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Szenenfoto aus "Morbus Hysteria - Wir haben alle Recht" vom aktionstheater ensemble

Gespielter, getanzter, ironischer Kampf ums Rechthaben

Die Welt ist diesmal im jüngsten Stück vom aktionstheater ensemble ziemlich düster, vor allem ins schwarz-weiß-Tönen gehalten – von den projizierten Kulissen bis zu den Gewändern (Bühne/Kostüme: Valerie Lutz, Video: Resa Lut). Die Welt ist zersplittert, denn „Wir alle haben Recht“ wie es im Untertitel von „Morbus Hysteria“ heißt – noch bis 4. Juni im Werk-X-Wien-Meidling und ab Mitte Juni im Bregenzer Theater Kosmos, siehe Info-Box; übrigens Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… hatte schon vor eingier Zeit über eine probe des Stücks berichtet – Link am Ende des Beitrages.

Wobei „wir alle“ keine Gemeinschaft ist, eher jede und jeder für sich – in eigenen Bubbles, wie es sich in der wirklichen Welt vor allem im digitalen Raum abspielt 😉 Da prallen die rechthaberischen Positionen aufeinander, nicht um sie auszutauschen, zu diskutieren, sondern zu postulieren, hinzukleschen, mitunter sogar recht gewaltsam.

Fast alle Themen

Von versuchter, bemühter Interkulturalität bis zur Zur-Schau-Stellung wie wichtig einer/einem Diversität sei bis zum Zweifel daran, ob wirklich jede und jeder sich als das sehen können dürfe als was sie/er/they sich fühle, beispielsweise als Wal, Hase oder Wolf sowie vermeintlich schulterklopfendem „ja, der jüdische Humor…“ spannt sich der Bogen der angeschnitten, angespielten, (selbst-)ironisch durch den Kakao gezogenen Positionen des „Rechthabens“.

Das Team – schauspielend auf der Bühne Michaela Bilgeri, Thomas Kolle, Kirstin Schwab, Tamara Stern, Benjamin Vanyek und musizierend dieses Mal hinter dem Publikum, was den Dialog zwischen den unterschiedlichen Tönen über die Zuschauer:innen hinweg-schwabben lässt, – und Regisseur Martin Gruber entwickelt das Stück ja jeweils miteinander. Die Beteiligten bringen persönliche Erlebnisse und Erfahrungen ein, die in der gemeinsamen Arbeit zu einer runden Sache werden. Die übrigens fast immer sehr spontan wirkt, obwohl praktisch jedes Wort – samt seiner Betonung, jeder Schritt perfekt einstudiert sind – und trotzdem nichts an dieser Spritzigkeit verliert. Natürlich lebt – wie generell bei guten Theater – auch und gerade beim aktionstheater ensemble jeder Abend von der Durchbrechung der vierten Wand zum Publikum, bestimmt dessen Reaktion die Energie, den Flow der Aufführung, weshalb es hier – Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… erlebte genau diese – keine sogenannte Zweite gibt. Dies ist ein Phänomen so mancher Theater, dass nach der darauf konzentrierten tollen Premiere die nachfolgende Vorstellung abflacht.

Alle wechselnd gegeneinander, eine Außenseiterin

Wechselnde Koalitionen der Streitenden spielen sich ebenso ab wie die fast durchwegs die Außenseiterin gebende Kirstin Schwab, die oft suchend, herumirrend und vor allem in einem fast durchgehenden 1 ¼-stündigen Workout auf und mit dem schwarz-grau lackierten Sitzball auf und ab springt, ob sitzend oder liegend.

Vielleicht ein wenig untypisch für das aktionstheater ensemble (das übrigens mit einer übersetzten Version von „Pension Europa“ im Sommer zu einem Gastspiel in London eingeladen ist), das mit der Art und Weise seiner Stücke zwar Haltungen vermittelt aber Positionen fast immer in Frage stellt und das Publikum damit anregen will, selber Antworten zu suchen, endet „Morbus Hysteria – Wir haben alle Recht“ mit dem letzten konsumkritischen Abschnitt mit einer rasant getanzten, gesungenen, gespielten Version des mehr als 50 Jahre alten7jungen Songs der Band Ton Steine Scherben „Macht kaputt, was euch kaputt macht“.

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Foto bei einer der Proben - nicht jener, die KiJuKU.at besuchte: Es sollen keien falschen optischen Eindrücke vermittelt werden, daher nur aus Besprechungssituationen

Bewegen und tänzeln bis der (Sprach-)Rhythmus passt

Über dem Eingangstor in der Wiener Kaiserstraße stehen die Buchstaben „Bienenhof“. Es duftet nicht nach Honig, Blüten und Blumen finden sich auch nicht. Aber neben dem Firmensitz einiger Geschäfte und Produkte rund um Honig geht’s zeitweise doch ähnlich zu wie in einem Bienenstock. Hier finden sich seit Jahrzehnten Proberäume des Theaters Heuschreck, das seit Jahrzehnten farbenfrohe Fantasie bei jungem Publikum und dessen älterem Anhang setzt. Und immer wieder mieten sich andere Theatergruppen hier in diesen Proberäumen ein. Derzeit das aktionstheater ensemble. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… durchquert die mehreren Höfe bis zum Ende und stapft die Stufen hinauf in den Proberaum, um ein paar Stunden dem Entstehungsprozess der jüngsten Produktion zuschauen und -hören zu dürfen. „Morbus Hysteria – Wir haben alle Recht“ hat Ende Mai im Werk X in Wien-Meidling Premiere – ausnahmsweise, sonst finden die Uraufführungen meist in Vorarlberg statt bevor die Spielserie in Wien steigt.

Rhythmus suchen und finden

Bevor jedoch auch nur ein Wort auf dem Tanzboden und einem weiteren mit Klebestreifen markierten Stück davor, die die originale Bühnentiefe markieren, fällt, bewegen sich die Schauspieler:innen durch den Raum. Nicht wahllos zum Aufwärmen, sondern gezielt, in Gruppen, synchron bewegen sich Michaela Bilgeri, Thomas Kolle, Benjamin Vanyek – Tamara Stern ist an diesem Probentag krank – diagonal übers Feld. Kirstin Schwab ist irgendwie gegenteilig unterwegs. Den Sitzball mit ihren Armen mal hoch, dann weniger hoch gehalten, schaut sie sich um. Sucht – nicht zielgerichtet. Blick sich um – hin und wieder verschreckt, verstört. Bringt Verwirrung zum Ausdruck. Zwischen „was ist mit denen los“ und „bin ich auf dem richtigen Weg?“

Irgendwie drängt sich der oben genannte Schriftzug über dem Hauseingang auf – Wo geht’s hier zur nächsten Blüte, um Nektar zu zapfen? Aber schnell weggewischt, denn das würde sicher genauso ablaufen, wenn das Ensemble woanders proben würde 😉

Gesamtkunstwerk

Mehrfach wiederholt das Ensemble die Schritte und Bewegungen – nicht in Form eines Einübens, sondern selber noch insgesamt suchend. In einer andere Szene sagt Kirstin einmal „also so, fühlt sich die Bewegung auf dem Ball jetzt für mich ganz falsch an“. Die Sitz-Folge auf den Bällen wird wieder geändert, jetzt wirkt’s stimmig.

Passt alles zusammen, stimmt ein gewisser Rhythmus? Denn das kennzeichnet – neben inhaltlicher Tiefe, Bissigkeit, Humor und Selbstironie – Stücke des aktionstheater ensembles meist in den bisherigen fast dreieinhalb Jahrzehnten.

Nach einigen Wiederholungen scheinen die Bewegungen und Gänge in dieser Szene ziemlich stimmig, nun das Ganze mit Musik. Die Live-Musiker:innen Nadine Abado, Andreas Dauböck, Pete Simpson unterlegen die Szene mit stimmigen Sounds, in anderen dominieren eher sie, geben Takt und Rhythmus vor – auch wenn es mitunter genau gegengleich läuft/laufen soll: Musik rauf, Bewegung runter und umgekehrt – die Gesamtenergie muss passen.

Stimmungsvolles Gruppenfoto als Sujet fürs kommende Stück
Stimmungsvolles Gruppenfoto als Sujet fürs kommende Stück

Miteinander

Kritischer, fördernder und fordernder teilnehmender Beobachter der Szenerie ist mittig vor dem Geschehen sitzend Martin Gruber, Mastermind und „Vater“ des aktionstheater ensembles, der jedoch stets ausstrahlt: Wir entwickeln das jetzt gemeinsam. Und tun dies sicher nicht nur, wenn ein Medium zu Besuch ist! Er ist übrigens wohl einer der ganz wenigen, die Regie führen, und doch bei (fast) jeder Aufführung auch anwesend ist – mit gemeinsamer Einstimmung vor dem Stück und gemeinsamer Reflexion danach.

Beim KiJuKU-Probenbesuch mit dabei noch Valerie Lutz, die für Kostüme und Bühne zuständig ist, „Resa Lut“, die Videos produziert, die eingeblendet werden, hin und wieder auch Martin Ojster (Dramaturgie), der nur immer wieder raus muss, um telefonisch das eine oder andere zu checken. Unmittelbar vor der Bühne am Boden sitzt Regie-Assistent Johny Ritter – vor sich auf dem aufgeklappten Laptop-Monitor den Test der aktuelle Stückfassung.

Denn irgendwann wird die Szene natürlich auch mit Text geprobt. Johny spricht jene Sätze ein, die von der erkrankten Tamara kommen würden und ganz selten hilft er bei „Hängern“ aus, die die eine oder der andere kurzfristig hat.

„Das hat ja schon eine Frau gesagt“

In der eingangs geschilderten Szene dreht sich der Text dann um die Erkenntnis, dass das was einer der Männer so groß hinausposaunt im Prinzip dasselbe ist, das Kirstin schon wenige Augenblicke vorher gemeint hat. Eine – noch immer – häufige Alltags-Erfahrung: Aussagen von Frauen werden häufig(er) ignoriert, sagt ein Mann das wenig später, wird ihm zugehört. Ähnliche Muster erleben auch andere an den Rand gedrängte Gruppen.

Hauseinang zum Probenraum
Im „Bienenhof“ „wohnt“ das Theater Heuschreck mit seinem Probenraum, den auch das aktionsetheater ensemble immer wieder nutzt …

Raus aus den Bubbles

Um Kommunikation, um die „Blasen“ (Bubbles), ums Recht-haben dreht sich das neue Stück. „Der Untertitel (wir haben alle Recht) war unser Ausgangspunkt“, sagt Martin Gruber am Beginn der Gesprächsrunde des Ensembles mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… in der Pause zwischen Proben-Einheiten. Und wie immer haben in dem Fall Michaela Bilgeri, Thomas Kolle, Kirstin Schwab, Tamara Stern und Benjamin Vanyek eigene Beispiele eingebracht. Wenngleich nicht immer jede und jeder die eigenen Erlebnisse darbringt, die auch verändert werden können im Laufe der Proben. Das Beharren auf eigenen Positionen, das ich, ich, ich nur ich, das Diskurs, Diskussion, Austausch verunmöglicht, Gräben aufreißt, Solidarität verhindert, Populist:innen den Boden aufbereitet … das will das aktionstheater ensemble thematisieren. „Aber wir wollen auch keine fertige Antwort geben. Wir sind nicht diejenigen die sagen, was richtig ist. Nur wir haben Recht. Wir wollen Anstöße zum selber Nachdenken, zum Reflektieren des eigenen Verhaltens liefern“, so die Conclusio aus der Gesprächsrunde mit den Akteur:innen auf der Bühne und dem Regisseur.

Das Labile, das In-Bewegung-Sein – auch im Sitzen – wird dann nicht zuletzt in den Sitz-„Bubbles“ (!) zum Ausdruck kommen.

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