Zygmuś hat ständig Hunger, „sogar der Lebertran schmeckt“ ihm. Er ist ein Kind, arbeitet dennoch ständig in der Küche, spart das dabei verdiente Geld. Das war vor 100 Jahren in Polen. Doch statt – wie Kinder im Bildungscampus Heidemarie Lex-Nalis in Wien Simmering Montagvormittag logischerweise meinten, sich „dann so viel zu Essen kaufen, dass er satt wird“, kauft der Bub auf dem Markt „Am Tag der guten Tat“ einen lebendigen Fisch. Den kocht er nicht, brät ihn auch nicht, sondern bringt ihn in einem Kübel in den Fluss Weichsel, der durch die polnische Hauptstadt Warschau fließt und lässt den Fisch frei.
Dies ist eine der Episoden, die „Blumka“ in ihrem „Tagebuch“ über andere Kinder des Waisenhauses in der Krochmalna Straße 92 erzählt. Das heißt eigentlich erzählte die mehrfach preisgekrönte Gestalterin und Autorin von Kinderbüchern, Iwona Chmielewska vor fast eineinhalb Jahrzehnten diese in Worten und Bildern. 2011 erschien ihr Buch im polnischen Original, bald danach auch auf Deutsch: „Blumkas Tagebuch – Vom Leben in Janusz Korczaks Waisenhaus“, wo es im Folgejahr für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert war.
Illustriert hat Chmielewska ihre kurzen, prägnanten Abschnitte über Zygmuś, Reginka, Abramek, Hannah, Aaron, Pola, Szymek, Stasiek, Riwka, Chaim, Kiesel, dessen wirklichen Namen niemand kannte, und Blumka selbst mit auf alt gemachten Fotos, Zeichnungen und Collagen aus immer wieder linierten Heftseiten. Die Kinder, die sich die Autorin da ausgedacht hat – und für die es vielleicht unter den rund 200 Kindern in dem wirklichen Waisenhaus in Warschau Vorbilder gab, stehen für unterschiedlichste Schicksale und Persönlichkeiten. Wenngleich dort sicher kein Kind so hungern musste wie der eingangs beschriebene Zygmuś. Aber da sollte wohl eher das große Herz in noch so bitterer Armut hervorgehoben werden. Das Buch beschreibt aber auch Kinder, die aufs erste garstig und bösartig auftreten – doch durch die Zuwendung in diesem Heim sich ändern können.
Der zweite Teil des Buches ist dem Gründer und Leiter des Waisenhauses, Jansuz Korczak (eigentlich Henryk Goldszmit, 1878 oder 1879 – 7. August 1942 – im Nazi-Konzentrationslager Treblinka gemeinsam mit Kindern des Waisenhauses ermordet) gewidmet. Der Arzt, Pädagoge und Autor war ein Vorkämpfer für Kinderrechte, über die er nicht nur schrieb und in Radiosendungen sprach, sondern sie auch im Waisenhaus lebte. Kinder schlagen war verboten! Und das vor 100 Jahren, merk’s SOS Kinderdorf Moosburg!
„Wichtiger als Strafe sei Belohnung. Wenn ein Kind etwas Böses anstellt, sei es das Beste, ihm zu verzeihen und darauf zu warten, dass es sich bessert. Auf keinen Fall dürfe man es zu irgendetwas zwingen“, beschreibt dies die Autorin in „Blumkas Tagebuch“ und weiter: „Der Herr Doktor (so wurde er von allen genannt, Anmerkung der Redaktion) wiederholt oft, dass wir genauso wichtig sind wie die Erwachsenen und dass „klein“ keineswegs „dümmer“ oder „schlechter“ bedeutet.“
In Korczaks Waisenhaus gab es Mitbestimmung aller Kinder und auch – von Kindern geleitete – Gerichte. Vor denen mussten sich nicht nur Kinder, die etwas angestellt hatten, verantworten, sondern auch Erzieher:innen, selbst der Doktor himself, „wenn sich jemand über ihn ärgert“.
Übrigens hält die Autorin neben vielem anderen noch einen wichtigen Grundsatz Korczaks fest: „Der Herr Doktor erlaubt uns Lärm zu machen und umherzutollen. Dies einem Kind verbieten zu wollen, meint er, sei so, als wenn man von seinem Herzen verlangte, es möge stillstehen.“
„Blumkas Tagebuch – Vom Leben in Janusz Korczaks Waisenhaus“ von Iwona Chmielewska (Übersetzung aus dem Polnischen: Adam Jaromir) wurde kürzlich von der nach diesem „Vater“ der Kinderrechte benannten Gesellschaft in Österreich neu herausgebracht.
Text und Illustration: Iwona Chmielewska
Übersetzung aus dem Polnischen: Adam Jaromir
Blumkas Tagebuch – Vom Leben in Janusz Korczaks Waisenhaus
62 Seiten
Redaktion: Chris Bezzel
Photo Editing: Daria Szadkowska, Artgraph
Grafische Gestaltung: Dorota Nowacka, Johannes Zachhuber
Herausgeber und Copyright der Ausgabe 2025: Österreichische Jansuz-Korczak-Gesellschaft
Zeuys Books
29 €
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