„Zitronen Zitronen Zitronen“ – ein Stück des Schauspielhauses Graz beim Dramatiker:innen-Festival über Zensur, Umgehungsversuche, Stille, nonverbale Kommunikation und Beziehungen.
„Zitronen Zitronen Zitronen“ – ein Stück des Schauspielhauses Graz beim Dramatiker:innen-Festival über Zensur, Umgehungsversuche, Stille, nonverbale Kommunikation und Beziehungen.
Ein fast intimer Rahmen. Die beiden Schauspielerinnen still, einander innig verbunden auf einem Bühnenstreifen zwischen dem Publikum, das ein-reihig nahe am Geschehen sitzt. Die Bühne auf der einen Schmal-Seite begrenzt von großen, dunklen, rohen unbehauenen Steinen – die sich später als Schaumstoff herausstellen und auf der anderen von einem alten, halbhohen hölzernen Küchenkastl (Konzept und Entwurf: Eva Sol, Ausführung – und Kostüme: Philipp Glanzner).
„Nichts“ als Herzschläge zunächst zu hören. Dann Musik (Mihai-Constantin Codrea, Sânziana-Cristina Dobrovicescu). Cut.
„34, 21, Zeug, Yeah …“ Olivia (Maximiliane Haß) und Bernadette (Katrija Lehmann) beginnen zu reden. Knapp. Oft eben in wie die ersten Äußerungen zeigen in Zahlen. Dabei dürften sie jetzt noch mehr reden. Tun das auch noch ein wenig. Der zentrale Plot von „Zitronen Zitronen Zitronen“ von Sam Steiner (aus dem Englischen von Stefan Wipplinger). Ein neues Gesetz beschränkt alle Menschen darauf, mit 140 Wörtern pro Tag auskommen zu müssen. Eine Zahl, die wahrscheinlich nicht zufällig gewählt ist. In den Anfangszeiten von Twitter waren Tweets auf 140 Zeichen begrenzt; übrigens hieß der Dienst in der frühesten Phase (2006) nur twttr.
Während die prekäre Künstlerin Olivia zu einer der wichtigsten Aktivist:innen gegen das drohende neue Gesetz wird und Demos organisiert, hält sich ihre Lebensgefährtin Bernadette da lange sehr zurück. Immerhin sieht sie als Juristin mögliche Aufgaben in der Kanzlei, in der sie stundenweise tätig ist: Tüfteln an Ausnahmeregeln und/oder -genehmigungen.
Die unterschiedliche bis teils widersprüchliche Haltung zu dieser Einschränkung der Meinungsfreiheit, das Ersinnen, wie Kommunikation unter den begrenzten Bedingungen doch möglich ist, auf welche (Füll-)Wörter verzichten werden kann ist aber nur eine der Ebenen des Stücks (Regie: Anne Mulleners). Sie finden unter anderem das Umgehungsmittel wie an so manchen Tagen Wörter zu sparen, um sie später lossprudeln zu lassen, Abkürzungen oder eben wie schon hier weiter oben, Zahlen zu verwenden. Von letzteren scheinen die beiden Protagonistinnen die Bedeutung zu kennen, wenngleich mitunter die gesprochenen Zahlen nicht übereinstimmen mit jenen am Monitor für die englische Untertitelung eingeblendeten. Das Publikum versteht aber wenigstens den Zweck.
Verbale Kommunikation auf Kurzform – wie sie längst aus Social-Media-kommunikation bekannt und da oft viel reduzierter ist mit Abkürzungen und Emoijis – ist aber „nur“ eine, die vielleicht vordergründige Ebene der Beziehung der beiden Protagonistinnen. Die nonverbale – wie sie im Alltagsleben mindestens genauso wichtig ist – wird hier häufig ausgespielt. Ihr Beziehungsstatus ist nicht selten schon zu sehen und spüren bevor sie auch nur etwas sagen. Samt Auf und Ab jeder anderen Beziehung mit Gefühlen des nicht ausreichend beachtet, gehört zu werden, des sich schlechter/besser Fühlens, von Machtspielen, Eifersucht…
Und der – sozusagen zwischen den Zeilen – angespielten Frage, ob Stille auszuhalten ist und manches Mal Schweigen besser wäre als viel zu reden, ohne wirklich was zu sagen. „Die Regisseurin Anne Mulleners interessiert sich in ihrer Inszenierung des Stoffes nicht nur für die naheliegenden dystopischen Aspekte einer Beschränkung des Grundrechts auf Rede-freiheit, sondern auch für eine unerwartete Utopie der Stille“, formuliert es die Dramaturgin des Stücks, Franziska Beck im Programmzettel zum Stück.
Ebenso stößt das Stück natürlich die Frage an: Lassen wir uns alles gefallen, was Politik und noch viel mehr mächtige Konzerne vorgeben?
Compliance-Hinweis: KiJuKU wurde zur Berichterstattung über das Dramatiker:innen-Festival nach Graz eingeladen.
Von Sam Steiner
aus dem Englischen von Stefan Wipplinger
Regie: Anne Mulleners
Olivia: Maximiliane Haß
Bernadette: Katrija Lehmann
Konzept und Entwurf Bühne: Eva Sol
Kostüme und Ausführung Bühne: Philipp Glanzner
Komposition: Mihai-Constantin Codrea, Sânziana -Cristina Dobrovicescu
Dramaturgie: Franziska Betz