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Großgruppenfoto aller anwesenden Preisträger:innen, Juror:innen, Preisübergeber:innen, Team der edition exil
Großgruppenfoto aller anwesenden Preisträger:innen, Juror:innen, Preisübergeber:innen, Team der edition exil
07.12.2025

Literarische Reisen in nahe und für viele doch neue Welten

Georgische Neujahrs- und gleichzeitig Totenfeier, als Kind in den Ferien nach Kroatien in einer Kriegspause und in Gedanken einer „immer-schon-Lehrerin“, die dann doch (fast) verzweifelt – drei Preisträgerinnen der exil-Literaturpreise 2025; Teil 1.

„Die Beerdigung darf nur am Dienstag, Donnerstag, Samstag oder Sonntag stattfinden. Die Leiche muss sichtbar sein. Der Sarg soll in der Mitte des größten Raumes des Hauses stehen… Alle Spiegel im Haus müssen mit einem weißen Tuch bedeckt werden. Der Tod soll sich nicht spiegeln, sonst besucht er das Haus bald wieder… In Georgien kommen die Menschen ins Haus der Verstorbenen, um den Angehörigen ihr Beileid auszudrücken, doch vor allem beobachten sie, wie die Familie lebt, wer weint und wie geweint wird…“

Eingebettet in die ausführliche Schilderung, welche Bräuche sich rund um den Tod und Neujahr, in ihrer ersten Heimat abspielen, weil sie in ihrem Text beides zeitlich zusammenfallen lässt, gibt Lali Gamrekelashvili aber auch Einblicke in die georgische Sprache. Sie flicht nicht nur zwanglos einige Wörter – samt der Schrift – ein, sondern baut auch Erklärungen über die Struktur der Sprache ein und vergleicht sie mit Deutsch, der Sprache, in der sie schreibt. Die wenigen Vokale im Georgischen – nur fünf, aber keine Umlaute und Diphtonge (also so etwas wie ei, eu, au…) „sind besonders dehnbar“. Und es gibt keine vielfach zusammengesetzten Wörter. „In der deutschen Sprache gibt es reichlich davon, das längste Wort, laut Duden, mit dem ich meine Zunge brach, habe ich auswendig gelernt: Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung.“

Mit „Ein anderes Neujahr“ hat sie den diesjährigen Hauptpreis der edition exil gewonnen. „Der Autorin gelingt es, dieses intime und stimmungsvolle Bild ganz unaufdringlich mit einer Reflexion über ihre doppelte Identität zu verbinden, … subtil thematisiert sie dadurch Zweisprachigkeit, Fremdheit und Vertrautheit und nimmt vielleicht nicht nur von ihrem Vater Abschied, sondern auch von ihrer Herkunft“, begründete die Jury – Jessica Beer, (Residenz Verlag), Paula Pfoser (ORF) und der Autor Thomas Perle – die Vergabe des ersten Platzes – dotiert mit 3000 € an Gamrekelashvili.

Dinosaurier-Biss

Platz zwei – 2000 € – vergab die Jury an Nastasja Penzar. Auch sie nimmt die Leser:innen in ihrem Text – „der erste Sommer“ – mit auf eine berührende Reise mit in ihre erste Heimat, viel eher eigentlich die ihrer Eltern. Denn sie selbst wurde da vom Vater aus dem Kindergarten im deutschen Frankfurt abgeholt – mit der Ankündigung einer großen, geheimnisvollen Überraschung. Die sich dann für sie – und noch mehr für ihre schon älteren Schwestern als naja… – schon der erste Absatz dieser Reise zu den Großeltern in Kroatien umreißt das Gegenteil:

„Der erste Sommer, den wir hier unten verbrachten, war der erste, in dem der Krieg gerade einmal so lange pausierte, dass die Eltern sich eine Ferienlänge ohne Bombardement erhofften. „Ein bisschen verrückt war das schon“, würde meine sonst sicherheitsbewusste Mutter später sagen und dabei den Finger über der Schläfe drehen. Es war der Sommer der Sandsäcke.“

Für die Kinder eine Ankunft in einer eher fremden, verstörenden Atmosphäre – und doch eingebaut mit kindlicher, fantasievoller Perspektive: „Schau dir das an, komm.“ Er schob mich den Gartenweg entlang, bis zur Seite des Hauses und zeigte nach oben. Über all den Sommersprossen klaffte eine Bisswunde, so sah es aus. Die oberste Ecke des Hauses war weg.
„Abgebissen“, nickte ich, „wahrscheinlich ein Dino-saurier.“ Ich sah meinen Vater ernst an.
„Ja, denkst du?“ Er lächelte, hob seine Augenbrauen, „Vielleicht.“ Dann klopfte er mir leicht auf den Kopf und ging zu seinen Eltern zurück.
Später gaben die Erwachsenen dem Dino den Namen Granata.“

Die Welt einer Immer-schon-Lehrerin

Seit vielen Jahren vergibt die edition auch einen Preis für Autor:innen mit deutscher Erstsprache. Der Untertitel „Schreiben zwischen den Kulturen“ will gerade mit diesem Zeichen die Literatur, die die Preise und der Verlag fördern, zusätzlich aus der „Migrations“-Ecke holen. Die Bereicherung von Texten durch unterschiedliche Sichtweisen, auch Sprachkulturen, steht im Zentrum. Und – wie schon in anderen Beiträgen zu diesem Preis mehrfach erwähnt, sind aus dieser Initiative schon lange auch große Namen der österreichischen Literatur erwachsen, Stichwort Julya Rabinowich, Dimitré Dinev; der zuletzt Genannte hat erst in diesem Jahr den Österreichischen Buchpreis mit „Zeit der Mutigen“ gewonnen.

So, zurück zu Deutsch als Erstsprache. Diesen Preis bekam 2025 Felicia Schätzer für ihren Text mit dem Titel „Was, wenn ich am Ende genauso bin, wie ich immer schon war?“

„Seit wir in der Sandkiste waren, haben alle zu mir gesagt, ich würde mal Lehrerin werden“, lautet ihr erster Satz. Lebhaft und gut vorstellbar schildert sie ihr Agieren als ganz junges Kind, aber auch später als Schülerin und die Verwirklichung der schon frühen Beobachtungen der meisten Außenstehenden. Sie wurde Lehrerin. Dabei nimmt sie die Leser:innen aber in eine dann doch recht fremde Welt mit – ihre Verzweiflung als Werklehrerin in einer Volksschule, ihre Überforderung… aus der eher der Hang zum Aufgeben deutlich aus dem Text springt.

Was wird, wenn…

Bis sie ihre eigene Reflexion schildert und einen berührenden Moment: „Während mich Nala am letzten Schultag also weinend umarmt und mir die lila Blume in die Hand drückt, die sie extra für mich ausgesucht hat, denke ich mir, was nur aus den Kindern wird, die von allen anderen Lehrerinnen liegen gelassen werden, weil sie einfach keinen Bock auf Schreiben haben, und zu denen immer jeder sagt: Du kannst das nicht und du kannst das nicht, du machst das falsch und das und das, zu denen nie wer sagt: Du wirst bestimmt mal Lehrerin. Jetzt, in genau diesem Moment, werden diese Kinder wie Nala also genau von diesen Lehrerinnen wie mir links liegen gelassen. Weil sich diese Lehrerinnen lieber mit sich selbst beschäftigen. Weil unterrichten zu anstrengend ist. Weil sie die eigenen Energien aufsparen, um noch andere Jobs auszuprobieren, angespornt von der brennenden Frage, wer zum Teufel man eigentlich ist oder noch aller sein könnte. Eine Frage zufällig vererbter Privilegien. Das alles ist irgendwie so unfair, dass ich gleich wieder anfange zu schlucken, obwohl es ja ich bin, die es in der Hand hätte. Was wird aus den Kindern, die niemand dabei begleiten kann, herauszufinden, dass es Dinge gibt, die sie gut können, und nicht nur Dinge, die sie schlecht können.“

Weitere (Sprach-)Kulturen: Musik

Die Preisverleihungen, die nun seit einigen Jahren im Literaturhaus stattfinden, wo mehr Zeit und Raum ist als in früheren Jahren Samstagabend bei der Buch Wien mit höchstens einer Stunde im Rundum-Trubel werden jeweils auch musikalisch begleitet, seit Jahren von dem Duo Miloš Todorovski (Akkordeon) und Andrej Prozorov (Tenorsaxofon), ein Duo, das mit seinen Beiträgen in unterschiedlichen Stimmungen noch einmal weitere Sprachen und Kulturen in die Veranstaltung einbringt.

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Zu weiteren Preisträger:innen geht es hier unten

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Mehr Informationen

Beiträge aus früheren Jahren

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Preisträger:innen 2025

1 Preis für Prosa (3.000 € gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien): Lali Gamrekelashvili für „Ein anderes Neujahr“
2. Preis für Prosa (2.000 € gefördert von der Kulturkommission Neubau): Nastasja Penzar für „Der erste Sommer“
3. Preis für Prosa (1.500 € gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien): Ludmila Doležalová für „Wir Ausländer“
* Exil-Lyrikpreis 2025 (1.500 € gefördert von der Kulturkommission Neubau): Olja Alvir für ihren Gedichtzyklus „fernblau“
* Preis für Autor*innen mit Deutsch als Erstsprache (1.000 € gefördert von der Litera-turabteilung des BMWKMS – Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport): Felicia Schätzer für „Was, wenn ich am Ende genauso bin, wie ich immer schon war?“

Jury: Jessica Beer (Residenz Verlag), Paula Pfoser (ORF) und Thomas Perle (Autor)

* Exil-Jugendliteraturpreis 2025 (1.000 € gefördert von der Literaturabteilung des BMWKMS) wird auf Wunsch der Jury heuer geteilt je 500 €): Paula Dorten für „Das Zweifell“ und Selina Le für „Kinder der Zukunft“
Exil-Literaturpreis für Teams und Schulklassen (1.000 € gefördert von der Literaturabteilung des BMWKMS): Schüler:innen des Jugendcollege Wien #advanced OST – Bita, Hussein, Huzaifa, Mouhanad, Ozlo, Saleh, Samira, Shalali, Yahya und zwei Teilnehmer:innen mit den Pseudonymen Abenteuer und Auswanderung betreut von Ganna Gnedkova-Huemer für „Fremd in Österreich“

Jury für die Jugendpreise: Grzegorz Kielawski (Autor) und Christa Stippinger (edition exil).

Buch-Tipp

Exil literaturpreise 25
Preistexte
ca. 160 Seiten
edition exil
isbn 978-3-901899-99-7

editionexil –> Bücher

Edition exil

Seit 1997 vergibt der Verein Exil die gleichnamigen Literaturpreise unter dem Motto „Schreiben zwischen den Kulturen“. Längst große Namen der österreichischen Literaturszene wurden dabei entdeckt, genannt seien etwa Julya Rabinowich, Dimitré Dinev, Thomas Perle, Didi Drobna, Susanne Gregor, Samuel Mago, Seher Çakir und viele andere.

Neben dem jährlichen Sammelband mit den von den jeweiligen Jurys ausgezeichneten Texten sowie den Begründungen für die Preiswürdigkeit und Abschnitten der Autor:innen über ihr Schreiben, gibt die Edition Exil auch Erstlingswerke – nicht nur der Preisträger:innen heraus. Dabei begleitet die Edition die Erstveröffentlicher:innen auch vom Manuskript bis zur Fertigstellung; und stellt auch danach oft Verbindungen zu größeren, namhafteren Verlagen her, in denen beispielsweise die oben Genannten längst veröffentlichen.