„Kids – eine dramatische Animation am Rande des Millenniums“ beim Dramatiker:innen-Festival in Graz.
Einladung zu einer Art erweiterter WG-Party mit Video-Schauen und Hintergrundmusik. Neben den Stühlen in U-Form befindet sich in der Mitte dieser Wohngemeinschaft ein großer Teppich mit Sitzpolstern, Knabbergebäck und Getränkedosen. So das Ambiente für „Kids – eine dramatische Animation am Rande des Millenniums“ im Theater am Lend im Rahmen des aktuellen, siebenten Dramatiker:innen-Festivals in Graz.
Links – vom Publikum aus gesehen – ein Stehpult aus Bierkisten, auf dem Notenständer darauf Textseiten. Rechts der Live-Musiker mit eBass und analogem Kontrabass. Dazwischen die große Projektionswand. Und zwischen Publikum und den genannten Akteuren ein jugendliches Paar, das sich laaaaangsam, eng umschlungen im Kreis dreht. Und das schon geraume Zeit bevor die zuvor genannten Künstler die Bühne betreten. Eingeblendet ein Countdown, der gut ¼ Stunde läuft. Erst dann beginnt der Textperformer aus seiner Jugend in den 90ern des vorigen Jahrhunderts zu erzählen. Könnte echt sein. Definitiv echt jedenfalls sind die Nachrichten aus der wirklichen Welt – vermittelt über alte „Tagesschau“-Ausschnitte (Nachrichten eines deutschen öffentlich-rechtlichen Senders).
Erste: Die Aufregung um den möglichen sogenannten Millenniums-Bug (Y2K), wonach befürchtet worden war, das (sämtliche) Computersystem mit der Jahrhundert- und diesmal gleichzeitig Jahrtausendumstellung verrückt spielen würden. War dann nix.
Später: Der – für die meisten – sehr überraschende Rücktritt des damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin samt Inthronisierung von Wladimir Putin als Nachfolger. Ausführlich ist Jelzins Rücktrittsrede zu hören und sehen – mit deutschen Übertiteln.
Die 90er, das waren hoffnungsvolle Zeiten sozusagen: Mauerfall, Ende des Kalten Krieges; Anmerkung: Ausgeblendet, dass es gleichzeitig mit dem kriegerischen Zerfall Jugoslawiens deutliche Anzeichen eines neu aufkommenden Nationalismus gab.
Der Abend „Kids – eine dramatische Animation am Rande des Millenniums“ (Drama Forum von uniT) wollte aber gar keine Geschichtsstunde sein, sondern ein wenig – oder mehr – das Lebensgefühl dieses Jahrzehnts in einem Teil Mitteleuropas vermitteln. Dazu diente die Kombination aus Texten (Pedro Martins Beja), die neben konkreter Schilderungen von Episoden, Gedanken in experimentellen Fragmenten mit der Live-Musik (Micha Kaplan) sowie filmischen Elementen (Video und Animation: Katharina Jabs) als eigenständige Elemente und doch ein gemeinsames atmosphärisches immer wieder auch sehr poetischen Ineinandergreifen ergaben. Dazu noch das schon erwähnte jugendliche Tanzpaar (Emily Kreuzer & Ennio Resnik), das einerseits so etwas wie eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart herstellt, andererseits durch das schier unglaubliche und damit auch so „nebenbei“ bewundernswerte deutlich mehr als einstündige gleichmäßige sich Drehen einen Ruhepol erzeugte aber auch wie die Zeiger einer Uhr dennoch das Fortschreiten der Zeit symbolisiert.
In den teils experimentellen Videoausschnitten fanden sich u.a. Ausschnitte aus einem Computerspiel mit Lara Croft sowie später einem Song von „Smashing Pumpkins“ in Karaoke-Version, in dem es zu Beginn heißt: „Nothing left to say/ And all I’ve left to do/ Is run away“ (Es gibt nichts mehr zu sagen/ Und alles, was ich noch tun muss/ Ist weggelaufen). Was einerseits an einer Episode des Texters anknüpft, dass er eigentlich gar nicht singen kann, aber so gern wollte und andererseits an Passagen über die Gefahr des Falls in tiefe Löcher… Nicht zuletzt erinnern diese Zeilen vielleicht auch an das berühmte Zituat des US-Politikwissenschafters und Autors Francis Fukuyama vom „Ende der Geschichte“ nach dem Zerfall der Sowjetunion und der mit ihr zwangsweise verbündeten Staaten. Und Jelzins Abschiedsrede, in der er u.a. den schlichten Satz sagt: „Ich gehe“.
Compliance-Hinweis: Das Dramatiker:innen-Festival in Graz hat Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… für drei Tage zur Berichterstattung eingeladen.
Drama Forum von uniT
Text: Pedro Martins Beja
Video und Animation: Katharina Jabs
Musik: Micha Kaplan
Performer:innen: Pedro Martins Beja (Text), Micha Kaplan (Live-Bass und -Kontrabass), Emily Kreuzer & Ennio Resnik (Live-Tanz)
Licht- und Tondesign: Ronny Priesching