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Szenenfoto aus "Onkel Wanja" im Das TAG (Wien)
Szenenfoto aus "Onkel Wanja" im Das TAG (Wien)
13.10.2022

Sie scheinen das (sich) Quälen zu lieben

Tschechows „Onkel Wanja“ im Wiener TAG, inszeniert vom Experten Arturas Valudskis.

Endzeitstimmung – und sich darin irgendwie auch suhlen. Über sich selbst und das eigene Schicksal jammern – das auch noch sehr zelebrieren. Gar nicht anders können. Schuld am eigenen Unglück sind sowieso immer die anderen. Aber ohne diese Tristesse scheint das Leben sogar unvorstellbar. Und (nicht) nur zur Not findet sich Trost im Alk – mit dem Schlussbild eines aus Flaschen aufgebauten Kreuzes auf einem „nur“ durch Licht erzeugten Grabes. Das könnte vielleicht auch Wien sein. Ist es auch-  in dem Fall aber nur als Spielort, im Theater an der Gumpendorfer Straße. Personal und Szenerie aber sind in Russland angesiedelt, genauer auf einem Landgut vor mehr als einem Jahrhundert. Es ist wieder einmal Tschechow-Zeit im TAG.

Nach „Der Kirschgarten“ und „Die Möwe“ inszenierte der internationale Salzburger mit litauischen und sowjetischen Wurzeln Arturas Valudskis nun „Onkel Wanja“. Dieses Mal nicht so stark gekürzt (2 ½ Stunden mit einer Pause), aber wieder sehr pur – wenig Kulisse und Requisiten sowie spärlicher Einsatz von Lichtwechseln. Ganz nah am Originaltext mit einem Hauch Zeitlosigkeit. Und viel Komik in der Tragödie. Stark auf die – hier sehr körperliche Schauspielkunst der Darsteller:innen setzend und vertrauend.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Onkel Wanja“ im Das TAG (Wien)

Der Plot

Der Verwalter des Landgutes, Iwán Petrówitsch Wojnízkij (das russische Wojna heißt übrigens Krieg), genannt Wanja (Georg Schubert), beklagt den wirtschaftlichen Niedergang. Weil er andauernd Geld abzweigt, um den von ihm verehrten Kunstprofessor Srjebrjaków (Jens Claßen, der auch einen sehr betrunkenen Arbeiter am Landgut spielt) zu unterstützen, eigentlich dessen Leben zu finanzieren. Der alte Professor, der eigentlich mehr oder minder heiße Luft produziert, lebt auf dem Landgut mit einer sehr, sehr jungen Ehefrau Elena (Michaela Kaspar, die mit wenig Kostüm- aber starkem Körperhaltungswechsel die alte Marija, Wanjas Mutter gibt) und Sonja (Ida Golda, auch Amme Marina), seiner Tochter aus erster Ehe, die wiederum die Nichte Wanjas ist. Recht oft zu Gast: Der Arzt Ástrow (Andreas Gaida). Den hatte übrigens in der Moskauer Uraufführung 1899 der berühmte Theaterreformer Konstantin Sergejewitsch Stanislawski himself gespielt (und Regie geführt).

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Onkel Wanja“ im Das TAG (Wien)

Nicht mit, aber auch nicht ohne einander

Phasenweise stellen die Schauspieler:innen den langen Tisch hochkant auf und machen ihn so zu einer Art Figurenbühne, dann wieder agieren sie Konflikte in Wildwestmanier mit Pistolenduell samt Slapstick-Einlagen aus. Der zu Besuch kommende Arzt wird Hoffnungsträger für die Nichte Sonja, die er aber nicht einmal wahrzunehmen scheint, sondern die junge Ehefrau des Professors umwirbt. Abseits dessen quälen einander alle – und gleichzeitig scheinen sie das fast zu lieben. Sie können sozusagen nicht miteinander, aber ohne einander auch wiederum nicht. Von außen betrachtet, und so wie es gespielt wird, mit einer ordentlichen Portion Komik, fast Galgenhumor. Wobei das Lachen mitunter im Hals stecken bleibt, weil so weit entfernt die Struktur solcher Beziehungen vielleicht doch nicht ist…

Wälder

„Weltschmerz und Menschenhass“ – nicht nur ein in der fernen russischen Provinz vor mehr als 100 Jahren – kommen ebenso zur Sprache wie die Wichtigkeit der Wälder fürs Überleben auch der Menschheit sowie die Klage über den Raubbau an diesen Wäldern. Und das ist keine Aktualisierung des Regisseurs, sondern 1:1 dem original entnommen, das eine Weiterentwicklung der ursprünglichen – beim Publikum durchgefallenen – rund ein Jahrzehnt davor entstandenen Tschechow’schen Komödie „Der Waldschrat“ (1889).

Hin und wieder reißt’s einen und es kommen ganz andere – leider seit mehr als einem halben Jahr aktuelle Bilder hoch – wenn Ortsnamen fallen, gegenüber dem Original aktualisierte wie etwa Charkiv, der ukrainischen Version von Charkow (wie es russisch genannt wird.

In Irrenhaus und Gefängnissen

„Arturas Valudskis wurde in Litauen geboren, damals noch Sowjetrepublik. Als 18-Jähriger verweigerte er den Kriegsdienst in Afghanistan, ließ sich in einer Nervenklinik einsperren, wo das Klavier-„Wunderkind“ erste Theatererfahrungen machte“. Das erzählte er Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…  vor einem ¾ Jahr in Salzburg anlässlich seiner Inszenierung von „Der Tiger geht über den Teppich“ im Toihaus Theater. Die Passage über ihn sei hier nochmals veröffentlicht: „Danach arbeitete er im Gefängnis der litauischen Stadt Kaunas mit Häftlingen und gründete außerhalb dessen ein Untergrundtheater mit. Vor fast 30 Jahren kam er über ein Förderstipendium nach Salzburg, gründete das Theater Panoptikum. Es folgten Regie, Schauspiel und Musik in Salzburg, Wien (u.a. am TAG – Theater an der Gumpendorfer Straße), Klagenfurt, Villach, Litauen und Südtirol.“

Am TAG hat er – wie bereits oben erwähnt – schon mehrere Tschechow-Stücke inszeniert – „Der Kirschgarten“ und „Die Möwe“. Am Rande der „Onkel Wanja“-Premiere äußerte Valudskis Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… gegenüber, dass er hier gern auch noch „Drei Schwestern“ machen würde.

Follow@kiJuKUheinz

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Onkel Wanja

Von Anton Tschechow
Fassung und Regie Arturas Valudskis

Es spielen
Wanja: Georg Schubert
Elena/ Marija: Michaela Kaspar
Sonja/ Marina: Ida Golda
Serebrjaków/ Arbeiter: Jens Claßen
Ástrow: Andreas Gaida

Ausstattung: Alexandra Burgstaller
Dramaturgie: Tina Clausen
Ton: Peter Hirsch
Kostüm- und Requisitenbetreuung: Daniela Zivic
Lichttechnik: Katja Thürriegl
Bühnentechnik: Hans Egger, Andreas Wiesbauer, Manuel Sandheim
Regieassistenz: Renate Vavera

Wann & wo?

Bis 7. Dezember 2022
Das TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße): 1060, Gumpendorfer Straße 67
Telefon: 01 586 52 22
dastag.at -> onkelwanja