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Szenenfoto aus "Klinik" von und mit Melike Yağız-Baxant im Theater Drachengasse (Wien)

Nicht besonders glücklich in der Klinik

Drei weiße, gepolsterte Sitzwürfel, dahinter ziemlich viel weißer Stoff auf dem Boden –klinisch sauber die Bühne. Passend. „Klinik“ heißt das neue, zweite Stück der kabarettistischen Schauspielerin, Autorin und Kunsttherapeutin Melike Yağız-Baxant. Wie in ihrem ersten Solo-Programm „Glückskind“, das übrigens im Vorjahr beim United Solo Theatre Festival in New York mit dem Preis für Best Physical Theatre ausgezeichnet wurde, verarbeitet sie persönliche Erfahrungen zu einem abwechslungsreichen, körperlich bewegtem, geistig und gefühlsmäßig bewegenden Abend, gewürzt und durchzogen von so mancher Portionen (Galgen-)Humor. Mit ihrem dem Stück zugrundeliegenden Texte hatte sie einen der Exil-Literaturpreise gewonnen.

War es im ersten Programm die Lebenserfahrung als (angehende) Theaterfrau, so kreist dieses Mal alles um ihre zweite Ausbildung als Kunsttherapeutin. Aus dem Praktikum in einem Krankenhaus schält sie Episoden, die offenbar keine Einzelfälle sein dürften, wie so manche offenkundig wissenden Lacher im Publikum stark vermuten lassen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Klinik“ von und mit Melike Yağız-Baxant im Theater Drachengasse (Wien)

Sanfter Druck zu erwünschten Antworten

Dutzendfach stellt sie, sich direkt mit Augenkontakt an die eine oder andere im Publikum wendend, die Frage „Wie geht’s denn heute?“ Und vermittelt klar: Antwort nicht erwünscht. Um gleich danach in die Rolle von Patient:innen zu schlüpfen, die eher nichtssagende, erwünschte Antworten geben. Äußert die eine oder der andere tatsächlich ernsthafte Befindlichkeitszustände – ernst nehmen ist nicht gerade die erste Reaktion.

Ständiger Rollenwechsel

Melike Yağız-Baxants Türkisch-Kenntnisse aus ihrer ersten Heimat werden bei einem Patienten in Anspruch genommen, ihre Erkenntnisse, die sich aus dem Gespräch ergeben, dass dieser dement ist, allerdings nicht. Sie als Kunsttherapeutin habe keine Diagnose zu stellen. Ärztliche Fachkraft, die das dürfe, mit der entsprechenden Sprachkompetenz: Fehlanzeige. Und das ist nur eine der Szenen, in denen Yağız-Baxant latenten bis offenen Rassismus – auch in einer solchen Institution – anspielt, wobei sie auch da immer wieder zwischen Rollen von Patient:innen und ärztlichem bzw. therapeutischem Personal hin- und her-switcht.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Klinik“ von und mit Melike Yağız-Baxant im Theater Drachengasse (Wien)

Scheint vielen nicht unbekannt

Breiten Raum widmet die Performerin rund um Gesprächsgruppen – „mir geht’s gut, habe gut geschlafen…“; „schließe mich dem an, mir geht’s auch gut, auch gut geschlafen…“ Tendenz, erwünschte, normierten Antworten, nur ja nicht auf- oder aus dem Rahmen fallen. Herzhafte Lacher so mancher Zuschauer:innen lassen auf nicht gerade unähnliche Erfahrungen schließen.

Dabei sind die überhöht und zugespitzt situationskomisch dargestellten Situationen nicht selten eher zum Heulen, aber so vielleicht verkraftbarer. Und dennoch auch mit einer gehörigen Schicht Frust überzogen. Mental Health wurde – „dank“ des Ausnahmezustands in der Pandemie zum doch fast allgegenwärtigen Thema – mit Forderungen nach besserer Versorgung in Sachen psychische Krankheiten bzw. Gesundheit. Wenn’s dann aber institutionell damit auch nicht zum Besten bestell ist, na dann, hawidere…

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Klinik“ von und mit Melike Yağız-Baxant im Theater Drachengasse (Wien)

Reale Hintergründe

Vieles von Gesagtem und Gespieltem dürfte nämlich nicht weit entfernt sein von tatsächlichen Dialogen, Monologen und Verhalten, die eine oder andere überdrehte fiktive Szene – wie aufgedrängte Hilfe gegen den Willen der Betreffenden mit fast slapstickartigen Missgeschicken – gruppiert sich dennoch um so manchen wahren Kern.

Und dennoch ist das viele Ver-Rückte meist deutlich harmloser als das sogenannte Normale in der Welt außerhalb der Klinik – auch das schwingt in der einstündigen Performance unausgesprochen zwischen den Zeilen und Szenen mit.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Klinik“ von und mit Melike Yağız-Baxant im Theater Drachengasse (Wien)

Ich sage Nein.. – oder doch (noch?) nicht

„Nicht mit mir! Ich will nicht! Ich kann nicht! Ich muss nicht! Ich sage Nein!“ Sätze, mit denen Melike Yağız-Baxant bald nach Beginn und zwischendurch mehrmals fast mantramäßig den Bühnen- und Publikumsraum erfüllt. Die Grenzen zwischen beiden überwindet sie mehrmals auch körperlich, spielerisch sowieso. Doch praktisch jedes Mal fügt sie den starken Statements verschämt „sag ich beim nächsten Mal“ in dieser und ähnlicher Version hinterher.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Klinik“ von und mit Melike Yağız-Baxant im Theater Drachengasse (Wien)

Malen und Musik

Neben dem Vielem, das die Schauspielerin auf und vor der Bühne bzw. zwischen den Publikumsreihen sagt, greift sie neben performativen Moves auch auf Grundelemente von Kunsttherapie zu – und blendet animiert, sozusagen Strich für Strich Zeichnungen ein, oder lässt sich in musikalischen Parts in den Rhythmus dieser fallen – und scheint da, in sich zu ruhen. „Malen hilft!“, „Musik hilft!“, sagt sie an einer Stelle und bringt damit wesentliche Elemente von Kunsttherapie auf den Punkt. Neben dem Vielem, das die Schauspielerin auf und vor der Bühne bzw. zwischen den Publikumsreihen sagt, greift sie neben performativen Moves auch auf Grundelemente von Kunsttherapie zu – und blendet animiert, sozusagen Strich für Strich Zeichnungen ein, oder lässt sich in musikalischen Parts in den Rhythmus dieser fallen – und scheint da, in sich zu ruhen. „Malen hilft!“, „Musik hilft!“, sagt sie an einer Stelle und bringt damit wesentliche Elemente von Kunsttherapie auf den Punkt. Und mehrfach führt sie an, wie Humor wirkt, nicht zuletzt durch Freisetzung von Oxytocin und Endorphinen. Außerdem wäre Hoffnungslosigkeit überhaupt eine Sünde…
Erkenntnisse, die die Künstlerin und Kunsttherapeutin auch schon praktisch umgesetzt hat in den Workshops mit Schüler:innen, die als Fortführung ihres Textes und späteren Stücks „Glückskind“ zum Mut machenden Film „Glückskinder“ geführt haben, der kürzlich erstmals gezeigt wurde – in Anwesenheit vieler der dabei selbstbewusster gewordenen Jugendlichen – KiJuKU berichtete – Links, auch zur Stückkritik und zur Literaturpreisverleihung unten.

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Still (Szenenfoto) aus dem Film "Glückskinder"

Mut machende starke „Glückskinder“

35 superstarke und stärkende Minuten – im besten Fall sollten alle Schüler:innen und Lehrer:innen diesen kurzen, dichten, so Mut machenden Film „Glückskinder“ sehen. Sonntagnachmittag feierte er eine umjubelte erste Vorführung – mit spontanem Zwischenapplaus in einer Szene – im Stadtkino im Wiener Künstlerhaus. Montagvormittag ist er noch zwei Mal zu sehen – Details siehe Info.

Still (Szenenfoto) aus dem Film
Still (Szenenfoto) aus dem Film „Glückskinder“

Was Jugendliche alles können, so ihnen vertraut wird, ihnen viel zugetraut wird, zeigt diese Dokumentation eines Theaterworkshops über das vorige Sommersemester in der Sir Karl Popper Mittelschule im 15. Wiener Gemeindebezirk Rudolfsheim-Fünfhaus. Aus sich heraus gehen, szenische Auftritte, Träume und Wünsche formulieren, will drauf los malen, aber auch über Verletzungen reden…

Theaterstück

Ausgangspunkt was das Theaterstück „Glückskind“, mit dem Melike Yağız-Baxant nicht nur in der Wiener Drachengasse spielte – Stückbesprechung am Ende des Beitrages verlinkt – sondern auch in New York Erfolg hatte. Ihr eigener (Lebens-)Weg über Diskriminierungen, Schicksalsschläge, viel Pech über Durchkämpfen, nie Aufgeben zur Schauspielerin, die im Theater fürs Publikum den roten Teppich ausrollt, brachte sie auf die Idee, Workshops für Schüler:innen zu machen.

Und aus diesem, den sie – gemeinsam mit Theaterpädagogin Melina Cerha-Marcher – in der genannten Mittelschule durchführte, entstand die Idee, daraus und darüber einen Film (Kamera: Christian Schratt und Özgün Yarar, Schnittdramaturgie: Anna Schober) in Zusammenarbeit mit diverCityLAB zu drehen. Ursprünglich – so steht’s im Abspann – sollte er „Glückskinder gesucht“ heißten, aber Mohammad Alhazaa, Khloe Djordjević, Ata Hamad, Anisa Hasan, Tina Huhulashuili, Hasan Mhrez, Roxana Nicola, Ali Özdemir, Lena Rajković, Sana Razaghi, Aziz Töremen, Melinda Trenčanská, Incı Yıldız machten durch ihre Geschichten, durch ihr immer mutigeres Agieren das „gesucht“ überflüssig.

Still (Szenenfoto) aus dem Film
Still (Szenenfoto) aus dem Film „Glückskinder“

„Geheime“ Wunschträume erfüllt

Neben den – mitunter szenischen – Erzählungen über sich selber, schlüpften sie auch in Schauspielrollen um Gesagtes zu spielen, diskutierten über Fantasie oder Pech und Glück…

Ach ja, oben wurde kurz ein spontaner Szenenapplaus während der Filmvorführung erwähnt. Der ertönte als Lena Rajković die „Zauberflöten“-Arie „Königin der Nacht“ anstimmte und jeden Ton haargenau richtig traf, nachdem sie erzählt, dass sie gern und auch sehr hoch singen kann und mag.

Kurze Interviews

Die sagt im Gespärch mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… nach dem Film im Kino: „Ich wollte immer schon singen und schauspielen. Als Kind habe ich zu Hause, wenn der Weihnachtsbaum gestanden ist, so ab sechs Jahren gespielt, dass ich in New York bin und dort feiere. Doch erst durch den Workshop hab ich mich getraut das auch vor anderen zu machen.“

Khloe Djordjević spricht im Film mehrfach ihren Wunschtraum an, Schauspielerin zu werden. „Schon als ich so vier Jahre war und mit meinem Vater viele Filme angeschaut habe, hab ich das voll cool gefunden und wollte das einmal zu meinem Beruf machen. Aber auch erst durch das jetzige Projekt mit Melike (Yağız-Baxant) und Melina (Cerha-Marcher) hab ich angefangen nach Theaterworkshops zu schauen.“

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Mehr Informationen

Melike Yağız-Baxant in "Glückskind"

Aus Pech-Erfahrungen ein Stück gemacht: „Glückskind“

Das Publikum betritt den Theaterraum auf dem Weg zu den Sitzplätzen über einen roten Teppich. Der setzt sich über die Treppen auf die Bühne – bis ans hintere Ende derselben fort. Auf dieser roten Bahn kommt Autorin und Schauspielerin Melike Yağız-Baxant – eine lange Schleppe aus zusammengebundenen Stoffen hinterher ziehend – in den Saal und betritt die Bühne. Schon immer ihr’s sozusagen. Denn, so beginnt sie ihr Stück „Glückskind“, sie sei schon mitten im Theater geboren worden.

Melike Yağız-Baxant in
Melike Yağız-Baxant in „Glückskind“

Nicht im herkömmlichen Sinn, verdeutlicht sie in den ersten Sätzen. Sie betrachtet sozusagen das Leben um sie herum als Theater. Hauptdarstellerin war die Mutter, sie selbst mit vier Jahren Publikum in der ersten Reihe. Ob Exekution wegen Spielschulden des Vaters oder noch krassere Situationen – politischer Verfolgung in der Türkei – alles schildert sie als wären es Szenen eines Stücks. Und selbst die tragischsten Momente schildert und spielt sie mit – mindestens – einem Schuss (Selbst-)Ironie.

Melike Yağız-Baxant in
Melike Yağız-Baxant in „Glückskind“

Kunst als Deckmantel

Lachen, das mitunter im Hals stecken bleibt, wenn sie Erfahrungen von Schauspielprüfungen bzw. dem Lernen mit mehr oder minder arrivierten Theaterleuten für die Aufnahmetests in Szenen übersetzt. Wo nicht selten sie gar nicht dazukam, die einstudierten, erlernten Monologe vorzusprechen/-spielen, sondern mehr auf ihr Aussehen abgezielt wurde. Oder noch mehr, das auf Missbrauch mehr als nur hindeutet, und doch von den Gegenübers unter den Deckmantel von „Kunst“ versteckt werden wollte.

Melike Yağız-Baxant in
Melike Yağız-Baxant in „Glückskind“

„Menü“

Die Brotlosigkeit freier künstlerischer Arbeit machte sie in ihrem Dauer-Tagesmenü – Burger, Pommes, Cola – bildhaft. „Und das hab ich schon lange davor geschrieben“, versichert sie die Nachfrage des Reporters nach der Premiere. Obwohl dieses Menü natürlich vor allem sehr heftige aktuelle Lacher nach sich zog (Stichwort Mc Schmähhammer).

Melike Yağız-Baxant in
Melike Yağız-Baxant in „Glückskind“

Auch gut gemeint geht nicht selten daneben

Aber auch wohl-und gutgemeint Multikulturelles von engagierten Theaterleuten, das letztlich eher gönnerhaft und paternalistisch ankam, nimmt Melike Yağız-Baxant in ihrem Spiel und Text aufs Korn. Das alles habe sie – speziell in der Pandemie, wo sie ohnehin zwangsweise pausieren musste und Zeit hatte – dazu gebracht, sich aus diesem immer von anderen bestimmten Betrieb zurückzuziehen und an eigenen Texten zu arbeiten. Die Basis für das nunmehr im Theater Drachengasse zu erlebende Stück, dessen Ende keinesfalls verraten werden soll, legte sie mit ihrem Text „ein künstlerischer Therapieabend“, mit dem sie vor zwei Jahren einen der Exil-Literaturpreise (Platz 2) gewonnen hat. Und mit dem sie nun – ausgebaut und weitergeführt – wieder im Theater landet(e) – aber eben sehr selbstbestimmt – und damit nun wirklich „Glückskind“.

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Melike Yağız-Baxant in
Melike Yağız-Baxant in „Glückskind“