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Szenenfoto aus "staub... a little mindblow*"

Von Staub zu Staub…

Ein Riesending, das von seiner Farbe, der Oberfläche und der Form her an eine überüberdimensionale „Wollmaus“ erinnert, wie in manchen Regionen die Zusammenballung von Staub liebevoll beschönigend genannt wird, dominiert eine Bühnenhälfte. Ungefähr in der Mitte steht eine ganze Figur aus solchem „Material“. Steckt da wirklich – und das die ganze Zeit – ein Mensch drin? Oder wenn nicht, wie steht dieses Gebilde aus grauen „Zellen“?

„staub… a little mindblow*“ war kürzlich eine faszinierende, selbst für das Ensemble „spitzwegerich“, bekannt für ungewöhnliche Kombination aus Schauspiel, Objekt-Theater und philosophischen Gedanken noch einmal außergewöhnliche Performance im Theater am Werk Meidling. Allein schon die Idee, dem Staub eine Performance zu widmen. Und dann eine solche!

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „staub… a little mindblow*“

Überraschungen

Die oben beschriebenen Objekte beide aus eigenhändig aus gefilzter Wolle angefertigt, bilden aber nicht nur beeindruckende optische Objekte (Rebekah Wild und nicht zuletzt Birgit Kellner, die auch auf der Bühne performt und in jeder erdenklichen Pause mit der Widerhakennadelgefilzt hat). Aus der großen Wollmaus schlüpft unter anderem die zuletzt Genannte und dazu noch Shabnam Chamani. Fabricio Ferrari “verwandelt” sich danach in eine Art Bruder oder zumindestens Artgenossen der aufrecht stehenden Staub-Figur, die spätestens ab diesem Zeitpunkt als Objekt und nicht verkleideter Mensch erkennbar wird. Simon Dietersdorfer begleitet die tänzerischen Staub-Performer:innen mit seinen gekonnten vielseitigen musikalischen Stimm-Fähigkeiten – von Gesang bis Mund-Geräuschkulisse.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „staub… a little mindblow*“

Zwischen alltäglicher Routine und Philosphieren

Den Text – zwischen alltäglicher Putz-Routine und hochphilosophischen Gedanken wie aus einzelnen Staubkörnern durch Zusammenballung fast in einer Art Kooperation ganze scheinbare Wesen werden sowie so manchen scheinbaren Nonsens-Elementen – steuerte wie beim Kollektiv spitzwegerich sehr oft Natascha Gangl bei. Wobei auch viele Gedanken der Performer:innen sowie noch von einer Reihe weiterer Mitwirkenden einflossen. Und das interdisziplinäre, multimediale Performance-Kollektiv durfte Gerhard Rühms Fragmente aus seinem „Staub-Lamento“ verwenden und singen.

Für die Choreografie zeichnet Martina Rösler verantwortlich und Aslı Kışlal war dieses Mal mehr als ein „outside eye“ (dramaturgische Beratung) und wird intern als „inside eye“ beim „Staub-Schock“ bezeichnet.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „staub… a little mindblow*“

Auch Putzmittel „leben“

Übrigens dreht sich die – hoffentlich irgendwann irgendwo wieder aufgenommene – Produktion nicht nur um die Entstehung und das Wachstum von Staub-Objekten; aus zwei Kübeln scheint auch flüssiges Putzmittel als Schaum-Geburten ein Eigenleben zu entwickeln.

Nachhall

In der allseitigen Beleuchtung von Staub habe ich lediglich einen Brückenschlag zu einer der zentralen Figuren aus Cornelia Funkes Tintenwelt-Tetralogie, Staubfinger, vermisst. Durch (Vor-Lesen) verschwinden Figuren aus Büchern und landen in der wirklichen Welt. Was hingegen in der Performance in weiten Teilen mitschwingt, ohne den Begriff zu nennen, ist dass wir selbst, ja unser ganzer Planet nichts anderes sind als ein winziges „Korn“ im Sternestaub des Universums.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „staub… a little mindblow*“

Jedenfalls hallt vieles aus den rund 1¼ Stunden derart nach, dass einfaches Staub-wischen oder -saugen kaum mehr möglich ist, ohne den einen oder anderen (schrägen) Gedanken aus „staub… a little mindblow*“ zu wälzen. Womit diese meist lästige Tätigkeit immerhin eine neue Dimension kriegt 😉

kijuku_heinz

Szenenfoto aus (Gehäuse): Aurum von "Spitzwegerich" im Theater am Werk/Petersplatz

Graben bis zu historischen Wurzeln des „goldenen“ Etablissements

Zum vierten und nun abschließenden Mal lässt sich das Theaterkollektiv „Spitzwegerich“ wie schon bei den vorangegangenen vom jeweiligen Raum zu den Geschichten und Szenen inspirieren. (Gehäuse) nannte/nennt sich die Serie. Waren’s im ersten „Gehäuse“, einer ehemaligen Parfümerie Gerüche, später in einer einstigen Hand-Web-Teppich-Produktionsstätte Arbeit und „Verweben“, beim „Hin & weg“-Festival in Litschau (NÖ) Graben und Wasser, so wird’s dieses Mal „goldig“ einer- und sozusagen „unterweltlerisch“ andererseits.

Szenenfoto aus (Gehäuse): Aurum von
Szenenfoto aus (Gehäuse): Aurum von „Spitzwegerich“ im Theater am Werk/Petersplatz

„(Gehäuse): Aurum“ (lateinisch für Gold) spielt sich in der Spielstätte Petersplatz von „Theater am Werk“ ab (es gibt auch das in Meidling, am Gelände des ehemaligen Kabelwerks). An der vorvorigen Jahrhundertwende – vom 19. zum 20. – beherbergten die heutigen Theaterräume, in denen davor ein Jazzklub war, ein „Vergnügungs-Etablissement“ mit dem Titel Eldorado (El Dorado aus dem Spanischen: Der Goldene). Neben jungen „Nixen“ eines Nachtclubs boten die Besitzer offenbar auch einige menschliche Attraktionen an, wie sie auf Jahrmärkten gang und gäbe waren, sozusagen Menschen-Zoos, hier „kleinster Mann“ und Frau mit den längsten Haaren der Welt.

Szenenfoto aus (Gehäuse): Aurum von
Szenenfoto aus (Gehäuse): Aurum von „Spitzwegerich“ im Theater am Werk/Petersplatz

Zeitungs-Inserate

Bei der Recherche zu dem Ort stießen die Theaterleute als einzige Quelle auf Zeitungsinserate, in denen genau die beiden letztgenannten auftraten. Den „kleinsten Mann“ lässt hier die Figurenbauerin und -spielerin Rebekah Wild schon vor Beginn des Stationentheaters im Foyer immer wieder – in einer Bauchladenbühne – auftreten. Perfekt stolziert das Püppchen gesteuert von ihren Händen in dieser Manege. Gegen Ende der gesamten Performance (ca. 70 Minuten) im komplett umgebauten großen Theaterraum führt Rebekah Wild den Kleinen an der Oberkante einer Wand mal gehend, mal laufend, mal den Kopf verlierend derart gekonnt, dass selbst aus dem entferntesten Winkel jede einzelne Bewegung rund und gut sichtbar zu erkennen ist.

Emmy Steiner schlüpft unter eine 1,80 Meter lange grüne Perücke – mit Stock von der Schulter aus in die Höhe gehalten, um die genannte Attraktion in verschiedenen der Stationen zu spielen. Am Ende hat sie darüber noch eine zweite solche Perücke, die Simon Dietersdorfer in der Schlussszene übergestülpt kriegt, wo sich beide in „Pools“ als Wasserfrau und-mann niederlassen.

Pool

Denn einen solchen, noch dazu riesigen, Pool soll es hier im „goldenen“ Vergnügungstempel – den Anzeigen nach – gegeben haben. Er ist aber auch eine Erinnerung an (Gehäuse) 3 und den See in Litschau. Von wo „Spitzwegerich“ eine riesige Wassermann/frau-Puppe, die nur von drei bzw. vier Leuten an Stäben schwebend bewegt werden kann, hierher gebracht haben. Denn diese letzte Etappe ist auch als Vereinigung der vorherigen gedacht (Text: Franziska Füchsl, Natascha Gangl, Max Höfler; Choreographie: Martina Rösler, Emmy Steiner; Dramaturgie: Birgit Kellner, Alexandra Millner).

Während die letzte Station – an diesem Abend – wie schon erwähnt als einzige für alle gemeinsam im großen Saal stattfindet, steigen die anderen in Nebenräumen, Garderobe, Werkstatt, Bar bzw. eine gar im Keller. Roh und unbehauene Ziegelwände, im Hintergrund eine fast „zerbröselnde“ metallene Wendeltreppe, in einer Ecke hängt dafür eine Disco-Kugel. Davor heizt der Eldorado-Co-Besitzer und vormalige Blutwurstverkäufer Johann Bistricky (Simon Dietersdorfer) als DJ ein.

Wander-Klarinette

Ein besonderes Erlebnis ist unter anderem die wandelnde Riesenklarinette (Reminiszenz an den Jazzclub von Fatty George alias Franz Georg Pressler), in der Lisa Furtner steckt. Für bitterbösen Humor sorgt ein „Gehirn“, das sich in eine Art sprechenden Wurm verwandelt und später irgendwie ferngesteuert – oder aufgezogen (?) – über den Boden düst – „künstliche Intelligenz“? Die menschlichen Gegenübers in der „Hirn“-Szene sind die Frau mit den langen Haaren und jene mit der Taucherkugel um den Kopf (Flora Valentina Besenbäck, die mit Felix Huber, Birgit Kellner, Christian Schlechter und Rebekah Wild auch für die aufwendige Ausstattung der Produktion zuständig ist).

Gitarren-Wedel

Die Performances in den verschiedenen Räumen werden immer wieder von Musik begleitet, untermalt (Komposition und Live-Musik: Simon Dietersdorfer, Manfred Engelmayr, Anna Clare Hauf). Nicht nur hörens- sondern vor allem sehenswert, wie „Fredl“ (Engelmyer) die E-Gitarre mit einem Feder-Wedel spielt oder später aus ihr ein Schlaginstrument macht.

Ein vergnüglicher „goldiger“ Abend mit echten – und auch fiktiven – Einblicken in die Geschichte dieses heutigen Theaterorts.

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Szenenfoto aus (Gehäuse) G'Spinst

Philosophisch-poetischer Text verwoben mit Musik, Puppenspiel und KI

Philosophisch-poetische Gedanken zu Arbeit – und Vernetzung – deklamiert bis sie – in Kombination mit live erzeugter Musik und ebensolchen Geräuschen wie im Klang einer Maschine „verschwinden“ – das erleben jeweils wenige Zuschauer:innen (der Platz ist sehr begrenzt) in „(GEHÄUSE) G’Spinst“ der Gruppe „spitzwegerich“.

Am Ende der Sackgasse, knapp vor dem Eingang zu einem – in dieser Gegend ganz schön großen Park (Alois Drasche) findet sich einer der wenigen in der Stadt noch anzutreffenden Rollbalken. Das Schild darüber deutet auf eine alte Hand-Webe-Teppiche-Produktionsstätte eines gewissen Jakob Himmelspach. Seit Jahren ist es Werkstatt für Künstler:innen der genannten Gruppe und an zwei Tagen auch Spielort dieser – in Kooperation mit anderen Kunstschaffenden – oben genannten und kurz beschriebenen Performance. Die ist wiederum Teil eines Zyklusses unter dem Übertitel (Gehäuse). Der jeweilige Ort gibt sozusagen das Thema vor. Waren’s bei „Eau-O“ in einer ehemaligen Parfumerie Gerüche, so ist es hier Arbeit.

Größer und weiter denken

Autorin Natascha Gangl hatte dafür einen ihrer oft sehr assoziativen Texte verfasst, der ausgehend von dem Raum einen viel größeren eröffnet, der tiefgründig und weitreichend grundsätzliche Dimensionen von Arbeit thematisiert oder wenigstens da und dort antippt – durchaus zum eigenen Weiterdenken danach anregt. Während ihn Anna Hauf performativ rezitiert, mitunter in einer Art Maschinengeräusch übergehen lässt, werden Stoff-Streifen zerrissen, ertönen Klänge aus einer Mini-Drehorgel (Spieluhr). Parallel stanzt Manfred Engelmayr einen Lochstreifen für das kleine Instrument. Und der Text dreht sich um Lochkarten für Webstühle – sozusagen Vorläufer für automatisierte, computergesteuerte Maschinen. Und in Punktschrift wird das Wort Loch in Großbuchstaben an die Wand projiziert. Gleich daneben wiederum befüllt Christian Schlechter mit einer gelblichen Flüssigkeit einige Blasen einer riesigen Luftpolsterfolie so, dass sich nach und nach die Buchstaben URL ergeben (Uniform Resource Locator – Website-Adresse). Um in der nächsten „Zeile“ um AUB ergänzt zu werden ;). Einige der Text-Passagen schallen – teils durch ein Megaphon – auf Spanisch von Norma Espejel.

Einbau von KI-Text

Nach einer Puppenspiel-Einlage mit den Ebenbildern auf Hampelfrauen und -männern aller am Projekt beteiligten Künstler:innen, die an Fäden gezogen einen an der Wand hängenden 2D-Tanz vollführen, bemachen wollige (Blut-)Egel die Rezitatorin bevor eine neue Dimension der Performance eröffnet wird. Die Autorin hat – das wird transparent gemacht – von einer der derzeit gehypten Künstlichen Intelligenzen gebeten: „Schreib mir einen Theatertext im Stil von Natascha Gangl (also ihrem eigenen) über Jakob Himmelspach (den einstigen Werkstatt-Herren hier).

Und dieser – in den die KI auch die Autorin als Figur einbaut, die in einer Art Zeitreise den alten Webermeister trifft – wird als Mini-Figurentheater in einer Miniatur-Guckkastenbühne mit fast einem Dutzend Kulissen-Ebenen gespielt. Und die KI baut sich auch gleich selbst ein, denn sie textete u.a. „Jakob Himmelspach schuf eine Zukunft, in der die Textilherstellung durch die Automatisierung modernisiert und verbessert wurde. … Und nicht nur das. Jakob Himmelspachs Innovationen dienten als Inspiration für die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz…“

Gewebe

Die Betrachtungen zu „Arbeit“ einerseits und dem Dialog zwischen Performer:innen und Publikum rundet – diesmal die menschlichen – Autorin mit den Sätzen ab: „Meine Arbeit heißt: Euch Eure Arbeit vergessen zu lassen und ein Gewebe in Zeit und Raum herzustellen, das Euch herausfischt aus Eurer Routine oder Eurem Marathon. Ein Gewebe, das uns auffängt, gemeinsam jetzt hier.“

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