„Rand“ von Miroslava Svoliková in einer Inszenierung vom Schauspielhaus Wien derzeit beim Dramatiker*innen-Festival in Graz, dann in Bregenz und Ende des Sommers mit einer Wiederaufnahme in Wien.
Zu sphärischen Klängen plustern sich auf dem Bühnenboden liegende weiße Flächen auf zu Kugeln. Die von oben hängenden Säcke werden zu ebenso prall gefüllten Bubbles. Kaum Platz für irgendwas anderes. Da zwängen sich zwischen den Kugeln Schauspieler*innen durch in verschiedenen, aber jeweils einer Farbe gekleidet. Und mit den bekannten Formen des All-Time-Computerspiele-Klassikers Tetris. Die Darsteller*innen outen sich als diese Steine. Sie drängen n die Mitte, ineinander passen, aneinander reiben – das verschafft ihnen – von den Lauten her so etwas wie Orgasmen. „Nur nicht am Rand sein!“
Und übrigens: Sie seien alles andere als seelenlose Wesen. Sondern sogar sehr nachdenklich und spirituell. In die Mitte – das ist ihr Ziel. Und die Erkenntnis: Es gibt kein Leben außerhalb der Gruppe.
So weit in etwa die ersten Szenen von „Rand“, in einer Inszenierung vom Schauspielhaus Wien – zu Gast im Grazer städtischen Kinder- und Jugendtheater „Next Liberty“ während des diesjährigen, derzeit (Juni 2021) laufenden Dramatiker*innen-Festivals. Das endet am Sonntag mit der Vergabe der renommierten Retzhofer Dramapreise – heuer erstmals auch eine Kategorie Theatertexte für junges Publikum. „Rand“ ist ein Text von Miroslava Svoliková, einer früheren Preisträgerin (2015).
Was die Tetris-Steine schon eingangs thematisieren, darum geht’s in dem rund 1 ¾-stündigen Stück die ganze Zeit – ja nicht an den Rand gedrängt werden. Warum aber haben es viele nötig, andere aus der Mitte zu verjagen, an oder gar über den Rand hinaus zu drängen, in Abgründe zu stoßen? Und verlangt das Drängen in die Mitte nicht vor allem ein Abschleifen von Ecken und Kanten, um zu einer Einheit zusammengekleistert werden zu können? Oder: Sind wir nicht alle in einer Art Rahmen wie die Tetris-Steine?
Und wie geht’s Außenseiter*innen, sogar solchen, die angehimmelt werden, wie das letzte Einhorn oder populär wurden wie Mickey Mouse? Gar nicht zu reden von jenen, die nicht dazugehören sollen, weil sie den falschen Pass haben? Und erst jenen, denen das Menschsein abgesprochen und die mit Begriffen von Ungeziefer tituliert werden, die es auszuräuchern gilt?
All diese und noch weitere Fragen werden sowohl im Text aber vor allem auch in der Umsetzung in dieser Ernsthaftigkeit nur manchmal direkt angesprochen, dafür vielmehr wie mit den eingangs beschriebenen Tetris-Steinen bunt, schrill, vielfältig und mit nicht selten Humor und Ironie bis Sarkasmus szenisch umgesetzt. Da sind die Astronaut*innen, die den Kontakt zur Erde verloren zu haben glauben – oder sind sie gar nicht im All, sondern nur Versuchs„kaninchen“ in einem Labor? Oder die Kakerlaken und der Priester, der sie vernichten will, aber ständig nach dem Kanister mit dem Gift sucht.
Ein kräftiger Schuss Selbstironie steckt in jenen Szenen, in denen sich Soziolog*innen um die Forschung zu und die Interpretationen über die Randgruppen-Philosophien streiten. Und die Frage von Rändern und ihre Beobachtung ist oft auch eine von innen und außen. Können überhaupt nur die einen beobachten und über die anderen Aussagen treffen – oder werden sie nicht gleichzeitig von den anderen unter die Lupe genommen? Und was denken die sich dabei?
Das Schauspielhaus-Wien-Ensemble hat – insbesondere in den Lockdown-Zeiten – ein bisher 12-teiliges Spin-off für die digitale Welt produziert – wie es den Austronatu*innen in der Folge ergangen sein könnte. Kostenlos kannst du dir diese Episoden bzw. Booklets in anderen Abschnitten – alles unter dem Titel „Lost in Space“ – anschauen und -hören – Link siehe in der Info-Box unten.
von Miroslava Svoliková
105 Minuten (keine Pause)
Regie: Tomas Schweigen
Besetzung:
Tetris-Steine/Astronaut*innen: Vera von Gunten, Jesse Inman, Sophia Löffler, Sebastian Schindegger, Til Schindler
Soziolog*innen: Vera von Gunten, Jesse Inman, Sebastian Schindegger
DIE Soziologin: Sophie Löffler
Das letzte Einhorn: Til Schindler
Mickey Mouse: Vera von Gunten
Priester: Jesse Inman
Ein unbeteiligter Beobachter a.k.a. ein liebeshungriger Terrorist: Sebastian Schindegger
Chor der Kakerlaken: Vera von Gunten, Sophia Löffler, Sebastian Schindegger, Til Schindler
Helfer*innen – Polizei/Rettung/Feuerwehr: Sophia Löffler, Til Schindler
Bühne: Stephan Weber
Kostüme: Giovanna Bolliger
Musik: Dominik Mayr
Kamera: Steven Heyse
Schnitt: Dominic Kubisch
Dramaturgie: Anna Hirschmann, Lucie Ortmann
Licht: Oliver Mathias Kratochwill
Ton: Benjamin Bauer
Regieassistenz: Johanna Mitulla
Auf Tour:
Gastspiel-Termine im Rahmen der Theater-Allianz:
11. Juni 2021 beim Dramatiker*innenfestival in Graz, im Next Liberty
17. und 18. Juni 2021 im Theater Kosmos in Bregenz (Vorarlberg)
Wiederaufnahme im Schauspielhaus Wien:
30. Juni, 1. Und 3. Juli 2021; jeweils 19.30 Uhr
1090, Porzellangasse 19
Telefon: 01 317 01 01 18 (Kartenvorverkauf werktags Di-Sa 16-18 Uhr)
karten@schauspielhaus.at
Das 5. internationale fragt Autor*innen, Theatermacher*innen und andere Künstler*innen: Welche Geschichten brauchen wir auf dem Weg ins ÜBERMORGEN und wie kommen wir dort hin? Wir suchen nach Theaterabenden, Texten und Fiktionen, die das Potenzial haben, Zukunft zu sein.
Compliance-Hinweise: Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … wurde für die Dauer des Festivals nach Graz eingeladen.