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Foto aus dem Kinofilm "Lass mich fliegen": Raphael Kadrnoska und Johanna Ortmayer
Foto aus dem Kinofilm "Lass mich fliegen": Raphael Kadrnoska und Johanna Ortmayer
16.03.2023

Tänzer:innen nun in einem Kinofilm

Drei Mitwirkende am Tanztheaterstück „Der goldene Faden“ sind Hauptpersonen des Films „Lass mich fliegen“, der auf Augenhöhe ein Plädoyer für Inklusion ist.

Demnächst tanzen sie auf der Bühne des Wiener Akzent-Theaters als wilde Tiere, Mitglieder des Hofstaates, im Ballkomitee und als Teil des langen Drachenkörpers in „Der Goldenen Faden“ des inklusiven Tanztheaters „ich bin o.k.“ auf (KiJuKU berichtete über Proben daran – Link dazu am Ende des Beitrages). Ab Freitag spielen sie Hauptrollen in einem Kinofilm: Johanna Ortmayer, Raphael Kadrnoska und Magdalena Tichy. Wobei in „Lass mich fliegen“ schlüpfen sie nicht in andere Rollen, sie sind zwar auch bei Tanzproben zu sehen, aber sie wurden in erster Linie in filmischen Interviews zu sehen, wo sie über Freundschaft, Liebe, ihr Leben und ihre Zukunftswünsche gefragt werden. Die beiden Erstgenannten zum Beispiel leben seit mehreren Jahren zusammen, wollen heiraten und Kinder kriegen.

Foto aus dem Kinofilm
Foto aus dem Kinofilm „Lass mich fliegen“: Rechts im Bild Magdalena Tichy

Diva und Rampensau

Magdalena Tichy sagt darin von und über sich: „Die Bühne ist mein Leben“ und ihre Eltern würden sie „Diva oder manchmal auch Rampensau“ nennen, „ich steh gern im Mittelpunkt“. Und sie schreibt gern Gedichte, u.a. diese Zeilen:

„Mein Kopf dreht sich. Gedanke ist zerstreut. Im Sturm. Ich bin eine Feder. Der Wind dreht und wendet mich. Der Wind ist die Freiheit. Lass mich fliegen. Ich will nicht am Boden liegen bleiben.“

Daraus hat sich Drehbuchautorin und Regisseurin Evelyne Faye den Titel ausgeborgt. Zwei weitere Protagonistinnen sind Andrea Halder, ebenfalls eine junge Erwachsene, die über sich und ihr Leben, ihre Wünsche, ihre Forderungen erzählt und das sehr junge Kind Emma Lou Faye-Horak – genau der Name lässt vermuten: Sie ist Tochter der Filmerin, eines von drei ihrer Kinder.

Foto aus dem Kinofilm
Foto aus dem Kinofilm „Lass mich fliegen“: Emma Lou Faye-Horak

Selbstvertretung

Andrea Halder hat ein Zertifikat als Betreuerin älterer Menschen mit Demenz-Erkrankung. Das wolle sie auch als Beruf ausüben. „Aber keiner will mich, immer nur auf Probe oder ehrenamtlich“.

Hindernis für eine Anstellung ist eine Diskriminierung, wie sie auch die anderen genannten Protagonist:innen in verschiedenen Bereichen trifft und wogegen vor allem Magdalena Tichy kämpferisch auf- und eintritt: „Ich will, dass die Leute mich so sehen, wie sie andere Leute ansehen und nicht als „Down Syndrom Mensch“ – ich hasse diese Etikettierungen.“ Genauso die Schublade „Behinderung“. Nicht zuletzt deswegen will sie auch für eine Selbstvertretung als „Kund:innen-Rätin“ kandidieren, wo sie sich auch gegen andere Arten der Ausgrenzung und für Gleichstellung stark machen will: „Eheschließung, und auch die sexuelle Vielfalt sollte damit eingeschlossen werden, auch lesbische, schwule, polyamore Beziehungen, das wird immer tabuisiert“, sagt sie im Film in einer Besprechung.

Foto aus dem Kinofilm
Foto aus dem Kinofilm „Lass mich fliegen“: Andrea Halder

Trick-Tipp für Eltern

Die schon genannte Andrea Halder sagt auf die Frage, wie die Welt verändert werden könnte unter anderem „Wir können so viel geben, wenn uns die anderen machen ließen. Nur wegen Vorurteilen lassen sich viele nicht auf uns ein und sehen nicht das Potenzial in uns.“

Sie gibt aber auch humorvoll einen „Geheim“-Tipp, der ihren Eltern einst eingefallen ist, weil sie als Kind immer wieder von Angeboten ausgegrenzt worden ist, wenn Kurs- oder Workshop-Leiter:innen erfahren hätten, dass sie Down-Syndrom habe. Statt zu betteln oder drohen, hätten sie folgende Taktik ausgetüftelt: „Anmelden – anzahlen – abstellen – abhauen.“ Das Abhauen bezog sich auf die Eltern. Andrea konnte sie die jeweiligen Workshops, Kurse usw. besuchen – und deren Leiter:innen kamen auch rasch drauf, dass dies auch alles andere als ein Problem war.

In dem vor zehn Jahren von Erwin Wagenhofer veröffentlichten Film „Alphabet“ war übrigens einer der Protagonisten Pablo Pineda Ferrer. Der spanische Lehrer, Schauspieler und Autor war – laut Wikipedia – der erste Europäer mit Down-Syndrom, der ein universitäres Studium absolvierte.

Foto aus dem Kinofilm
Foto aus dem Kinofilm „Lass mich fliegen“: Raphael Kadrnoska und Johanna Ortmayer

Auf Augenhöhe

Im nicht ganz 1 ½-stündigen Film „Lass mich fliegen“ begegnet die Kamera (Bildgestaltung: Michael Schindegger) den genannten Protagonist:innen auf Augenhöhe. Und verwirklicht damit das, was Aktivist:innen aus unterschiedlichsten Bereichen von Menschen, die behindert werden, sagen: „Nicht ohne uns über uns!“

Trotz der seit eineinhalb Jahrzehnten gültigen UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist dies übrigens – im Gegensatz zu vielen Beteuerungen von Inklusion – noch immer oft nicht der Fall.

Regisseurin Evelyne Faye
Regisseurin Evelyne Faye

Am Beginn: Eigene, private Fragen der Regisseurin

Im Medienheft zum Film erklärt die Regisseurin Evelyne Faye: „Einen wesentlichen Anstoß haben meine eigenen Fragen zu Emma Lous Leben, Zukunft und ihrer Lebensqualität geliefert. Von ihrer Geburt an war ich mit einer Dynamik konfrontiert, die ich bei meinen anderen beiden Kindern nicht erlebt habe. Seitens von Ärzt:innen oder Therapeut:innen wurde mir sehr rasch erzählt, wie sie sein wird, was sie wird machen können und vor allem was sie nicht wird machen können. Emma Lou ist nun zehn und ich habe den Eindruck, in jeder Lebensphase wird mir über sie viel erzählt, anstatt dass man zunächst einmal hinschaut, wie sie ist, welche Persönlichkeit sie hat. Als sie geboren wurde, wurde mir mitgeteilt, dass sie sich mit Down-Syndrom so und so entwickeln würde. Sie hatte noch nicht mal die Chance gehabt, sich zu zeigen, da wusste man schon über ihre Zukunft Bescheid.“

Kleine – kritische – Anmerkung: Obwohl der Film sich sehr wohltuend und durchgängig von dieser weit verbreiteten Defizit-Beschreibung total entfernt und eben genau die genannten Protagonist:innen über sich selbst – ausführlich – zu Wort kommen lässt, finden die sich auf dem Plakat zum Film NICHT genannt, sondern nur Menschen hinter der Kamera und rundum, die den Film ermöglichten und produzierten.

Follow@kiJuKUheinz

Plakat zum Film
Plakat zum Film „Lass mich fliegen“
INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Lass mich fliegen

80 Minuten; ab 17. März 2023 in Kinos

Regie, Buch: Evelyne Faye
Kamera, Bildgestaltung: Michael Schindegger
Protagonist:innen: Emma Lou Faye-Horak, Raphael Kadrnoska, Johanna Ortmayer, Andrea Halder, Magdalena Tichy

Weiters: Alma Faye-Horak, Elena Halkias, Markus Samek, Mike Brozek, Clara Horvath, Cora Halder, Judith Halder, Sieglinde Kadrnoska, Florian Wimpissinger, Petra Plicka
Ton: Ines Vorreiter Lenka Mikulová; Attila Zanin, Hana Zanin-Pauknerova, Simon Couvreur, Selina Gnadlinger, Claire Hecher, Sabrina Janotte, Katharina, Laura Kautny, Niklas Kern, Anne Klotz, Alexander Knorr, Michaela Kortus, Severin Neira, Kiara Panhuber, Stefanie Platzer, Dario Prodoehl, Cathrin Sedhoum, Alexander Stuchlik, Sophie Waldstein

Montage & Dramaturgie: Joana Scrinzi
Dramaturgie: Wolfgang Widerhofer
Musik: Coshiva
Komponistin/Textdichterin: Daniela Wimmer
Ton: Ines Vorreiter, Lenka Mikulová
Sounddesign & Mischung: Sebastian Watzinger
Farben: Andi Winter
Zusätzliche Kamea: Marie-Theese Zumtobel, Sebastian Arlamovsky
zusätzlicher Ton: Pavel Cuzuidc, Jakob Schneidewind
Schnitt-Assistenz: Christopher Herndler, Philipp Hillebrand
Produktionsleitung: Antonia Bernkopf, Teresa-Saija Wieser
Herstellungsleitung: Michael Kitzberger
Produzenten: Michael Kitzberger, Wolfgang Widerhofer, Nikolaus Geyrhalter, Markus Glaser
Produktion: NGF – Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH

Mit Unterstützung von: Österreichisches Filminstitut, Filmstandort Austria, ORF Film/ Fernsehabkommen

lassmichfliegen