Es ist wohl DIE Außenseiter:innen-Geschichte schlechthin. In „Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer“ ist – wie schon der Titel nahelegt, nicht nur die genannte Lizzy eine an den Rand Gedrängte. Loser aller Klassen vereinigt euch sozusagen.
Der Jugendroman (2016), der auf Anhieb zum Erfolg und ein Jahr später bei der renommierten Frankfurter Buchmesse mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde, ist nun ein Musical – des bekannten Erfolgsduos Peter Lund (Text) und Thomas Zaufke (Musik). Und dieses feierte in Wien im Theater der Jugend seine Uraufführung. Aus den sieben „Verlierer:innen“ des Romans verdichtet das Musical auf fünf. Gewichtige Elemente von Veronika, von der im Roman fast alle nur ihren Spitznamen Ma Baker kennen und nennen, wandern hier in die Figur von Sara, und Theo ist hier Teil von Carsten.
Lizzy lässt sich nicht alles gefallen, widerspricht dem auf so offen und aufgeklärt spielenden Lehrer Wenz als es um die Projektgruppen fürs Schulfest geht. Übrigens: Dieses Mal beginnt das Stück im Theater im Zentrum schon im Foyer. Neben der Garderobe hängen Plakate vom Programm des Schulfestes, diverse Mitteilungen, handschriftliche Notizen und Kommentare „ich wird verrückt“ beispielsweise oder „so what!???“ Beim Abgang ins Theater kleben Fotos mit so manchen handschriftlichen Coments wie „Spinner“, „die Coolen“… Und es ertönt schon Musik (Schüler:innen-Chor: Dani Alexander Allkoud, Dima Al Enaizi, Obadah Janoudi, Sham Madi, Gaafr Shebli).
Zurück zu Ursula Anna Baumgartner, die diese Lizzy unaufgeregt, souverän mit der (selbst-)ironischen Note des Romans spielt – übrigens die einzige mit „nur“ einer Rolle. Denn ihre Mitspieler:innen sind einerseits die „Verlierer:innen“ Arif (Curdin Caviezel), Sara (Lilly Rottensteiner), Krissi (Shirina Granmayeh) und Carsten (Stefan Rosenthal). Letzterer mit Spitznamen Popelino, weil er gern in der Nase bohrt und … wääääh, ist der Konsolenspiel-Nerd.
Apropos Nerd – das große Plakat mit riesigem Spiral-Labyrinth und der Schrift „The N-Experience“ ist die Werbung für das Projekt, das sich „der Klub der Verlierer“ ausgesucht hat. Könnte für Nerd stehen, eigentlich sollte es für Night (Nacht) gedacht sein, denn die in einen Raum im Keller Verbannten kommen als eine Glühbirne zerplatz auf die Idee, beim Schulfest ein Dunkel-Restaurant zu organisieren.
Blöd nur, dass niemand von ihnen kochen kann. Also organisieren sie sich Nachhilfe – im Roman bei Thos Mutter, hier bei der Mama von Arif. Was für den Autor und in dem Fall auch Regisseur gleich die Gelegenheit bot, ein im Kunstbetrieb breit diskutiertes Thema zu bespielen: Kulturelle Aneignung. Kann Lilly Rottensteiner, die vor allem Sara, aber auch Lizzys Mutter, die heimlich das Tagebuch ihrer Tochter liest, eine türkische Mutter spielen? Macht sie natürlich doch.
Auch an anderer Stelle steigen die Schauspieler:innen einmal aus, um darüber zu debattieren, ob in einer Szene Stefan Rosenthal, der neben Carsten auch Lizzys Vater, sowie Alexa, die Anführerin der ach so Coolen in Lizzys Klasse, spielt auch noch in die Rolle von Lehrer Wenz schlüpfen darf. Den spielt sonst die Krissi-Darstellerin Shirina Granmayeh. Es sei doch besprochen worden, dass diese Rollen (Curdin Caviezel auch als Direktorin) cross-gender (als Frauen spielen Männer und umgekehrt) besetzt würden…
Wobei die herrlichste Lehrer-Szene ist jene, wo sie nur dessen Brille halten und mit diesem Platzhalter lustvoll diskutieren.
Das Schlüpfen von den angestammten Verlierer:innen in andere Figuren schaffen alle sehr überzeugend. Wenn etwa Curdin Caviezel vom Underdog Arif zu Max, dem arroganten Bruder von Lizzy switcht oder später zu Ramira wird, die sklavisch ergeben praktisch nur wiederholt, was Alexa, die Obermobberin in Lizzys Klasse (Stefan Rosenthal) von sich gibt. Wobei die Zeichnung der beiden zuletzt Genannten vielleicht eine Spur weniger tussihaft doof nicht schlecht gewesen wäre. So werden die „Verlierer:innen“ um nichts besser als ihrer Gegner:innen, auch wenn das natürlich schadenfreudiges Lachen im Publikum auslöst – gerade deswegen!
Was die fünf Schauspieler:innen neben ihren vielen Rollen auch meisterhaft beherrschen: Gesang. Immer wieder – es ist ja ein Musical – sind Songs (Komposition und Orchesteraufnahme: Thomas Zaufke; musikalische Einstudierung und Korrepetition: Béla Fischer jr.) eingebaut. In diese Darsteller:innen können auch wirklich gut singen, lassen das Publikum mitswingen und verschaffen Ohrwürmer, selbst wenn die Zeile „erlaubt ist, was schmeckt“ in der Popelino-Szene ganz andere Bilder hervorruft als wenn sie bei Arifs Mama kochen lernen 😉
So manches – sowohl im Roman als auch in der Bühnenversion – erzählt sich über die Tagebuch-Eintragungen Lizzys. Die Regie hat diesem Tagebuch eine eigene Stimme aus dem Off zugedacht: Isabel Weicken, und manches Mal erweckt Ursula Anna Baumgartner als Lizzy dieses speziell präparierte Tagebuch (Ausstattung: Ulrike Reinhard) in Form einer Art Handpuppe zu eigenem Leben.
Von Story selbst – selbst aus der Gruppe der Loser steigen einige aus unterschiedlichen Gründen aus – sei nicht viel mehr erzählt, außer dass die N-Erfahrung noch eine überraschende Wendung nimmt, aber „natürlich“ der Burner des Schulfestes wird…
„Hallo. Mein Name ist Lizzy Carbon, ich bin dreizehneinhalb Jahre alt und Gott möchte mein Leben zerstören. Das versucht er schon seit meiner Geburt. Er hat mich geschlagen mit zwei Eltern, die nie nichts und davon auch nicht das Geringste kapieren. Dazu einem Bruder, der vier Jahre älter ist, in Sachen Verständnis keineswegs mehr draufhat als meine Eltern, aber trotzdem glaubt, die Welt in ihren tiefsten Gründen bereits durchleuchtet zu haben. Weil Gott gesehen hat, dass ich damit zurechtkomme, hat er nun meinen Körper zum Feind gemacht.“
So beginnen die ersten Sätze – der Tagbucheintragung der Genannten. Sie ist die Hauptperson im ersten von – bisher – drei Bänden über eben die die 13 ½-Jährige. Der Titel von Band 1, geschrieben von Mario Fesler, gibt schon viel vor: „Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer“. In einer Muscial-Version spielt sich diese Geschichte derzeit auf der Bühne des kleineren Hauses des Theaters der Jugend in Wien ab – dazu folgt eine eigene Stückrezension in den nächsten Tagen, die dann selbstverständlich verlinkt wird. Das Schulfest steht (fast) am Ende. Alle Schüler:innen müssen in Gruppen Projekte vorbereiten und präsentieren. Lizzy will nicht der letzte A. in einer Gruppe sein, muckt auf und will ein eigenes Projekt starten – dem sich zunächst rund ein halbes Dutzend Mitschüler:innen anschließt, denen es recht ähnlich geht wie Lizzy, sozusagen die Loser des Stifter-Gymnasiums. Und selbst da reiht sich eine Niederlage an die andere…
Das Buch umfasst in fast jedem der Kapitel, die – nach dem ersten Tagebucheintrag, aus dem der Anfang oben zitiert ist – stets mit Datumsangabe und einem Countdown bis zum Schulfest als Überschrift versehen sind.
Und es besteht nur zum Teil aus diesen – durch kursive (schräggestellte) Schrift gekennzeichneten persönlichen Notizen Lizzys. Zu einem größeren Teil schildert der Autor das Geschehen rund um die Jugendliche – vieles davon in der Schule. Stets leidest du mit der gemobbten Außenseiterin mit – und so viele verbalen und Ausgrenzungs-schläge auch auf sie einprasseln, du hast von Anfang an das Gefühl: Das ist eine starke Person. Die lässt sich wenig bis nichts gefallen. Sie ist eine Kämpferin. Und sie wird es am Ende allen zeigen.
Was dem Autor ebenso gelingt wie diese Mut machende Botschaft zwischen den Zeilen ist viel Lesevergnügen in den Zeilen mit nicht selten bitterbösem Humor und einem kräftigen Schuss (Selbst-)Ironie, wie er schon in dem Eingangs-Zitat spürbar ist.