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Szenenfoto aus "Zucht Neue Zeiten brauchen neue Körper"

Aus dem Gemälde ausbrechen – aber wohin?

Erst als alle sitzen geht das Licht im davor komplett dunklen Saal an, die vier Schauspielerinnen stehen, sitzen, liegen wie hingemalt. Lisa Oberleitner, die Einzige, die steht, beginnt als einzige zu sprechen. Erzählt, dass sie eben alle aus einem Gemälde seien. Oder sich in einem solchen befinden. Inspiriert von Claude Monets „Frühstück im Grünen“, das sie nicht 1:1 nachstellen (das sagt sie nicht), fühle sie sich doch ein wenig langweilig. Immer starr stehen zu müssen, in die gleiche Richtung zu schauen … befürchte auch, dass diejenigen, die sie anschauen sich fadisieren könnten…

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Zucht Neue Zeiten brauchen neue Körper“

So startet das – nach jahrelanger Pause wiederaufgenommene Stück „Zucht – Neue Zeiten brauchen neue Körper“ des Grazer Jugendtheaters taO! (Theater am Ortweinplatz), das derzeit ein Gastspiel im Wiener Off-Theater gibt. Nach der eingangs geschilderten Szene: Black. Licht. Alles sieht gleich aus. Fast. Der Wechsel zwischen finster und hell wiederholt sich fast ¼ Stunde lang. Bei genauerem Hinschauen sind Veränderungen zu bemerken, manchmal kleine, dann wieder größere. Sehr oft mit Kleidertausch oder -wechsel. Blitzschnell (da steckt ein Trick dahinter!)

„Pumpen“

Irgendwann beginnen nach einem Black die vier Schauspielerinnen – neben der genannten noch Carmen Schabler, Maria Prettenhofer und Anna Weber – aus dem Bild zu treten. Und dann ganz kräftig sehr körperlich zu performen, zu „pumpen“, ihre Körper zu „optimieren“, auf voll sportlich durchtrainiert. Immer wieder kehren sie ins Gemälde zurück. Aber auch davor und rundherum verfallen die vier regelmäßig von Bewegungen in Standbilder – mit unterschiedlichen eingeblendeten Übertiteln – von Shopping-Mädchen bis zu Soldatinnen. Anspielungen auf Krieg gibt es mehrere in diesen Szenen der (Selbst-)Optimierung zu Kampfmaschinen. Und den Bogen zu ebensolchen auch für den alltäglichen Kampf im Konsumismus.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Zucht Neue Zeiten brauchen neue Körper“

Gleich und anders

Wieder einmal zurück im „Gemälde“ philosophieren sie über Gleich und Anders: Ab wann werden aus gleichen Dingen doch unterschiedliche. Und wie ist das, wenn trotz gleicher Äußerlichkeit sich das innere Gefühl ändert – sind sie dann trotzdem anders?

Trotz aller körperlicher Optimierung und tiefschürfender Reflexion irgendwas fehlt, meinen die vier. Irgendwas spüren wollen sie. So wie so manch Jugendliche sich ritzen, um doch etwas zu empfinden, bettelt erst die besonders drahtige Anna Weber, die bei den „Pump“-Standbildern fast jeden einzelnen Muskel zur Geltung bringt, um eine Watsch’n.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Zucht Neue Zeiten brauchen neue Körper“

Etwas spüren wollen

Zögerlich, fast widerwillig kriegt sie dann auch solche. Echte, keine gefakten Bühnen-Ohrfeigen. Da klatscht es richtig auf den Wangen. Nur kurz, denn die Rollen wechseln: Lisa Oberleitner wird von einer Mitspielerin gehalten, die beiden anderen kleschen links und rechts auf ihre Wangen ein. Ihr kommen Tränen – echte. Dennoch verneint sie die Fragen, ob’s weh tut. Unerträglich zum Zuschauen, allein das Geräusch tut beim Wegschauen weh. Muss auch den Zuschlagenden weh tun.

„Das war aber keine Vorgabe von der Regie“ (Miriam Schmid und Simon Windisch), sagen mehrere der Schauspielerinnen zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… „das hat sich aus den Proben so ergeben, natürlich ist es sehr hart auch für uns, die hinhauen.“ Und die Geschlagene meint: „Bei den Proben hat sich herausgestellt, dass ich leicht wirklich zum Weinen gebracht werden kann. Wir haben dann einiges ausprobiert. Und bei Aufführungen ist es ganz unterschiedlich: Manche Leute müssen sogar rausgehen.“

Weniger offensichtlich, aber um nichts weniger brutal eines der jahrzehntelang gesungenen und gespielten Lieder von einem „schwarzbraunen Mädel“ und ihrer Vergewaltigung durch einen Unteroffizier.

Heftig und doch oder gerade auch deswegen sehens- und erlebenswert diese 1 ¼ Stunden des Gastspiels aus Graz. Alle vier Darstellerinnen kommen aus den einstigen Jugend-Werkstätten des Theaters am Ortweinplatz und sind aber ganz andere Studienwege gegangen, haben aber für diese Aufführungen wieder zusammengefunden und bringen nach ganz wenigen Wiederaufnahmeproben dieses extrem körperbetonte, exakte Spiel auf die Wiener Bühne.

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Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Zucht Neue Zeiten brauchen neue Körper“
Szenenfoto aus "Audienz"

Einlassen auf einen Strudel, der abwärts zieht

KiJuKU: Frau Braumeisterin, wie bist du zu dieser Rolle gekommen und was ist für dich das Spannende an ihr?
Alexandra Schmidt (spielt die Braumeisterin): Zur Rolle bin ich gekommen, weil wir alle gemeinsam studieren und ich Zeit gehabt habe. Ich hab dann das Stück gelesen und gedacht: Komisch, sind ja zwei Männer, bin ich dann die Bohdalová, aber die kommt ja gar nicht im Stück vor, auch wenn die beiden öfter über sie sprechen. Dann hat der Flo (Regisseur) gesagt, er würde mich als Braumeisterin statt des Braumeisters im Original besetzen. Das find ich sowieso schon interessant. Dadurch, dass ich eine Frau bin, macht das was Komplett anderes auf. Jetzt ist es eben eine Chefin und der Angestellte ist ein Mann.

KiJuKU: Was ist für dich das Spannende an der Rolle?
Alexandra Schmidt: Spannend an ihr finde ich, dass sie extrem ambivalent ist und sie viele Gesichter hat. Vor ihm muss sie diese Chefinnen-Position wahren, ist in dieser Position gefangen und teilweise bricht es auf, diese ihre Maske fällt. Dieses Hin und Her zwischen diesen Extremen find ich sehr spannend. Trotz dessen, dass sie so hart und verhärmt ist, hat sie dennoch verletzliche Seiten, die gezeigt werden.
Auch spannend ist, dass es eigentlich für sie eine ausweglose Situation ist. Der Vaněk ist für sie ein neuer Lichtblick, sie glaubt, dass er die Situation für sie verändern kann. Deshalb kämpft sie so darum, es ist schwierig, ihm das zu erklären. Außerdem weiß sie gar nicht, ob sie ihm vertrauen kann. Deshalb dauert das Gespräch auch so lang, sie muss erst einmal ab-checken, was der weiß und wo der dazugehört.

Bis zur Auflösung

KiJuKU: Ja, Vaněk, das heißt, Nico, wie ist das für dich, diesen Vaněk zu spielen – unter anderem, weil der anfangs immer wieder sagt, er mag kein Bier und dann muss er dauernd trinken. Und auf einem Abschiebe-Posten werkt als regimekritischer Theater-Autor in der Brauerei im Lager arbeiten muss/ „darf“?
Nico Dorigatti (spielt Vaněk): Das Spannende an der Figur in dieser Situation ist, dass er aus dieser ausweglosen Lage, aus dieser Sackgasse in der er sich zu Beginn des Stückes befindet, zunehmend in einen Strudel der Desorientierung hineingezogen wird. Auch wie wir das sehr körperlich spielen, wo ich ja wirklich dann nur mehr rund um den Tisch schlittere, weil der Boden so nass ist von dem vielen verschütteten Bier.

Es ist diese völlige Machtlosigkeit gegenüber dem System. Das Wunderbare an diesem Stück ist auch, dass es sich nur in einem Raum abspielt und doch so große universale Räume geöffnet werden. Man hat nicht das Gefühl, dass ist nur ein Gespräch zwischen zwei Personen an einem Tisch. Es ist ein freier Fall in einen bodenlosen Schlund aus Machtlosigkeit und Verzweiflung, Sehnsucht. Dazu kommt noch der für diese Figur ungewohnte Alkoholkonsum, der fast zu einer Auflösung dieser Figur, des eigenen Ich und einem sich in all dem Verlieren führt.

Spannend ist dann aber, dass sich die Figur am Ende trotzdem entscheiden muss, ob sie zu den eigenen Werten steht oder diesem Sog vollends nachzugeben. Das ist für mich der Punkt, worauf dieses Stück hinausläuft.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Audienz“

Reinfallen lassen

KiJuKU: Wie schwierig ist es – auch wenn es „nur“ alkoholfreies Bier ist, so Unmengen in sich hinein zu schütten, damit herumzuspucken, -spritzen, sich selber voll zu schütten. Alles ist nass, rutschig, pickig, grauslich?
Nico Dorigatti (spielt Vaněk): Ich hab die Erfahrung gemacht, du musst einmal damit anfangen. Ab da entwickelt sich dieser Strudel, es passiert alles so schnell, es folgt alles Schlag auf Schlag. Es macht ja auch mit einem selber etwas als Schauspieler, wenn du völlig durchnässt bist, innen und außen alles nach Bier stinkt. Bei mir verkleben immer die Augen. Du kannst nicht mehr gehen, du wirst erschöpft, es tut alles weh durch diese Stürze. Es entwickelt eine ganz starke Dynamik, die einen als Schauspieler UND als Figur da hineinzieht, vollkommen verwurstet, herumschleudert.
Alexandra Schmidt: Und es hilft das Trinken auch, find ich. Auch wenn es alkoholfrei ist, kann man sich trotzdem reinfallen lassen in das Gefühl, immer alkoholisierter zu werden und damit andere Emotionen zeigt, anders spricht. Wie’s halt im echten Leben oft auch ist, dass man was sagt, was man nicht wirklich wollte. Oder, es zeigen sich halt andere Gesichter. Man kann sich dadurch noch lichter reinkippen lassen.
Nico Dorigatti: Wenn alles grauslich ist, senkt das auch die Hemmschwelle, was man machen kann. Wenn eh beide Personen völlig versaut und nass sind, sinkt die Schwelle dessen, was man miteinander machen kann.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Audienz“

Musik und Licht helfen

KiJuKU: Du spielst die nur selten auftretende Schauspielerin Bohdalová, die dem Vaněk sozusagen mehrmals im Wachtraum erscheint. Wie ist es so lange immer hinter oder neben der Bühne warten zu müssen, bis du dran bist, dann auf zack präsent sein zu müssen und in eine fremde Welt einzutauchen?
Sophie Borchhardt: Das Warten fühlt sich gar nicht so lang an, weil du trotzdem die ganze Zeit natürlich dabei und wach sein musst. Die Energie ist dann klarerweise voll da. Für meine Rolle helfen natürlich die Musik und das Licht. Dadurch merkt sie, dass sie sich da in einer anderen Welt bewegt und trotzdem mit Vaněk in Kontakt tritt, eigentlich auch mit der Braumeisterin, auch wenn diese sie nie wahrnimmt.
Sie ist im Stück ja nicht vorgesehen. Flo hat sie als diesen Geist der Erinnerung, diesen Traum an die Zeit an das freiere künstlerische Leben und den Ruhm eingebaut. Durch ihr Erscheinen hilft sie ihm immer wieder, sich aufzurichten. Und ihm in manchen Übergängen auch die Szene baut. Sie stellt die beiden zueinander oder am Ende, wenn sie die Sessel wieder auf Ausgangsposition bringt, eine neuerliche – sozusagen: Jetzt hast du einen zweiten Versuch, mach’s jetzt besser.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Audienz“

Zum Theater, zur Schauspielerei

Alexandra Schmid: Ich hab im taO, dem Theater am Ortweinplatz angefangen und schon voll früh gewusst, ich will das machen. Ich war dann in dem Kollektiv Planenteparty Prinzip…
KiJuKU: Dann hab ich dich sicher schon auf der Bühne und in Aktion in den Simulationsspielen erlebt?
Alexandra Schmid: Wir haben uns schon voll oft gesehen…
KiJuKU: Das ist mir jetzt urpeinlich, dass ich dich nicht erkannt hab…
Alexandra Schmid: Kein Thema, das war ja noch im Jugendtheater und schon lange, mehr als zehn Jahre her. Dann hab ich ein paar Filme gemacht und jetzt, voll spät, bin ich auf der Schauspielschule gnommen word’n. Jetzt studier ich Schauspiel und das ist voll cool.

Nico Dorigatti: ich bin da in Wr. Neustadt in die Schule gegangen, ins Gymnasium Babenberger Ring. Und ich hab dort, nein schon früher, in der Volksschule, die ersten Theatererfahrungen gesammelt und gemerkt, dass mir das taugt. Ich hab aber nie einen Gedanken daran verschwendet, das beruflich zu machen, weil in diesen Kreisen nicht diese Möglichkeit gefördert wurde. Aber nebenbei hab ich’s immer gemacht, es hat mich interessiert. Am Ende meiner Schulzeit hab ich begonnen, selber zu inszenieren hier in Wr. Neustadt, hab dann einige Jahre hier im Neukloster gespielt. Nach meiner Matura und dem Zivildienst hab ich mir gesagt: Gut, einmal muss ich’s versuchen, mich an einer Schauspielschule zu bewerben und es hat dann gleich beim ersten Versuch am Max-Reinhardt-Seminar geklappt.

Sophie Borchhardt: Bei mir war’s so, dass ich schon al kleines Kind gern mit meinen Schwestern verschiedene Rollen gespielt habe. Aber mehr verfolgt hab ich’s nicht, hatte auch andere große Leidenschaften wie das Reiten oder… na eigentlich das Reiten und die Natur. Dann bin ich von Wien aufs Land gezogen, nach Klagenfurt und dann hatte ich das nicht mehr am Schirm. Dann mit 15 wurde ich in der Schule spontan gefragt, ob ich Lust hätte, für eine kurze Szenen auf den Tisch zu springen und zu tanzen. Ich hab beschlossen, was hab ich zu verlieren und zugestimmt. Und so hab ich dann angefangen, Theater zu spielen, dann war eine längere Pause, es kam ja auch Corona. Nach der Matura hab ich’s probiert und bin jetzt am Max-Reinhardt-Seminar. Und so schließt sich der Kreis, weil ich hier in meinem ersten Stück ja in einer Szene auch auf dem Tisch tanze.

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