Kinder Jugend Kultur und mehr - Logo
Kinder Jugend Kultur Und mehr...
Zu 100 Liegestütz verdammte Soldaten und der Regisseur auf dem Spielfeld
Zu 100 Liegestütz verdammte Soldaten und der Regisseur auf dem Spielfeld
06.03.2024

Wie würden wir in so einer Lage miteinander umgehen?

Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… auf Lokalaugenschein bei einer Probe zu „Biloxi Blues“ dem kurzfristig ins Programm gehobenen Ersatzstück des Theaters der Jugend.

Drei Stockbetten, ein metallener Spind stehen hier auf der Spielfläche des Proberaums im Keller des Renaissancetheaters in der Wiener Neubaugasse. Sieben Männer – sechs, die Soldaten spielen, und der Regisseur – sitzen um einen Tisch an der Seite und besprechen die beiden folgenden, die ersten, Szenen von „Biloxi Blues“.

Bevor die Schauspieler in ihre Rollen schlüpfen, schieben sie eines der Stockbetten nach vorne – ins Zentrum. Zu Beginn des Stücks wird dieses in ein Abteil des Zuges nach Biloxi (US-Bundesstaat Mississippi) umfunktioniert. Unten drängen sich Curdin Caviezel als Soldat Roy Selridge, Clemens Ansorg (er spielt Joseph Wykowski), Christian Dobler (Don Carney) und Robin Jentys. Er verkörpert Eugene Morris Jerome, der irgendwie ein Alter Ego des Stück-Autors Neil Simon ist. Auf dem oberen Bett liegt Ludwig Wendelin Weißenberger, der den Rebellen Arnold Epstein spielt.

Übermüdet, beengt, neu aufeinander treffend, pendeln sie zwischen neuer Kameradschaft und Konkurrenzkampf, wechselseitige Beschimpfungen, auch rassistischer Art fliegen durch den Raum.

In der nächsten Szene wird das „Zug“-Abteil wieder zum Stockbett – neben den beiden anderen in der neuen Unterkunft. Die Rekruten treffen auf ihren Ausbildner, den Sergeant Toomey. Mathias Kopetzki schikaniert mal den einen, dann einen anderen der Jungs und scheint seine wahre Freude am Sadismus zu haben. Dann wieder kommt er auf die freundliche Tour – da mal echt, dann wieder als Falle, um einen der Soldaten gegen andere auszuspielen.

Erfolgsstück als kurzfristiger Ersatz

„Biloxi Blues“ ist ein Stück des US-amerikanischen Erfolgs-Theaterautors Neil Simon (1927 – 2018), auf der englischsprachigen Wikipedia-Seite heißt es, es wäre semi-autobiographisch. Das Stück wurde vom Theater der Jugend gleichsam aus dem Hut gezaubert, weil die geplante Produktion „Johanna, Gotteskriegerin“ in der Regie von Thomas Birkmeier „aus dispositorischen Gründen … in dieser Spielzeit entfallen“ muss – wie es auf der Homepage heißt.

Kurzfristig gelang es den renommierten Regisseur Folke Braband aus Deutschland, „erfolgreicher Pendler und Grenzgänger zwischen E- und U-Theater“ (auf seiner eigenen Homepage) zu gewinnen, um dieses Stück, das vor fast 40 Jahren im englischen Original uraufgeführt wurde, zu inszenieren. Er selbst hat es – wie er im Interview mit KiJuKU erzählt (unten verlinkt) – schon einmal, vor 32 Jahren, in Berlin inszeniert.

Die Story

Junge Soldaten rücken – manche zum allerersten Mal – 1943 in die US-Armee ein. Die USA haben beschlossen, sich den Alliierten anzuschließen – im Kampf gegen den Nazi-Faschismus, der Europa seit vier Jahren mit dem 2. Weltkrieg unterjocht, vernichtet, Millionen vor allem Jüd:innen ermordet. Der Kampf gegen den Faschismus ist allerdings „nur“ ein Hintergrund, der durchschimmert – nicht zuletzt durch Antisemitismus gegen einen Rekruten und dessen widerständigen, jüdischen Humor und Witz. Alles dreht sich eher darum, wie die neu ankommenden, bunt zusammengewürfelten Soldaten miteinander umgehen, wie ihr Kommandant sie schikaniert. Der das aber für notwendig hält, um ihnen Disziplin für den Ernst-Einsatz beizubringen.

Dass Anbrüllerei nicht nur in solch autoritären Systemen wie dem Militär vorkommen, musste KiJuKu auf dem Weg zur Theaterprobe miterleben, wo nahe der U3-Station eine Lehrerin Schüler sehr heftig verbal niedermachte. Den Versuch des Reporters, dieses durch karikierendes lautstarkes Nachahmen in Frage zu stellen, ignorierte sie – aber immerhin sorgte es für Erheiterung und damit Erleichterung der betroffenen Schüler und ihrer Kolleg:innen.

Sanfte Spielführung

Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… durfte eine Probe besuchen – rund eineinhalb Wochen nach Probenbeginn mit dem Regisseur. Davor hatten die Schauspieler – es ist ein fast ausschließliches Männerstück – zwei Frauen spielen nur kleine Nebenrollen, es spielt sich alles in dieser kleinen US-Armee-Einheit ab – schon ein paar Tage mit dem Regie-Assistenten Text gelernt.

Das Spiel flutscht dafür schon erstaunlich rund. Der Regisseur hat nichts mit der Figur des Sergeants gemein. Brüllerei und Kommandoton sind seine Sache nicht. Nur hin und wieder hält Braband an, kommt mitten auf die Probebühne, nahe an die handelnden Figuren heran, schlägt die eine oder andere Änderung vor allem der Körperhaltung vor – damit diese mehr im Einklang mit dem Gesagten stehe. Die eine oder andere Passage wird mehrfach in kleinen Variationen gespielt, der Regisseur schreibt kurze Notizen in sein Heft – und bespricht sie mit den Schauspielern anschließend der Reihe nach, um sie danach eine nach der anderen durchzustreichen. Regie-Assistent Florian Pilz hat ein genaues Auge aufs Text-Heft, ruft mitunter Licht für geplante Stimmungswechsel in die Szene und Hospitant Lukas Spring hat den Laptop-Monitor mit Notizen im Blick. Zeitweise sitzt noch Kostümbildnerin Irmgard Kersting hinter dem Regietisch.

Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… bat die genannten Mitwirkenden zu kurzen Interviews, die hier der leichteren Lesbarkeit wegen in einzelnen Beiträgen veröffentlicht werden – Links hier unten am Ende dieses Beitrages.

Follow@kiJuKUheinz

Hier geht’s zu den Interviews

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Biloxi Blues

von Neil Simon
Deutsch von Andreas Pegler

Eugene Morris Jerome: Robin Jentys
Joseph Wykowski: Clemens Ansorg
Roy Selridge: Curdin Caviezel
Don Carney: Christian Dobler
Arnold Epstein: Ludwig Wendelin Weißenberger
Sergeant Toomey: Mathias Kopetzki

Rowena: Simone Kabst
Daisy Hannigan: Sophia Greilhuber

Regie: Folke Braband
Bühnenbild: Ulv Jakobsen
Kostümbild: Irmgard Kersting
Licht: Lukas Kaltenbäck
Dramaturgie: Gerald Maria Bauer
Regie-Assistenz: Florian Pilz
Hospitanz: Lukas Spring

Aufführungsreche: S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Wann & wo?

4. bis 26. April 2024
Renaissance-Theater – im größeren Haus des Theaters der Jugend, und nicht wie hier irrtümlich zunächst genannt im kleineren
1070 Wien, Neubaugasse 36
Telefon: 01 521 10-0
tdj -> biloxiblues