Von sonnengelb umgebenen drei Stoffwänden, die von vornherein Zuversicht ausstrahlen und zwischen zwei großen hellgrünen Kulissen-Elementen sowie fallweise Farben wechselnden senkrechten Leuchtstoffröhren spielt sich die Jugend-Kult-Geschichte „Tschick“ seit Kurzem – immer wieder (Termine in der Info-Box am Ende des Beitrages) ab. Obwohl Maik Klingenberg (14) die Hauptperson ist, die die Story aus seiner Sicht erzählt – und auch die größte Entwicklung durchmacht – ist der Roman, Film, die Theaterversion nach seinem zum Freund gewordenen neuen Klassenkollegen Andrej Tschichatschow (manchmal auch Tschichatschoff geschrieben) benannt. Der Einfachheit, weil gleich bei seiner Vorstellung Lehrer Wagenbach den Namen kein einziges Mal unfallfrei aussprechen kann – naja, viel mehr will – eben „Tschick“ genannt.
Vor acht Jahren schon vom Theater der Jugend in Wien, im Vorjahr dann sogar in einer Opernversion in der Wiener Staatsoper gesungen und gespielt, bevölkern Maik und Tschick nun auch in St. Pölten die Bühne im Hof – Gastspiel des Landestheaters NÖ. Links – vom Publikum aus gesehen – der Anfang (oder das Ende?) einer Skate-Ramp; rechts – noch nicht ganz von Anfang an – eine hölzerne Konstruktion, die ansatzweise an ein Auto erinnert (Bühne: Chani Lehmann). Das erst durch das Bespielen durch die Protagonisten, zeitweise auch die Protagonistin zu einem solchen wird – Road-Theatre, ausgeborgt vom Begriff Road-Movie (2016 als Film in den Kinos) sozusagen. Als solches ist auch schon der vor fast eineinhalb Jahrzehnten erschienene Roman geschrieben worden – von dem bald nach der Veröffentlichung jung verstorbenen Autor Wolfgang Herrndorf, der übrigens 2004 den Publikumspreis beim berühmten nach Ingeborg Bachmann benannten Literaturpreis gewonnen hatte. Den Ansatz zum auch für ihn überraschenden Höhenflug (2010 erschienen, in der Saison 2012/13 meistgespieltes Stück auf deutschen Bühnen konnte er noch miterleben; er starb im August 2013). Eines von Herrndorfs Vorbilder für „Tschick“ war „Huckleberry Finn“. Jugendliche, die auf sich allein reisend die Welt erkunden. Weshalb in dem Roman – und seinen Bearbeitungen – die vorkommenden Erwachsenen auch nur Nebenfiguren sind.
Maik, gespielt von Tobias Artner, stammt aus reichem Haus – mit alkoholkranker Mutter und Vater, der in Immobilien macht, aber gerade mit einem großen Projekt Schiffbruch erlitten hat. Schüchtern, zurückhaltend, ohne Freund:innen. Da kommt „Tschick“ (Lennart Preining, der aber noch in einige andere Rollen schlüpft, unter anderem Maiks Vater!) neu in die Klasse, aber erst am Beginn der Sommerferien kommts zur wirklichen Begegnung der beiden. Der hat in der Klasse auch keine Freund:innen, aber ist der Typ Sch…-dir nix bzw. -drauf. Hat ein Auto „ausgeborgt“ und animiert Maik mit ihm auf Tour zu fahren – in die Walachei. Was Maik für ein Fantasie-Region hält, es als Landschaft im Süden Rumäniens aber wirklich gibt.
Nach anfänglichem Zögern, löst sich Maik darauf ein. Und so erleben die beiden das eine oder andere Abenteuer, vor allem aber viele Begegnungen. Und da fast ausnahmslos positive. Weshalb das Landestheater auch gleich im (digitalen) Programmheft Maiks Schlussfolgerung gegen Ende zitiert: „Seit ich klein war, hatte mein Vater mir beigebracht, dass die Welt schlecht ist. Die Welt ist schlecht und der Mensch ist auch schlecht. … Wenn man Nachrichten guckte: Der Mensch ist schlecht… Und vielleicht stimmte das ja auch, und der Mensch war zu 99 Prozent schlecht. Aber das Seltsame war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war.“
Und diese Stimmung strahlen auch die knapp 1¼ Stunden in der Bühne im Hof aus (Regie: Mira Stadler). Abenteuerlich mit immer wieder auch tiefgehenderen Gesprächen sozusagen über Gott und die Welt, das Leben im Allgemeinen, die Liebe im Konkreten, aber nicht abstrakt, abgehoben, sondern wie reale Jugendliche, die den beiden Schauspielern abgenommen werden können. Womit sie Herrndorfs Sprache und Intention live erleben lassen.
Weine Wucht ist vor allem aber die Dritte im Bunde auf der Bühne: Laura Laufenberg. Sie spielt nicht nur die freche, offene, aufmüpfige, dauerquasselnde, bei der ersten Begegnung auf der Müllhalde abwehrend aggressive Isa Schmidt, die dann eine Zeitlang das reisende Duo zum Trio erweitert, sondern verwandelt sich – mitunter blitzschnell nur durch Mimik, Gestik, Sprachfärbung oder eine Kopfbedeckung – fast ein Dutzend weiterer Charaktere. Da sind unter anderem drei Kinder, die alternativ aufwachsen, nicht wissen wo der Supermarkt ist, nach dem Friedemann, der erste der Kids, von den beiden Jungs gefragt wird, dafür aber von der Mutter (natürlich ebenfalls von Laura Laufenberg gespielt) gesund und gut bekocht werden. Sie gibt aber auch den ignoranten, autoritären Lehrer Wagenbach, den alten knorrigen Horst Fricke mit seinem Gewehr und nicht zuletzt auch Tatjana Cosić, in die Maik verliebt ist und für die er wochenlang an einer fotorealistischen Zeichnung der Sängerin Beyoncé arbeitet. Dann aber doch nicht zu deren Geburtstagsparty eingeladen ist, mit Maik aber einfach vorbeifährt und ihr die in die Hand drückt.
Die trotz aller Troubles – wie wo kriegen sie was zu essen her, wie kommen sie an Benzin, Unfall, Maiks Vater, der dem Sohn eintrichtern will, alle Schuld auf Tschick zu wälzen, was der dann (natürlich) nicht macht – optimistische, positive Grundhaltung wird nicht zuletzt durch die Musik abgerundet. Bernhard Eder hat den „Lovesong for Isa“ komponiert und bekannte Nummern arrangiert wie „Maschin“ von Bilderbuch, „Yeah!“ von Usher, „Angst“ von Low Life Rich Kids, „Sunny“ von Brockhampton und nicht zuletzt auch den nervigen Uralt-Klassiker „Pour Adeline“ von Richard Clayderman. Letzteren „finden“ die beiden auf einer Kassette im „ausgeborgten“ Lada. Der Musiker hatte – naheliegenderweise – auch eine Nummer von Beyoncé (Halo), aber auch „Survivor“ von Destiny’s Child und weitere Songs eingeplant, die es – wie dem Programmheft zu entnehmen – aber nicht in die Inszenierung geschafft haben. Die eingespielte Musik ist aber nciht nur Hintergrundgeräusch – die Schauspieler:innen verwandeln sich in Tänzer:innen, mitunter auch im Sitzen 😉
Die Bühne im Hof war übrigens – was bei Jugendstücken in Theater nicht immer der Fall ist – sogar bei der Premiere voller Jugendlicher. Die am Ende ziemlich enthusiastisch Beifall spendeten- zaghaft ertönte in einer der vorderen Reihen sogar der Spruch „Zugabe“. Die theater-interessierten 12-jährigen Brüder Jonas und Jakob zeigten sich in einem Kürzestgespräch nach der Premiere Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… gegenüber sehr angetan – vom Stück und dem Schauspiel. Der Zweitgenannte hatte auch schon „erst das Buch zur Hälfte gelesen, den Film angeschaut und dann wieder den Roman weitergelesen“. Womit er wusste, was wann kommt – und die Inszenierung „sehr gut“ fand.
https://kurier.at/leben/kiku/tschick-im-theater-der-jugend-abenteuer-vertrauen-schoepfen/172.543.237
Ein Soft-Start zieht das Publikum, das an den vier Wänden rund um das jüngste Mash-up von „das.bernhard.ensemble sitzen wird, schon beim Betreten der White Box im Wiener Off-Theater ins Geschehen. Schräge Figuren wandern, kriechen, umher, nähern sich den Zuschauer:innen, werden von einem Kollegen davon aber immer wieder abgehalten. Seit Jahren verbindet das Ensemble – meist nach einer Idee von Mastermind Ernst Kurt Weigel – einen Theater- mit einem Filmklassiker zu einer höchst intensiven theatralen Performance, selten auch mit Video-Einblendungen. Wie aber meist liegt auch dieses Mal die alleine Konzentration auf analoges, Live-Schauspiel mit starkem körperlichem Einsatz.
„Medea“, dritter Teil der Trilogie „Das golden Vlies“ von Franz Grillparzer stand Pate für den Theater-Ausgangspunkt. Meist bekannt als Kinder-Mörderin, liegt in manchen Versionen der Schwerpunkt der Interpretationen auf dem Mobbing gegen die Zugewanderte. Oder auch darauf, dass sie sich an Iason rächen will, dem zuliebe sie das Goldene Vlies klaut und mit ihm und den Argonauten aus Kolchis abhaut, der sie dann aber zugunsten der Tochter von König Kreos verlässt.
Hier war’s was anderes. „Bei der Beschäftigung mit dem Medea-Stoff hatte ich sofort diese Roadmovie-Assoziation des mordenden Liebespaares. „Bonnie und Clyde“, „Wild at Heart“, „True Romance“ waren sofort präsent und natürlich auch NBK“, schreibt Weigel im Programmheft. Mit NBK meint er „Natural Born Killers“, einen Film von Oliver Stone nach einem Drehbuch von Quentin Tarantino. In einem Lokal im US-Bundesstaat New Mexico richtet Mickey ein Gemetzel an, nachdem ein Gast seine Freundin Mallory belästigt hat. Das Ungewöhnliche: Am unteren Bildrand ist eine Pistole eingeblendet – wie bei einem Ego-Shooter-Computerspiel – und das 1994.
Im Gespräch mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… erzählt Weigel noch, dass er sich noch etliche andere Medea-Versionen reingezogen habe. Aber es blieb bei der Grundstimmung: Vermixung der Zeit, in der das Paar gemeinsam unterwegs ist mit jener der Flucht des eben genannten Paares aus dem Film.
Auf dieser Flucht bringen M & M Dutzende weitere Menschen um. In Rückblenden stellt sich obendrein heraus, dass Mallorys Vater die Tochter unzählige Male sexuell ausbeutet, die Mutter schaut weg… Neben den Morden spielt in dem Film nicht zuletzt die mediale Sensationsberichterstattung über die Taten einer- und die polizeiliche Verfolgung andererseits eine große Rolle.
Und das mixte „das.bernhard.ensmeble“ zu einer heftigen, zweistündigen, immer wieder aber auch satirisch distanzierten/distanzierenden Performance zusammen. Die Originalnamen aus dem Film und dem Stück werden verändert – Mae (umwerfend: Rinu Juniku) und Jay (heftig: Andrzej Jaślikowski) statt Medea und Iason etwa – und alles als Theaterprojekt in einem Gefängnis angesiedelt, dessen Direktor Kajetan Dick sozusagen auch die „Show“ auf der Bühne dirigiert.
Als besessener und skurpelloser Kommissar Scagnetti (der auch im genannten Film so heißt) agiert Matthias Böhm, der auch den ekelerregenden, gewalttätigen Vater spielt. Als völlig schräge Figur hoppelt Yvonne Brandstetter als Hase durch die Szenen. Dazu gesellen sich noch die – wie alle ja ständig von allen Seiten beobachtet werdenden und damit immer präsenten Spieler:innen Anja Štruc (Gefängnis-Seelsorgerin Kreusa bzw. Geisel des mörderischen Duos sowie Jula Zangger als Schamanin und u.a. wegschauende Mutter).
Für Bühne mit so manchen absurd erscheinenden Utensilien sowie Kostüme zeichnete Julia Trybula, für die ausgefeilte Choreografie- wenn Menschen von allen Seiten zuschauen – sorgte Leonie Wahl. Wie immer schuf Bernhard Fleischmann Kompositionen und die den Szenen angepasste Musik. Und: Ernst Kurt Weigel sitzt als Regisseur erstmals bei einem Mash-up von „das.bernhard.ensemble“ am Spielfeldrand statt mitten im Geschehen zu agieren.
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