfigur verbunden fühlt: bei der Suche nach Geborgenheit, im Wunsch nach Teil-Sein einer sozialen Gemeinschaft, in der Sehnsucht nach Heimat.“
Drei Schauspieler:innen übernehmen hier alle Rollen. Clara Diemling (im März dann die Regie-Assistentin Kim Schlüter) ist vor allem die aufgeweckte, muntere Heidi, die sich auch von der Rottenmeier nix gefallen lässt und diese fast zur Verzweiflung bringt. Diese Rottenmeier, die Tante Dete aber auch der Peter – und eine der beiden Hauptziegen, „das Schwänli“ werden von Klemens Dellacher spielfreudig und bei den beiden genannten Frauen fast comic-haft dargestellt. Den Opa aber auch die Klara im Rollstuhl, der in dem Fall kein solcher ist, sondern nur durch ein von Hand gedrehtes einzelnes stilisiertes Rad symbolisiert wird, spielt J-D. Schwarzmann – und dazu noch die zweite, dunkle Ziege namens Bärli.
Wenige Kleidungsstücke, Hüte oder Kappen, andere Bewegungen und Sprachfärbungen und schon klappen die Verwandlungen von einer in die andere Figur. Und immer wieder treten die drei Schauspieler:innen aus ihren Rollen heraus, um darüber zu reden oder diskutieren, wie und was sie jetzt am besten tun könnten, um darzustellen, was sie vermitteln wollen (Regie: Agnes Hausmann, Musik: Stefan Lasko, Kostüm: Sigrid Dreger). Gekonnt stellen sie sich abwechselnd dabei ein bisserl ungeschickt an, um zusätzliche Lacher im Publikum zu erzeugen.
Dem Trio auf der Bühne gelingt es lock, den engen Raum zu erweitern und die Zuschauer:innen in die große weite Welt mitzunehmen, ob es nun die Berge oder Frankfurt/Main ist.
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