Bei der 29. Ausgabe der exil-Literaturpreise wurde der Einzelpreis in der Kategorie Jugend auf zwei Autorinnen aufgeteilt, der Preis für Gruppenarbeit ging an junge Erwachsene mit Fluchthintergründen – geleitet von einer Austor-Ukrainierin; Teil 2.
„Es war unmöglich, einen Fuß auf den Boden zu setzen, ohne auf zerknüllte Plastikverpackungen oder benutzte Zahnbürsten zu treten. Den Boden selbst konnte man gar nicht sehen. Und auch die kleinen Hütten, in denen sie alle lebten, bestanden aus Abfall. …
Die Ältesten unter ihnen – jene, die noch ein anderes Zeitalter miterlebt hatten – behaupteten, dass die Welt einst eine andere gewesen sei. Damals habe es verschiedene Jahreszeiten gegeben statt eines Lebens in einem endlosen Glutofen… es sollte etwas, das man Schnee nannte, gegeben haben – winzige Eiskristalle, jeder einzigartig geformt, die vom Himmel fielen wie ein stilles Wunder.“
Diese Sätze stammen aus einer dystopischen Schilderung namens „Kinder der Zukunft“. Mit dieser hat Selina Le einen der – aufgrund der vielen Einsendungen heuer geteilten – Jugendpreise der von der editon exil vergebenen Literaturpreise gewonnen.
„Die Menschen hier waren nicht krank, sie waren längst tot. Auch wenn ihre Herzen vielleicht noch nicht aufgehört hatten zu schlagen – ihr Geist war schon lange erloschen…“, heißt es an anderer Stelle des ausgezeichneten Textes, der zum 29. Mal vergebenen Preise mit dem Motto „Schreiben zwischen den Kulturen“; diese Autorin war krankheitshalber bei der Preisverleihung verhindert.
„Die Eltern erzählten mir später / Als Baby im Kreischsaal / Das Krankenhauspersonal unterbesetzt / Blieb ich unbewacht/ Mit langen Beinen und großem Mund / Zog sich die Sprache über den Fensterrand / Und biss sich fest in meinem Babynackenspeck“, spielt die zweite Jugend-Preisträgerin Paula Dorten nicht nur mit Sprachbildern, sondern auch mit humorvoll veränderten Wörtern.
Wobei sie gesteht, sich den ebenso ausgedachten Titel „Zweifell“ von einer anderen Autorin, Frieda Paris, aus einer Literaturwerkstatt ausgeborgt zu haben.
„Das Zweifell“ ist eine unterhaltsame Achterbahnfahrt durch den Schreibprozess, die Gleise mit dem zweifelnden Schreibkörper verwoben. Eine Vivisektion. Eines vorab: Esge ht gut aus. Paula Dorten gelingt es, in ihrer operativen Funktion als Autorin, die eigene Schreibwut fruchtbar zu machen – ohne Zweifel auch im real life, wie die Prämierung des Textes beweist“, würdigten die Juror:innen Grzegorz Kielawski und Christa Stippinger, die Initiatorin und Motorin der edition exil diesen Text.
Neben Einzelpreise für junge Autor:innen vergibt die edition exil Jahr für Jahr auch einen Preis für schulische Projektgruppen oder Klassen. In diesem Jahr vergab ihn die Jury an Schüler*innen des Jugendcollege – Wien #advanced OST: Projekt „Fremd in Österreich“, betreut von Ganna Gnedkova-Huemer.
Zunächst einige Zitate aus den Texten von Bita, Hussein, Huzaifa, Mouhanad, Ozlo, Saleh, Samira, Shalali, Yahya und zwei Teilnehmer:innen, die aus Sorge um ihre politische und sonstige Sicherheit die Pseudonyme Abenteuer und Auswanderung verwendeten, wobei auch die beiden Namen Ozlo und Shalali aus den selben Gründen nicht die echten sind.
„Mein größter Wunsch ist, glücklich zu sein, eine Familie zu gründen und in Frieden zu leben. Diese Geschichte ist nicht nur eine von Flucht… sondern von Hoffnung, Geduld und Würde. Ich bin stolz auf mich, stolz darauf, dass ich nie aufgegeben habe. Und an jedem Tag, an dem ich in Österreich aufwache, sage ich mir: „Du bist nicht ohne Grund hier… du verdienst es zu leben… Es fehlt oft dieses besondere Gefühl und die vertrauten Aromen, die mich an meine Kindheit und an meine Familie erinnern. Manchmal vermisse ich einfach diese kleinen Details, die das Essen so besonders gemacht haben…“, heißt es unter anderem in den Texten von Mouhanad.
Und Bita formuliert: „Wenn ich an die Gerüche und Klänge meines Heimatdorfes denke, spüre ich eine Welle von Sehnsucht und das stille Verlangen, genau dorthin zurückzukehren.“
Ozlo: „Ich vermisse es, die Freizeit draußen auf der Straße zu verbringen. Wir blieben zu Hause jeden Tag bis vier Uhr morgens wach.“
Samira und Shalali vermissen vor allem Kamel-Milch aus ihrer ersten Heimat Somalia. „Diese Milch hat sehr viele Vitamine und ist sehr sättigend. Sie schmeckt überhaupt nicht so wie Ziegen- oder Kuhmilch. Bei uns in Somalia konnte man sie überall kaufen. Was ich nicht vermisse, sind Krokodile…“ (Shalali)
Saleh vermisst vor allem „Jasmin und die Pflanzen neben unserem Hus und frische Säfte, die man aus ihnen machen kann…“
„Als Titel für das eingereichte Projekt haben die Teilnehmer „Fremd in Österreich“ gewählt. Ich hätte mir gewünscht, dass sie sich nicht so fremd fühlen, und als Lehrerin tue ich alles, damit sie sich nicht fremd fühlen, aber das ist der Titel, den sie gewählt haben“, meint im erklärenden Text dazu Ganna Gnedkova-Huemer, selbst Wienerin aus der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw, die „statt Integration lieber Interaktion“ verwendet, „weil ich glaube, dass wir einen Dialog der Kulturen führen sollten und auch voneinander lernen könnten“.
Huzaifa, wie die meisten seiner Kolleg:innen aus Syrien, einige davon haben auf der Flucht einige Zeit in der Türkei verbracht, andere kamen aus Somalia, dem Iran und Jemen, erzählt nach der Preisverleihung Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…: „Ich hab schon bevor uns die Lehrerin nach Texten auf einige ihrer Fragen gebeten hat, rund 100 Seiten auf Arabisch über meinen Weg nach Österreich geschrieben. Das was daraus als Antworten auf ihre Fragen gepasst hat, hab ich dann auf Deutsch übersetzt, das heißt eigentlich nur ein bisschen davon, weil alles zu viel gewesen wäre, und ihr gegeben.“
Mouhanad ergänzt: „Ich hab vorher nichts darüber geschrieben, aber alles hier oben drin“ – und er deutet mit der linken Hand auf seine Stirn.
Jener junge Mann aus Somalia, der sich der Anonymisierung wegen Shalali nennt, erklärt: „Auf Englisch hatte ich mehr, das Wichtigste davon hab ich dann auf Deutsch übersetzt.“
1 Preis für Prosa (3.000 € gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien): Lali Gamrekelashvili für „Ein anderes Neujahr“
2. Preis für Prosa (2.000 € gefördert von der Kulturkommission Neubau): Nastasja Penzar für „Der erste Sommer“
3. Preis für Prosa (1.500 € gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien): Ludmila Doležalová für „Wir Ausländer“
* Exil-Lyrikpreis 2025 (1.500 € gefördert von der Kulturkommission Neubau): Olja Alvir für ihren Gedichtzyklus „fernblau“
* Preis für Autor*innen mit Deutsch als Erstsprache (1.000 € gefördert von der Litera-turabteilung des BMWKMS – Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport): Felicia Schätzer für „Was, wenn ich am Ende genauso bin, wie ich immer schon war?“
Jury: Jessica Beer (Residenz Verlag), Paula Pfoser (ORF) und Thomas Perle (Autor)
* Exil-Jugendliteraturpreis 2025 (1.000 € gefördert von der Literaturabteilung des BMWKMS) wird auf Wunsch der Jury heuer geteilt je 500 €): Paula Dorten für „Das Zweifell“ und Selina Le für „Kinder der Zukunft“
Exil-Literaturpreis für Teams und Schulklassen (1.000 € gefördert von der Literaturabteilung des BMWKMS): Schüler:innen des Jugendcollege Wien #advanced OST – Bita, Hussein, Huzaifa, Mouhanad, Ozlo, Saleh, Samira, Shalali, Yahya und zwei Teilnehmer:innen mit den Pseudonymen Abenteuer und Auswanderung betreut von Ganna Gnedkova-Huemer für „Fremd in Österreich“
Jury für die Jugendpreise: Grzegorz Kielawski (Autor) und Christa Stippinger (edition exil).
Exil literaturpreise 25
Preistexte
ca. 160 Seiten
edition exil
isbn 978-3-901899-99-7
Seit 1997 vergibt der Verein Exil die gleichnamigen Literaturpreise unter dem Motto „Schreiben zwischen den Kulturen“. Längst große Namen der österreichischen Literaturszene wurden dabei entdeckt, genannt seien etwa Julya Rabinowich, Dimitré Dinev, Thomas Perle, Didi Drobna, Susanne Gregor, Samuel Mago, Seher Çakir und viele andere.
Neben dem jährlichen Sammelband mit den von den jeweiligen Jurys ausgezeichneten Texten sowie den Begründungen für die Preiswürdigkeit und Abschnitten der Autor:innen über ihr Schreiben, gibt die Edition Exil auch Erstlingswerke – nicht nur der Preisträger:innen heraus. Dabei begleitet die Edition die Erstveröffentlicher:innen auch vom Manuskript bis zur Fertigstellung; und stellt auch danach oft Verbindungen zu größeren, namhafteren Verlagen her, in denen beispielsweise die oben Genannten längst veröffentlichen.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen