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Luft-Kicken

Kickboxen und andere Sportarten als Integrationsbrücke

Der Abend vor dem jüngsten Feiertag (Christi Himmelfahrt – zwischen Ostern und Pfingsten) in der inklusiven Schule am Favoritner Hebbelplatz (eine U-Bahnstation vom Reumannplatz entfernt). Rund eine halbe Stunde vor Trainingsbeginn trudeln die ersten Jugendlichen ein. Rauf in den ersten Stock. Dort liegt eher ungewöhnlich der Turnsaal. Aus einer Ecke in der Garderobe schleppen sie Matten mit zackigen Rändern in den Turnsaal. Wie ein Puzzle wird ein großes Viereck am Rand ausgelegt mit einem breiten Steg in der Mitte.

Europa- und Weltmeister als Trainer

Nach und nach kommen alle – die meisten sind Jugendliche, ein paar junge Erwachsene und auch ein paar Kinder. Hier steht jede Woche eineinhalb Stunden Kickbox-Training auf dem Programm. Trainer sind Größen dieses Sports. Der 31-jährige Amir war Europa- sowie Vizeweltmeister, kämpft aber nicht mehr aktiv, arbeitet aber nicht nur als Trainer, sondern studiert am Kolleg für Sozialpädagogik, um in der Jugendarbeit sein Betätigungsfeld zu finden. „Die Ausbildung zum Freizeitbetreuer habe ich schon früher gemacht“, fügt Amir noch hinzu.

Flucht aus Afghanistan

Sein jüngerer Bruder Samim (23) hat bereits zwei Mal die Europameisterschaft gewonnen und ist Weltmeister, wächst aber bereits in die Trainerrolle hinein und leitet den Großteil dieser gut eineinhalb Stunden, die Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… mit der Kamera begleiten darf. Beide wuchsen in Afghanistan auf, mussten flüchten und landeten nach vielen langwierigen Stationen vor weit mehr als zehn Jahren in Österreich. So wie der Gründer des Vereins „Neuer Start“, der dieses Kickboxtraining und Dutzende weitre Aktivitäten initiiert und organisiert, Shokat Walizadeh – dazu weiter unten.

Systematisches Aufbauen

Bevor Hände, Arme, Beine zum schlagenden Einsatz kommen, sind letztere in erster Linie gefragt. Runden laufen zum Aufwärmen. Erst locker, dann hin und wieder Beine anwinkeln beim Laufen, Tempowechsel, dazwischen springen. Dann Luftboxen.

Und erst dann geht’s ran an die speziellen Handschuhe sowie die sogenannten „Pratzen“ – verschieden große und unterschiedliche Schlag-Schilder bzw. -Pads. In Duos stellen sich die Teilnehmer:innen zusammen und wechseln einander mit schlagen, treten und kicken aus der Drehung heraus ab. Immer intensiv nur nicht einmal zwei Minuten, dann kurze Pause. Wechsel und wieder. Und weiter in der Runde sozusagen zum nächsten „Gerät“. Vom Boxen nur auf die Schaumstoffgefüllten „Pratzen“ auf den Händen des Gegenüber bis Boxhieben und Tritten gegen solche Halbkörpergroßen Schilde.

Von der Selbstverteidigung zum Selbstbewusstsein

Fateme ist 18 Jahre, Abendgymnasiastin und „seit Herbst hier beim Kickboxtraining. Früher hab ich Badminton gespielt. Über „Demokratie, was geht?“ und Social Media hab ich von dieser Möglichkeit erfahren und wollte das einmal probieren. Ich dachte, das kann für Selbstverteidigung nicht schaden“, erklärt sie ihre Beweggründe dem Journalisten. Und setzt auf die Nachfrage fort: „Seither bin ich auch sonst viel selbstbewusster geworden und habe weniger Ängste.“

Zum ersten Mal an diesem Abend mit dabei ist Rahele. Wobei das kaum zu glauben ist, wenn du siehst, wie gezielt und gekonnt die junge Frau ihre Bewegungen ausführt. „Naja, ich mache aber schon seit rund sechs Jahren Taekwondo“, versucht sie die Bewunderung zu relativieren.

Neuer Start

Knapp wurde es weiter oben schon angesprochen, organisiert wird dieses Kickbox-Training vom Verein Neuer Start – das kreisrunde Logo zweier verbundener Hände und zweier grüner Zweige ist vom Schriftzug auf Englisch und auf Dari (persische Schrift) umrankt. Seit 2010 bietet der Verein unterschiedlichste sportliche, kulturelle Aktivitäten, Workshops, Feste für geflüchtete Menschen nicht nur aber vor allem aus Afghanistan an, um sie beim Ankommen in der österreichischen Gesellschaft zu unterstützen. Aber auch die Mehrheitsgesellschaft zum Beispiel zu gemeinsamen Kultur- und Sportfesten einzuladen oder mit den regelmäßigen Absolvent:innen-Feiern bei denen Leute aus der afghanischen Community, die eine Schule, Lehre, ein Studium oder eine andere Ausbildung abgeschlossen haben, auf einer Bühne sozusagen vor den Vorhang zu holen – gemeinsam mit IGASUS (Interessengemeinschaft der afghanischen SchülerInnen und Studierenden).

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Hier unten geht’s zu einem Gespräch mit „Neuer-Start“-Gründer und Geschäftsführer Shokat Walizadeh

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Neuer Start

Shokat Walizadeh bei eienr Turnübung am Rande des Kickbox-Trainings

Sport – Gesundheitsförderung – Integration

„Pol ist das Dari-Wort für Brücke“, so Vereinsgründer und Geschäftsführer Shokat Walizadeh und „mit Sport wollen wir eine Brücke zu sozialer Arbeit, Gesundheitsförderung und Integration bauen. So kommen wir sehr niederschwellig – unsere Trainings sind kostenlos – an viele vor allem junge Leute heran, viele davon junge Männer. Wenn sie Vertrauen zu uns haben, können wir ganz anders mit ihnen überkommene Männlichkeitsbilder thematisieren, die sie dann selber hinterfragen können.“

Und zwanglos wenden sich einzelne Teilnehmerinnen oder Teilnehmer an ihn oder andere aus dem Verein. „So hat einmal ein Mädchen gebeten, dass wir mit ihrem Vater reden. Im Winter, wenn es früher dunkel wird, wollte er sie nicht zum Training gehen lassen. Arbeit mit Eltern ist auch Teil unserer Arbeit.“ Außerdem erzählt er davon, dass auf dem Social-Media-Profil eines jungen Afghanen einmal ein Smilie mit Gewehr entdeckt habe. Den habe er kontaktiert, Vertrauen beim Sport aufgebaut und irgendwann einmal dann darauf angesprochen. Da sei ihm das erst wieder in Erinnerung gekommen, weil das schon ur-lange zurückgelegen war. Bald nach dem Gespräch hatte er das Bild gelöscht und dafür eines mit Ball und Herz.

Gelernter Zahntechniker, nun FH-Student vor dem Abschluss

Walizadeh kam vor mehr als eineinhalb Jahrzehnten nach Österreich, absolvierte – ab 2010 – eine Lehre als Zahntechniker, errang bei Lehrlings-Wettbewerben zwei zweite Plätze und hat einmal sogar den Wiener Bewerb gewonnen. Heut ist er in der Endphase seines Fachhochschulstudiums Soziale Arbeit.

Viele Projekte

Schon 2010 gründete er den genannten Verein und startete immer wieder auch neue Projekte. So gibt es im Sportbereich auch Fußball und Volleyballtrainings, neben Kickboxen auch Taekwondo, darüber hinaus immer wieder einzelnen thematische Projekte – „Barbari“ (interkulturelle Burschen- und Männerarbeit), Umgang mit Geld und Banken. Ein besonders großes Anliegen ist ihm der Grundsatz „Jugendarbeit ab Tag 1 – nicht warten, bis wer im langen Asylverfahren dann den Bescheid bekommt, dableiben zu dürfen. Schon von Anfang an sollen die Leute nicht sinnlos und zum Nichtstun verpflichtet herumsitzen.“

Was er doch ein wenig bedauert: „Fast alles, was wir machen, ist ehrenamtlich. Von einem Sport-Dachverband bekommen wir ein bisschen Geld, so dass wir Trainerstunden bezahlen können – aber gar nicht alle. Die Ehrenamt-Arbeit ist uns allen auch sehr wichtig und wir machen das gerne. Aber wir können nicht auch noch alle Sachkosten aus eigener Tasche bezahlen, da wäre schon ein bisschen Unterstützung von öffentlichen Institutionen gut. Nicht selten werden wir, wenn wir uns an eine Stelle wenden, im Kreis geschickt. Und wir haben in den vergangenen Monaten immerhin rund 880 vor allem junge Leute mit unserer Burschen- und Männerarbeit und mit unseren Sportaktivitäten wöchentlich regelmäßig rund 100 Menschen aus verschiedenen Kulturen, Sprachen und Herkünften, darunter auch Einheimische erreicht.“

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