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Szenenfoto aus "Juices"
Szenenfoto aus "Juices"
24.05.2024

Selten so humorvoll diskriminierende Strukturen bloßgelegt

„Juices“ über Arbeiter:innen aus dem Osten ihre miesen Job-Bedingungen und Aufsteigsträume – Gastspiel beim Dramatiker:innen-Festival in Graz.

Drei Frauen in Flug- oder Arbeits-Overalls auf einem hohen Bühnen-Podest, zwei davon mit Gurten und Haken. Von der Decke hängen über mehrere Rollen zwei Seile. Werden die also fliegen? Schweben?

Irgendwie schon – und auch wieder nicht. Ja, es geht um „Aufstieg“. Oder viel mehr um verwehrte Aufstiege. Weil „falsche“ Herkunft. „Irgendwo aus dem Osten“.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Juices“

Antoinette Ullrich, Rahel Weiss und Maria Munkert spielen in „Juices“ von Ewe Benbenek (Regie: Kamila Polívková) zu Beginn fast sprachlose Personen – oder eher innere Stimmen – vielleicht auch nur einer einzigen Person. Zwischen Ärger über Ungerechtigkeit, Wut, Wille zum Widerstand und Selbstzweifel an eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen, weil immer wieder runtergemacht.

Seitenhieb aufs Theater?

„Sie hatten doch schon mal einen Anfang!“ Wenn es eine neue Chance geben sollte, dann „nur, wenn Sie wirklich was Neues, richtig Großes liefern können!“ Könnte sich vielleicht auch aufs Theater selbst beziehen?!

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Juices“

Zwar ist das Stück des Nationaltheaters Mannheim, das beim aktuellen Dramatiker:innen-Festival in Graz im Theater am Lend gastiert, in vielen Passagen eindeutig auf Deutschland geschrieben; übrigens immer bewusst als BRD im Gegensatz zum Osten bezeichnet. Dennoch funktioniert es genauso für Österreich – und sicher für so manch andere Länder im „Westen“, vielleicht nur Europas.

Einsatz für niedere Dienste – unabhängig von mitgebrachten Qualifikationen – das spielt sich hier auf – und teils unter der Bühne mit Video-Übertragung auf eine Leinwand (Bühne, Kostüme & Video: Antonín Šilar; Dramaturgie: Dominika Široká) ab – vom Putzen bis Spargelstechen. Für das Abtauchen in den Untergrund sind die Seile und die Gurten, einmal zusätzlich ein ganz sicherer Klettergurt

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Juices“

Viel Spiel- und Sprachwitz

Und trotz der Ernsthaftigkeit des „Klassismus“ kommt in den eineinhalb Stunden der Humor nicht zu kurz. Die strukturelle Situation ebenso wie die eigenen Reaktionen darauf immer wieder auf die Schaufel nehmend – und dennoch gepaart mit den Wünschen nach Widerstand einer- und Höhenflügen andererseits. Erstere mit der Fantasie in einem Bürohaus mit dem von Dreck getränkten Putzschwamm an die Wand zu schreiben: „Ich werde nicht gerecht bezahlt!“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Juices“

Czandelier

Die Aufstiegsträume symbolisiert vor allem im Bild eines Schwebens an einem Kronleuchter (chandelier) in der deutsch-polnischen Aussprache und Schreibweise „czandelier“ – mit Anklängen an den Song der Australierin Sia „I’m gonna swing from the chandelier“. (Takte daraus und andere beschwingte Musik: Peter Fasching). Ein Glitzerstein eines solchen „Kandelabers“ wird durch Abdunkelung, eine Lampe und Projektion zu einem fast weltraumartigen Gefunkel auf der Leinwand! Und bei heller Beleuchtung zu einer Träne, die im Untergrund versenkt wird.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Juices“

Aber wie ist das mit euch? Also mit uns als Publikum, zum Großteil aus dieser privilegierten „westlichen“ Schicht? Zu guter Letzt durchbrechen die drei Schauspieler:innen die vierte Wand, machen sich auf in den Zuschauer:innen-Raum, sprechen diese mehr oder minder direkt an. Solidarität macht doch keine Unterschiede, oder?

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Compliance-Hinweis: Das Dramatiker:innen-Festival in Graz hat Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… zur Berichterstattung eingeladen.

Zwei der hier beschriebenen Kurz-Versionen sind beim Festival am Freitagvormittag im taO! zu sehen

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Juices

von Ewe Benbenek
Ein Gastspiel des Nationaltheater Mannheim

Regie: Kamila Polívková
Schauspiel: Antoinette Ullrich, Rahel Weiss, Maria Munkert
Bühne, Kostüme & Video: Antonín Šilar
Musik: Peter Fasching
Licht: Antonín Šilar, Ronny Bergmann
Dramaturgie: Dominika Široká
Kunst & Vermittlung: Ronja Gerlach
Mitarbeit & Kostüm: Marcus Eufinger

Dramatiker:innen-Festival

Motto „Umkehrbar?“

Bis 26. Mai 2024
Graz
dramatikerinnenfestival2024