Trotz bitterer, schmerzhafter Erfahrungen: Mutmachende, berührende Buchpräsentation mit zarter und doch starker Live-Musik im Rahmen des 3. Roma-Kulturfestivals „E Bistarde/ vergiss mein nicht“.
„Da habe ich tatsächlich lange getüfelt, bis ich diesen Begriff gefunden habe“, verrät Gianni Jovanović, Performer, Showmaster und Aktivist sowohl in Sachen Rom*nja und Sinti*zze als auch LGBTQI+ nach der berührenden und doch auch aufbauenden performativen Buchpräsentation im Rahmen des Roma-Kulturfestivals „E Bistarde/ Vergiss mein nicht“ im Dschungel Wien. Und weil „kleine Mehrheiten“ statt „Minderheiten“ oder „marginalisierte Gruppen“ so genial ist, meinte die Journalistin Oyindamola Alashe, die aus den Gesprächen mit dem oben Genannten das Buch „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“ (Aufbau Verlage) geschrieben hat: „Der Titel ist von Anfang an festgestanden.“
Was ebenso klar war: Das Buch sollte – trotz etlicher sowohl körperlicher als psychischer schmerzhafter Erfahrungen als Angehöriger der oben schon genannten beiden „kleinen Mehrheiten“ kein Opfer-Buch werden. Auch wenn einige dieser gewalttätigen Erlebnisse natürlich Teil der veröffentlichten Gespräche sein mussten – bei den Lesungen präsentiert die Co-Autorin diese Passagen -, ist das Buch (eine ausführlichere Besprechung folgt später nach Lektüre der 180 Seiten) eine Erfolgs- und damit auch Mutmach-Geschichte des Titelhelden. Viele Male hatte er – ob aus der Familie, den Communities oder auch von einer ehemaligen Lehrerin in der Sonderschule, die ihn und die Familie gedrängt hatte, eine weiterführende Schule zu besuchen – er ist bislang der einzige aus dieser Schule, der studiert hat: „Du bist unser Held“ – im Sinne eines Vorbildes, dass es auch andere schaffen können.
„Wenn ich heute als Mann und Aktivist über Persönlichkeitsentwicklung spreche, dann geht es auch um Empowerment und darum, wie man sich und andere stark macht. Persönlichkeitsentwicklung ist im Idealfall ein lebenslanger Prozess, der drei Komponenten beinhaltet: Selbsterkenntnis, Selbstakzeptanz und Selbstveränderung.“ (S17)
Vom ausgegrenzten, diskriminierten, geprügelten Jungen zum TV- und Video-Star. Aktuell moderiert er mit Barbie Breakout „Drag Race Germany“ – mit Teilnhemer:innen auch aus Österreich, Finale: 21. November 2023 (Paramount +).
Sowohl der Text und noch viel mehr die Lesungen sind stark von aufbauendem aber auch gegenseitig ein wenig auf die Schaufel gekennzeichneten Humor durchzogen: Die Lese- und Erzählabschnitte werden immer wieder mit Songs der Berliner Songwriterin und Sängerin Celina Bostic verwoben. „Nie wieder leise“ ist ihr aktuelles fünftes Studioalbum. Obwohl sie dennoch eher leise, ja teils sogar fast zerbrechlich wirken, entfalten ihre Songs subversive bis offene Kraft, stärken jene, die oft unterdrückt werden und ermutigen alle, die sich gegen herr-schende Zwänge des Systems auflehnen. Ursprünglich lernten die Musikerin und der aktivistische Performer einander via Instagram kennen, aber erst bei einem echten analogen Treffen seien die drei recht rasch zum Schluss gekommen – keine Lesung ohne Celina Bostic. So heißt es in einem der in Wien performten Lieder „Die Resilienz“ unter anderem „Kein Panik, das hab ich alles schon erlebt“ – im Video dazu wandert Gianni Jovanović mit der Roma-Flagge über der Schulter durchs Bild. „Ein Wunder, dass ich immer noch da bin so oft wie meine Welt untergeht. Ich bin die Resilienz“.
Bei „Lass uns wieder Kinder sein – ich glaub an den Moment, das ist meine Religion“ ersuchte Bostic, das Publikum „mitzuschwofen“ – wenigstens mit den Armen und einem inbrünstigem „ooooohooo“.