Kinder Jugend Kultur und mehr - Logo
Kinder Jugend Kultur Und mehr...
Szenenfoto aus "Maria Stuart" im TAG (Wien)

Rote Karten, Abseits und andere Regeln im Königinnen-Drama

Jeder Schritt, jeder Blick, jede Geste, jeder Ton – Michaela Kaspar strahlt unnahbare, kalte Autorität aus. Da muss sie nicht viel draufdrücken, nicht übertreiben. Sie herrscht – im weißen Hosenanzug – als englische Königin Elisabeth, die I frei nach Friedrich Schiller in Gernot Plass‘ Version im Theater An der Gumpendorfer Straße (Wien).

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Maria Stuart“ im TAG (Wien)

Ihr Gegenpart – Maria Stuart, Titelheldin des Königinnendramas – Lisa Schrammel viel nahbarer – schmachtet im Kerker. Zur Last gelegt wird ihr als Königin von Schottland an der Ermordung ihres zweiten Ehemanns beteiligt gewesen zu sein, in Wahrheit allerdings dürfte sie eher eingesperrt sein, weil Elisabeth fürchtet, ihre nahe Verwandte könnte den englischen Thron beanspruchen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Maria Stuart“ im TAG (Wien)

Fußball

Das sehr oft gespielte klassische Königinnen-Drama wird von Plass in eine verständlichere Sprache geholt, stringent und sehr gediegen inszeniert und mit einer immer wieder auftauchenden Geschichte der Entwicklung des modernen Fußballs verknüpft. Der Kulturkampf zwischen Frankreich und England läuft als Match – ohne es zu spielen – aber mit Ball, Pokal, Wimpel und Gespräche rund um Spiel und vor allem Regeln – die entstehen während der zwei kurzweiligen Stunden sozusagen nach und nach – mit einem späten scheinbaren, bewussten Missverständnis: „Wir brauchen mehr Richter“ bezieht sich dann nicht auf den Prozess gegen Maria Stuart, sondern auf den Kick und die Präzisierung „Linienrichter“.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Maria Stuart“ im TAG (Wien)

Im Programmheftchen erläutert der Stück-Autor, Regisseur und künstlerische Leiter des TAG den Zusammenhang zwischen dem Wirken der „jungfräulichen“ Killer-Queen und dem Fußball. England damals – Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts – matchte sich mit Spanien um Hoheit auf internationalen Meeren – und eroberte Länder. Mit einem erbeuteten spanischen Segelschiff sollen die Engländer auch einen mittelamerikanischen Einwohner gefangengenommen, der das Ballspiel der Azteken (ollamalizitli – für jagen und Gefangene machen) sozusagen nach England brachte. Beim noch älteren Ball-Spiel der Maya, einer kultischen Handlung, ging es übrigens gleich um Leben oder Tod!

Und da es im Konflikt der beiden (Ex-)Herrscherinnen, die nicht zimperlich sind, auch um Religion – Katholizismus vs. Protestantismus – geht, findet sich ja noch ein Anklang zu Fußball, wo manche ihre Vereine ja für Religion halten.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Maria Stuart“ im TAG (Wien)

Flexible Box

Der schmutzig-rote Kasten muss nur einen Halbkreis gedreht werden, um aus dem Gefängnis einen Thronsaal zu machen (Ausstattung: Alexandra Burgstaller). Zwischen den beiden Gegnerinnen tummeln sich vor allem Elisabeths Berater – von intrigant bis opportunistisch: Jens Claßen als Burley sieht sich sozusagen als DIE Instanz, Betreiber des Todesurteils für Maria, Talbot (Georg Schubert) ist der Abwägende, der Bedenken äußert, ob das Zustandekommen des Urteils auch wirklich rechtsstaatlichen Prinzipien entspricht und Leicester (Markus Hamele) als „Schoßhündchen“ wäre gern Liebhaber der Königin – aber welcher? Agent der Maria versucht er der Enttarnung durch eine vorgebliche oder vielleicht auch selbst geglaubte Doppelagentenrolle zu entkommen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Maria Stuart“ im TAG (Wien)

Spionage

Apropos spionieren – nein Österreicher für Russland wird nicht angesprochen/ angespielt – als Doppel-Null entpuppt sich Mortimer (Raphael Nicholas), Neffe von Paulet (David Fuchs), der die gefangene schottische Ex-Königin bewachen soll. Zu beiden starken Frauen, Königin die eine, die andere mit „Ex“ davor und nunmehr Gefangene, gelingt es Morty  – trotz anfänglicher großer Skepsis – doch rasch intensives Vertrauen aufzubauen. Und wird von einem der Elisabeth-Adlaten geopfert, damit dieser den Kopf aus der eigenen Schlinge ziehen kann.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Maria Stuart“ im TAG (Wien)

Apropos aus der Schlinge ziehen – als „Liz“ erfährt, dass es im Prozess gegen ihre vermeintliche Rivalin nicht ganz fair zugegangen sei, Zeugen gefoltert worden waren, um gegen Maria auszusagen, versucht sie sich abzuputzen. Sie habe das Todesurteil zwar unterschrieben, es ihrem Sekretär Davison (Emese Fay) zwar in die Hand gedrückt, aber nicht aufgetragen, es weiterzugeben auf dass es vollstreckt werde… Wo sie zur Verantwortung gezogen werden könnte, da zeigt die König auf einmal Schwäche…

Follow@kiJuKUheinz

Szenenfoto aus "Höllenangst - No Enlightenment please!" im TAG (Wien)

Posse um die Angst vor der Aufklärung

Umgeben von drei Wänden mit unzählbaren grünen Oen und 1ern auf schwarzem Hintergrund spielt sich im TAG, dem Theater an der Gumpendorfer Straße in Wien das Nestroy’sche bitterböse satirische Stück „Höllenangst“ in einer Überschreibung (Text und Regie: Bernd Liepold-Mosser) ab – mit dem Zusatztitel „No enlightenment please!“ (also keine Aufklärung). Die Kritik am kriminellen Geschäftemacher Stromberg (Jens Claßen), der seine Nichte Adele (Lisa Schrammel, die dann auch ihre eigene Zofe Rosalie spielt) um deren Erbe bringen möchte und dafür deren aufrichtigen anderen Onkel Reichthal (Georg Schubert, gestylt als wäre er dem einen oder anderen Gott-Gemälde entstiegen) hinter Gitter bringt, findet sozusagen im digitalen Zeitalter ab.

In einem früheren Stadium des binären Code-Systems irgendwie. Die grünen Ziffern auf schwarzem Hintergrund erinnern an Computergenerationen des vorigen Jahrhunderts, das Setting postuliert einen aktuelleren Zeitraum, pendelt das Geschehen doch zwischen realer, analoger und digitaler, virtueller Welt. In dieser scheint der rettende Held Wendelin (Andreas Gaida) fast als Kämpfer gegen Windmühlen und Verschwörungstheorien, verbündet sich scheinbar mit dem Teufel, hier stets als Windows-Mann tituliert.

Die Nestroy’schen Couplets gibt’s hier als eigene, neugeschriebene Songs – meist im Duett eines wechselnden Solisten/einer Solistin mit den anderen Ensemble-Mitgliedern (neben den schon genannten noch Petra Strasser und Emanuel Fellmer). Die Texte und Songs pendeln zwischen einer Art Kärntnertlied und Protestsong. Thematisch spannen sie den Bogen vom Erheben über den Durchschnitt, über kein-Opfer-sein-wollen, Parallel-Universum bis zur Anklage „Des System måcht uns krånk“. Musikalisch begleitet werden nicht nur die Songs von Oliver Welter, dem Gitarristen der Band „Naked Lunch“, vielleicht DEM Überraschungs-Highlight des Abends.

Übrigens: Der Name des Bösewichts aus „Höllenangst“ hat sich schon lange sozusagen verselbstständigt, unter anderem geisterte Stromberg als Titelfigur fast ein Jahrzehnt in einer TV-Comedy-Serie als windiger Versicherungsheini über die Bildschirme.

Follow@kiJuKUheinz