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Szenenfoto aus "Wo ist Walzer?" von kollektiv kunststoff
Szenenfoto aus "Wo ist Walzer?" von kollektiv kunststoff
18.11.2025

Getanzte und riechende Erinnerungen an Kindheit und Heimaten

Tanz-Performance mit Live-Musik und echten Kindheitserinnerungen der Mitwirkenden im Rahmen vom Johann-Strauss-Jahr tourt mit Junge Theater Wien durch einige Bezirke.

Umzugskartons – gut zwei Dutzend dieser braunen Kisten spielen eine optisch zentrale Rolle – als Hintergrundwand einerseits, dann immer wieder, wenn das eine oder andere daraus hervorgekramt wird. Und eben als Symbol für Übersiedlungen, Reisen von einem Ort zu einem anderen. Schön, wenn solche Reisen freiwillig erfolgen, nicht selten allerdings müssen Menschen ihre Heimat verlassen, um woanders neu zu beginnen. Oft haben sie dann keine Umzugskartons dabei, sondern mitunter nicht viel mehr als sie am Leib tragen und vielleicht noch einen (kleinen) Rucksack…

Die Kartons auf der Bühne der Tanztheater-Performance von kollektiv kunststoff „Wo ist Walzer?“, die Mitte November Premiere im Kulturzentrum F23 (Wien-Liesing) bei einem der Standorte von Junge Theater Wien hatte, verbindet diese Ausgangsbedingungen mit der dahinterliegenden Frage, wo oder was ist Heimat?!

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wo ist Walzer?“ von kollektiv kunststoff

Die tanzenden Performer:innen / performenden Tänzer:innen Raffaela Gras, Michael Gross, Kamil Mrozowski und Kamel Jirjawi haben im Prozess der Arbeit an diesem Stück eingebracht und „kramen“ diese unter anderem aus den Kisten hervor. Vor allem aber bringen sie es bewegt und bewegend tänzerisch auf die Bühne; manches auch in Songs – verstärkt durch Sängerin Theresa Eipeldauer, instrumental interpretiert, verstärkt, unterstrichen, hervorgehoben durch Peter Plos (u.a. E-Gitarre) und Didi Kern (Schlagzeug).

Ist es der Walzer?

Das aktuelle Johann-Strauss-Jahr (vor 200 Jahren wurde der Komponist und Musiker geboren) mit Dutzenden über ganz Wien verteilten unterschiedlichsten Produktionen hatte „kollektiv kunststoff“ angefragt, ob sich die Gruppe etwas rund um den „Walzerkönig“ einfallen lassen wolle. Und kam bald auf die wohl berühmteste Komposition von Johann Strauss Sohn. Mit ihm wird auf den meisten audiovisuellen Kanälen Österreichs das neue Jahr einge„läutet“, die Fluglinie AUA lässt ihn erklingen, wenn die Maschinen auf dem Vienna Airport landen…

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wo ist Walzer?“ von kollektiv kunststoff

Aber ist das für alle so? Mögen alle diese Musik? Verbinden sie damit wirklich (ihre) Heimat? Was bedeutet für jede und jeden „Zuhause“, wo fühlt sich wer geborgen und warum? Oder wodurch?

Und so erinnert sich „Michi“ (Michael Gabriel Gross) an viel Zeugs aus seiner Kindheit, das er auf dem Dachboden ihres ehemaligen Hauses wieder zufällig entdeckt und lässt eine Art Zeitreise miterleben. Raffaela Gras bringt ihre Kindheits- und Jugenderlebnisse in jenem „Tagada“, das im Wiener „Wurstelprater“ die Benutzer:innen wilde Runden drehen lässt; samt Outing einer urpeinlichen Szene.

Dickes
Dickes „Drehbuch“ mit Recherchematerial und umfunktioniertes „Freund:innen-Buch“

Alle fuhren Tagada

„Das war so prägend, dass wir alle mit ihr im Tagada waren und es auch Inspiration für einige Choreos war“, verrät Choreografin Stefanie Sternig (Dramaturgie: Christina Aksoy) Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… Und sie zeigt ausführlicher das dicke Buch, das mit persönlichen Erinnerungen gefüllt ist – der Performer:innen aber auch Gedanken von Kindern aus Klassen, mit denen das Team im Vorfeld zusammengearbeitet hat. Die Choreografin hat übrigens ihr echtes Freund:innenbuch aus ihrer Kindheit, Anfang der 90er Jahre zur Verfügung gestellt, in das die Performer:innen einige ihnen wichtige Sätze auf eingeklebten zetteln „verewigt“ haben.

Rosmarin

Kamil Mrozowski singt – auf Polnisch – Ich bin wie Rosmarin, / ich entfalte mich / … habe starke Wurzeln, selbst wenn / der Wind weht, gebe ich nicht auf… Ich bin nicht hier, / um tatenlos zu stehen / Ich bin hier, um dir Freiheit zu geben / Du bist nicht zu anders, zu laut oder /zu seltsam, / Du bist genau richtig…“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wo ist Walzer?“ von kollektiv kunststoff

Bevor er jedoch zu diesem Song kommt, hat er mit einer der Umzugskartons allein gegen die drei Kolleg:innen irgendwie zu kämpfen, wird bedrängt, setzt sich zur Wehr bis die vier und mit der Sängerin zu fünft zu einem Miteinander im Kreis kommen, wie sie einander gegenseitig stützen.

Olivenbaum

Das was für Kamil Rosmarin bedeutet, das ist für Kamel Jirjawi, einen seit sieben Jahren in Berlin lebenden palästinensischen Tänzer, ein Olivenbaum – weit mehr als eine Pflanze, die Früchte trägt, eben ein Stück alter Heimat. An die er aber auch in einem arabischen Lied die Erinnerung singt, dass alle Autos haben, nur sein Großvater „hat einen Esel“.

Neben Tanz, Schauspiel, Gesang und der Live-Musik kommen immer wieder auch Projektionen zum Einsatz – Projektor in einem mit Fensteröffnungen versehenen Umzugskarton – die allerdings für jene, die seitlich im Publikum sitzen nicht immer (gut) zu sehen sind. Ein weiteres Element, das in „Wo ist Walzer?“ ins Spiel gebracht wird, erfüllt dafür immer wieder den gesamten Raum: Düfte.

Dickes
Dickes „Drehbuch“ mit Recherchematerial und umfunktioniertes „Freund:innen-Buch“

Geruchs-Spuren

Dass Erinnerungen sehr oft besonders stark mit Gerüchen verbunden sind, greifen die Performer:innen zu Tiegelchen und Schälchen mit Materialien, die sie persönlich mit starken Kindheits- und / oder Heimatgefühlen verbinden. Sie begeben sich damit immer wieder auch ganz nahe an die Publikumsreihen, um die Zuschauer:innen intensiver riechen zu lassen. Und dem widmet die Tanzperformance auch einen eigenen Song: „It’s all about the healing, / And the healing goes right through the scent. / A smell, a trace of (former) feeling, / its more than a place — it is you. / Every smell / Every fight… / every trace / every land / pulls me back to you. / … And the healing goes right through the pain. / A smell, a trace of (former) feeling, / its more than a place — it was you.“

(Es geht um Heilung, / und die Heilung geht direkt durch den Duft. / Ein Geruch, eine Spur (ehemaliger) Gefühle, / es ist mehr als ein Ort – es bist du. / … Jeder Duft / Jeder Streit …/ jede Spur / jedes Land / zieht mich zurück zu dir / … und die Heilung geht direkt durch den Schmerz hindurch. / Ein Duft, eine Spur (ehemaligen) Gefühls, / es ist mehr als ein Ort – es warst du…

„Wo ich frei reden kann“

Übrigens: Am Abend nach der ersten Aufführung von „Wo ist Walzer?“ im F23 sagte der kritische Journalist, Autor und Dokumentarfilmer Can Dündar, der in seiner ersten Heimat Türkei eingesperrt war und der jetzt im Exil in Deutschland lebt aber auch dort vor Anschlägen nicht sicher ist, in einem Interview anlässlich seines neuen Buches „ich traf meinen Mörder“ im ORF-Kulturmontag: „Für einen Journalisten, einen Autor ist zu Hause dort, wo man frei reden, frei denken kann.“

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Wo ist Walzer?

kollektiv kunststoff in Koproduktion mit Johann Strauss 2025 Wien und Junge Theater Wien

Tanz & Performance; 14 bis 18 Jahre;
Idee, Konzept: kollektiv kunststoff
Choreografie: Stefanie Sternig
Dramaturgie: Christina Aksoy
Performance, Choreografische Mitarbeit: Raffaela Gras, Michael Gabriel Gross, Kamil Mrozowski & Kamel Jirjawi
Musik: Peter Plos, Theresa Eipeldauer & Didi Kern

Kostüm: Sophie Baumgartner
Bühne: Jo Plos
Licht: Bartek Kubiak
Video: Waltraud Brauner
Grafik: Theresa Plos

Wann & wo?

Bis 19. November 2025
Junges Theater Liesing, Kulturzentrum F 23
1230, Gastgebgasse 4

20. November 2025
Junges Theater Favoriten, Kulturhaus Brotfabrik
1100, Absberggasse 27 / Stiege 3

21. November 2025
Junges Theater Donaustadt, Kulturgarage Seestadt
1220, Am-Ostrom-Park 18

Telefon: 01 377 733 7
Tickets: paedagogik@jungetheaterwien.at

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