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Szenenfoto aus "Wir haben versagt"
Szenenfoto aus "Wir haben versagt"
21.01.2025

Entblößte toxische Männlichkeit und Schaumschlägerei

Mansplaining, Zunge zeigen und Gebärdensprache: Lustvoller, spielfreudiger, (selbst-)ironischer und (selbst-)kritischer Umgang mit aktuellen politischen Entwicklungen vom aktionstheater ensemble.

Die große Politik mit dem persönlichen Leben zu verbinden und in vielen „kleinen“ Beispielen die großen Zusammenhänge sicht-, hör- und spürbar auf die Bühne zu bringen. Ohne groß zu dozieren. Und schon gar nicht mit erhobenen Zeigefingern. Auch jenseits von Schuldzuweisungen. Mit kräftigen Portionen Selbstkritik in Form von (Selbst-)Ironie. Und das voller Spielfreude und -Lust, sehr oft mit großartiger Musik, die mehr als Hintergrund oder Begleitung ist. Alles samt Anstößen zur (Selbst-)Reflexion auch des Publikums. Das sind die starken politisch-persönlichen Stücke des aktionstheater ensembles.

Bei „Wir haben versagt“ Spielserie erst Dornbirn dann Wien – mussten Ensemble und Regisseur angesichts der aktuellen österreichischen politischen Ereignisse mehrfach Szenen und Dialoge adaptieren. Die Grundgeschichte – Rechtsruck samt aus der Mottenkiste der Geschichte hervorgeholter sich wieder in den Vordergrund drängender toxischer Männlichkeit – hat sich aber „nur“ verstärkt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wir haben versagt“

Mansplaining

Und so tritt daraus folgend Thomas Kolle splitternackt in Power- und Siegerposen ins Rampenlicht. Selbst notdürftig angezogen drängt er sich selbst dann, wenn andere ihre Szenen haben in den Vordergrund. Oder zumindest meint er alles einschätzen, kommentieren zu müssen bzw. verweist er mit vordergründig lobenden Worten Mitspieler:innen an Auftrittsorte im Hintergrund.

Gebärden

Doch gekonnt konterkariert die dieses Mal besonders entfesselt anarchisch spielende Zeynep Alan sein Mansplaining – sei es mit Zunge zeigen oder mit durchaus derben Kommentaren. Allein, der Typ lässt sich davon nicht im Geringsten beeindrucken.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wir haben versagt“

Grandios und durchaus fast einzigartig in der österreichischen Theaterlandschaft spielt Monica Anna Cammerlander über weite Strecken ausschließlich in österreichischer Gebärdensprache. Sie übersetzt aber nicht nur ihre Mitspieler:innen, sondern liefert daneben auch eigenständige Aufritte – und widerspricht damit im Vordergrund mitten auf der Bühne den „Sagern“ und textlichen Einblendungen von Mitspielern, dass Monica angesichts des Rechtsrucks gar nichts mehr sagte. Auch wenn diese Aussage wohl auch dem Gefühl der Sprachlosigkeit angesichts diverser Wahlergebnisse der vergangenen Monate entspricht.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wir haben versagt“

Widerspruch

Als vielleicht offensichtlicher Widerspruch in sich tritt Benjamin Vanyek in Erscheinung. Erzählt von einem Artist in Residence-Aufenthalt in Sri Lanka – mit gleichzeitiger scheinbarer Welt-Offenheit und dennoch überheblichem eurozentristischen Gehabe.

Die vier Schauspieler:innen erhalten in vielen Szenen Verstärkung, Unterstützung, Gegenspiel von Danielle Pamp (Gesang) und Jean Philipp Oliver Viol alias YoucancallmeO (E-Gitarre und E-Geige). Letzterer spielt (Eigenkompositionen und berühmte arrangierte Leonard-Cohen-Songs) die allermeiste Zeit der rund 1¼-stündigen Performance in luftiger Höhe auf einer Art Baustellengerüst.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wir haben versagt“

Videos

Trump, Putin, Kim Jong Un, Kickl und Konsorten tauchen in Videos im Hintergrund immer wieder auf – und werden am Ende vom Video eines Schaumberges, der analog und real auf einem Podest im Bühnenhintergrund von Anfang an wabbert, überlagert (Bühne/Kostüme: Valerie Lutz; Video: Resa Lut; TikTok: Julius Hellrigl).

Berührend

Aktionstheater-ensemble-Aufführungen versprühen nicht nur trotz ihrer Ernsthaftigkeit viel Spielwitz und Humor, sie lassen sehr oft das eigene Publikum nicht außen vor – berühren, nicht selten auch nicht nur angenehm, weil die Performances als (An-)Klage immer wieder in kleinen und doch so großen Alltagsbeispielen, vermitteln: Wir alle, die für eine andere, offene, liberale, multikulturelle Gemein- sowie Gesellschaft eintreten, tun dies einerseits oft selbst nicht wirklich konsequent. Und vor allem oder genau dadurch können wir zu wenige andere Menschen davon überzeugen, so dass es überhaupt soweit kommen konnte, wie es jetzt ist.

Wiederaufnahme und Broadway

„Wir haben versagt“ – dann sicher mit einigen erforderlich werdenden Adaptionen – wird im Rahmen einer Trilogie in ca. einem Jahr wieder erst in Dornbirn (Spielboden) dann in Wien (Theater am Werk) zu erleben sein – gemeinsam mit dem Vorgängerstück „All about me – Kein Leben nach mir“ sowie dem nächsten Stück „Ragazzi del Mondo – nur eine Welt“ (Juni 2025) zu erleben sein.

Übrigens mit „All about me“ wurde das aktionstheater ensemble an den Broadway in New York (ATM Manhattan) eingeladen, wo im Oktober natürlich in englischer Sprache gespielt wird.

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Wir haben versagt

aktionstheater ensemble in Kooperation mit Theater am Werk (Wien) und Spielboden Dornbirn (Vorarlberg); ca. 1¼ Stunden

Konzept/Inszenierung: Martin Gruber
Text: Martin Gruber und Ensemble
Performance: Zeynep Alan, Monica Anna Cammerlander (Laut- und österreichische Gebärdensprache), Danielle Pamp, Thomas Kolle, Benjamin Vanyek sowie Jean Philipp Oliver Viol alias YoucancallmeO (E-Gitarre und E-Geige)
Dramaturgie: Martin Ojster
Bühne/Kostüme: Valerie Lutz
Video: Resa Lut
TikTok: Julius Hellrigl
Musik: Jean-Philipp Viol: Eigenkompositionen von YoucancallmeO sowie neu arrangierte Leonard-Cohen-Lieder: The Future, Dance me tot he End of Love, Everybody Knows, I fit be your will
Regieassistenz: Sanna Hufsky
aktionstheater.at